Kunst

Auftrag zum Brustlecken

Maria Eichhorn
Maria Eichhorn im Jahr 2002 © dpa / picture alliance / Zucchi Uwe
Von Johannes Halder · 11.05.2014
Mit minimalistischen Eingriffen und streng durchdachten Konzepten verfolgt die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn eine Strategie, deren feinsinniger Humor sich auch gegen das Betriebssystem der Kunst richtet.
Fünfzigtausend Euro sind eine Menge Geld, und wenn sie als Bündel nagelneuer Banknoten in einer Vitrine liegen, verlocken sie das Auge mehr als der Anblick eines ungleich wertvolleren Gemäldes. Zur documenta 11 von 2002 hatte die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn mit ihrem kompletten Produktionsetat eine Aktiengesellschaft gegründet, deren alleiniger Geschäftszweck darin liegt, dass ihr Kapital nicht vermehrt werden darf. Und da die Gesellschaft alle ihre Anteilsscheine selbst besitzt und niemals damit handelt, wurde der Eigentumsbegriff auf absurde Weise aufgelöst.
Auch im Kunsthaus Bregenz ist das Bargeld dieser eigenwilligen Ich-AG jetzt gut gesichert ausgestellt, ergänzt um aktuelle Geschäftsberichte und Verwaltungsdokumente der Gesellschaft. Und Kunsthaus-Chef Yilmaz Dziewior ist davon selbst beeindruckt.
"Sie sehen also diese ganzen Formulare, die unglaublich ästhetisch von ihr präsentiert werden, nämlich in die Wand eingelassen, von hinten mit Licht beleuchtet. Und Sie sehen, auch ich kann mich dem nicht entziehen, wie attraktiv, wie verführerisch ein Packen mit 50.000 Euro, als Kunstwerk, doch auf die Besucher ist."
Der Kunstbetrieb als geschlossene Gesellschaft
Nun ist Kapital, das sich nicht rentiert, natürlich schlecht fürs Geschäft, aber in diesem Fall gut für die Kunst und insofern doch ein Kursgewinn. Wer weiß, was das Werk inzwischen wert ist, das sich im Besitz des holländischen Van Abbemuseums befindet. Maria Eichhorns "Aktiengesellschaft" ist ein inhaltlich und ästhetisch noch immer eindrucksvoller Kommentar zum Betriebssystem der Kunst.
"Weil sie das System Kunst kurzschließt mit dem System der Ökonomie, was ja häufig im Werk von Maria Eichhorn ist, und daraus ein Bild schafft, das absolut schön und verführerisch ist."
Mit ihren minimalistischen Eingriffen und analytischen Konzepten verfolgt die 51-jährige Künstlerin seit jeher eine Strategie, mit der sie den Kunstmarkt raffiniert zu unterlaufen trachtet, auch wenn sie sich dessen Verfügungsgewalt nicht gänzlich entziehen mag.
Mal füllte sie eine Galerie mit weißem Nebel; mal stellte sie, wie 1993 auf der Biennale in Venedig, das schiere Nichts aus. Und 2011 vernagelte sie die Schaufenster ihrer Galerie demonstrativ mit Holzplatten: der Kunstbetrieb als geschlossene Gesellschaft, als Dunkelkammer und hermetisches System.
Freilich: Mit den Mitteln der Verweigerung weckt Eichhorn das Begehren umso mehr, das gehört zur Geschäftsgrundlage dieser Praxis. Das gilt auch für ihr hier gezeigtes "Filmlexikon sexueller Praktiken", für das seit 1999 sechzehn Kurzfilme entstanden sind mit Titeln wie "Brustlecken", "Cunnilingus", "Zungenkuss" oder "Knutschfleck".
Der Besucher wird zum Wassersucher
Wer sie sehen will, muss dem Aufsichtspersonal explizit den Auftrag zum Abspielen der jeweiligen Sequenz erteilen – ein lakonisches Lehrstück über gesellschaftliche Normen und Verhaltensmuster. Allerdings, schränkt der Kurator ein:
"Die Filme sind so aufgenommen, sehr sachlich, sie sind alle unter drei Minuten, werden klein projiziert, d.h. also die strategischen, die künstlerischen Vorgehensweisen von Maria Eichhorn, diesen Film auch zu präsentieren, relativieren das, was erstmal in dem Betrachter oder der Betrachterin vorgeht, wenn er nur die Titel liest."
Als Lektion zu begreifen ist wohl auch ein riesiger Vorhang aus Jeansstoff, der eine zwanzig Meter lange Wand verhüllt. Inhaltlich ist der blaue Behang verknüpft mit Lektüre zur Anti-Atomkraft-Bewegung, die hier massenweise ausliegt. Jeans, der Stoff der Protest-Generation, bekommt hier eine politische Dimension, und das Werk wird erst komplett durch einen Vortrag der österreichischen Umweltaktivistin Hildegard Breiner, der auf dem Programm der Schau steht – eine Gardinenpredigt gewissermaßen.
Eine eigens für Bregenz konzipierte Arbeit schließlich bedeckt die ganze Bodenfläche im Obergeschoss des Ausstellungsbaus. Der Vorarlberger Wünschelrutengänger "Quellemichl" hat dafür den Raum nach Erdstrahlen und Wasseradern ausgependelt und vermessen, so dass Eichhorn nun auf 470 Quadratmetern mit Streifen aus farbigen Folien die unsichtbaren Energieströme als abstraktes Muster visualisieren kann. Das mag irrational erscheinen, doch wie man weiß, halten sich auch Aktienkurse nicht an die Vernunft – und die Kunst schon gar nicht.
Wünschelruten und Pendel an den Wänden sollen die Besucher animieren, ihr eigenes Talent als Wassersucher zu testen. Bei manchen, sagt der Hausherr, klappt das im Selbstversuch ganz gut; die Künstlerin taugt dazu eher nicht.
"Manche sind ein weniger gutes Medium. Ich glaube, bei Maria Eichhorn hat's gar nicht richtig ausgeschlagen."