Kunst als Lebensmittel
Brot, Schokolade, Marzipan – alles kann für Daniel Spoerri zur Kunst werden. Darum geht es auch in der Ausstellung "Eating the Universe - Kunst aus Lebensmitteln" in der Düsseldorfer Kunsthalle.
Die Künstlerin Judith Samen steht oben auf der Leiter und nagelt Reibekuchen auf die Wand im hohen Oberlichtsaal der Düsseldorfer Kunsthalle. Wie ein riesiges Mosaik oder ein Op-Art-Muster reihen sie sich regelmäßig neben- und untereinander. 900 Stück insgesamt. Davor auf einem kleinen Tischchen eine blau emaillierte Bratpfanne auf einer Kochplatte.
Das Ganze hat auch etwas von einem Bühnenbild, aber dass hier nicht mit Theaterpappe, sondern mit Kartoffeln, Zwiebeln und Fett hantiert worden ist, steigt einem deutlich in die Nase. Und während die Assistentin weiter hämmert an dem Reibekuchen-Relief, gibt Judith Samen Auskunft über das essbare Kunstwerk.
"Der Geruch spielt ’ne große Rolle - der Geruch, der auch auf unangenehme Weise einwirkt, ist anders als man es von Bildender Kunst erwartet, insofern wird man hier subversiv erwischt, wenn man das riechen muss und ich glaube, dann passieren im Kopf andere Dinge als man gewöhnt ist in der Kunstausstellung."
Den Betrachter "subversiv zu erwischen", wie Judith Samen sagt, und ihm dadurch neue Sichtweisen zu vermitteln - darauf hatten es schon der Eat-Art Begründer Daniel Spoerri und seine Mitstreiter, unten ihnen Joseph Beuys und Dieter Roth, angelegt. 1970 als die Eat Art Galerie mitten in der Düsseldorfer Altstadt eröffnet wurde. Den Arbeiten und von damals und der Dokumentation der heute schon legendären Performances und Künstler-Gastmähler, den mit Tellern, Bestecken, Aschenbechern, Essensresten und Zigarettenkippen komplett eingerahmten Tischplatten, ist das erste Kapitel der Schau gewidmet. Kuratorin Dr. Magdalena Holzhey sieht hier viele Tendenzen angelegt, die die Kunst stark beeinflusst haben und bis heute nachwirken.
Welche Provokation es für eine Generation, die noch "schlechte" Zeiten, Hunger und Entbehrung gekannt hat, bedeutet haben muss, Künstler mit Lebensmitteln, mit Brot, Zucker, Fleisch, Fett spielen zu sehen – das kann man sich heute allerdings kaum mehr vergegenwärtigen. Denn Spoerri und seine Mitstreiter haben es geschafft, diese Materialien dauerhaft und selbstverständlich in der Kunst zu etablieren.
"Was für Spoerri wichtig war, war die Materialsprache radikal zu erweitern, ganz neue Möglichkeiten für Bildhauerei zu finden, und mit der Idee, Essbares zu verwenden, wendet er sich gegen einen überkommenen Begriff von Kunst, in dem Moment ist das Kunstwerk nicht mehr musealisierbar, nicht mehr konservierbar, es ist vergänglich, kann sogar tatsächlich einverleibt und gegessen werden."
Das hat Judith Samer, die in Düsseldorf lebt und arbeitet und 1970 im Eröffnungsjahr der Eat Art Galerie geboren wurde, diesmal nicht vorgesehen. In anderen Ausstellungen hat sie auch schon Koch- und Essaktionen mit dem Publikum gemacht. Was aber auch ihr wichtig ist, das sind die Fragen von Zeit, Verwandlung und Verfall, die die Eat Art von Anfang an radikal gestellt hat. Wie wird sich ihre Reibekuchen-Wand in den drei Monaten verändern, die ihr in der Ausstellung in Düsseldorf bevorstehen?
Samer: "Natürlich wird sich das Bild verändern, der Geruch wird sich verändern, na ja, ich hoffe, dass es nicht allzu ranzig wird, und das wird zerbröseln, da werden Stücke runterfallen, aber ich finde schön, dass dieses Prozesshafte sichtbar wird."
Das ist in Daniel Spoerris Brot- und Fallenbildern längst passiert, Schimmel hat eine grüne Farbkomponente ins Bild gebracht, mache ehemals glatten Oberflächen sind schrundig aufgeplatzt, geborsten oder verquollen. Die Objekte selbst führen ein Eigenleben, das von der Gestaltung des Künstlers unabhängig ist, der Zufall oder eben die Naturgesetze spielen mit.
Die Werke sind dem Verfall unterworfen, die Ideen, die sie inspiriert haben, wirken frisch und originell. Oft genug auch philosophisch, hintersinnig und humorvoll.
Holzhey: "Was geblieben ist, ist die Faszination am Material, diesem sinnlichen, haptischen Zugang, denn Kunst aus Lebensmitteln berührt und unmittelbar wie keine andere Kunst, weil man direkt mit dem eigenen Körper konfrontiert ist, mit dem eigenen Bedürfnis nach Nahrung und mit dem eigenen Verfall. Es ist interessant, dass mit Abstand von Jahrzehnten in den Neunzigerjahren Künstler wieder mit dem Lebensmittel, mit dem Thema kochen und essen arbeiten."
Diesen Künstlern widmet sich der zweite Teil der Düsseldorfer Ausstellung, und hier tritt dann zunehmend ein politisches, gesellschaftskritisches Moment in den Vordergrund. Die industrielle Produktion von Lebensmitteln, Genusskult und Schlankheitswahn, die ungerechte Verteilung von Hunger und Überfluss thematisieren Installationen und Videos. Ästhetisch bezwingend eine elegant geschwungene Düne, zu der Thomas Rentmeister sieben Tonnen Zucker aufgeschüttet hat.
Ein Einkaufswagen in der Mitte ist beinah versunken in den kristallinen Treibsand. Ein ambivalentes Bild der Abhängigkeit: perfekt, rein, verlockend wie Schnee, wie eine Droge wirkt der Zucker, wer weiß, was er noch unter sich begraben hat.
Mit erschütternder Deutlichkeit bringt ein Video der holländischen Künstlerschwestern L.A. Raeven das weit verbreitete Versagen im Umgang mit Lebensmitteln auf den Punkt. Sie begleiten ein magersüchtiges Mädchen auf immer wiederholten Streifzügen durch Supermärkte. Sie will nicht essen und kann sich doch nur mit Nahrungsmitteln beschäftigen. In Folien und Plastiktüten sammelt sie einzelne Häppchen, die auf Aktionstischen zum Probieren angeboten werden.
Man wünscht dieser spannenden, abwechslungsreichen, manchmal verstörenden Ausstellung, dass der Wunsch von Kuratorin Magdalena Holzhey in Erfüllung geht und sich viele zum Nachdenken anregen lassen.
Holzhey: "Nicht nur ein Kunstpublikum, sondern auch Leute, die sonst mit zeitgen. Kunst nicht so viel anfangen können, werden sich vielleicht angesprochen fühlen, denn es ist ein Thema, was jeden Menschen unmittelbar angeht."
Das Ganze hat auch etwas von einem Bühnenbild, aber dass hier nicht mit Theaterpappe, sondern mit Kartoffeln, Zwiebeln und Fett hantiert worden ist, steigt einem deutlich in die Nase. Und während die Assistentin weiter hämmert an dem Reibekuchen-Relief, gibt Judith Samen Auskunft über das essbare Kunstwerk.
"Der Geruch spielt ’ne große Rolle - der Geruch, der auch auf unangenehme Weise einwirkt, ist anders als man es von Bildender Kunst erwartet, insofern wird man hier subversiv erwischt, wenn man das riechen muss und ich glaube, dann passieren im Kopf andere Dinge als man gewöhnt ist in der Kunstausstellung."
Den Betrachter "subversiv zu erwischen", wie Judith Samen sagt, und ihm dadurch neue Sichtweisen zu vermitteln - darauf hatten es schon der Eat-Art Begründer Daniel Spoerri und seine Mitstreiter, unten ihnen Joseph Beuys und Dieter Roth, angelegt. 1970 als die Eat Art Galerie mitten in der Düsseldorfer Altstadt eröffnet wurde. Den Arbeiten und von damals und der Dokumentation der heute schon legendären Performances und Künstler-Gastmähler, den mit Tellern, Bestecken, Aschenbechern, Essensresten und Zigarettenkippen komplett eingerahmten Tischplatten, ist das erste Kapitel der Schau gewidmet. Kuratorin Dr. Magdalena Holzhey sieht hier viele Tendenzen angelegt, die die Kunst stark beeinflusst haben und bis heute nachwirken.
Welche Provokation es für eine Generation, die noch "schlechte" Zeiten, Hunger und Entbehrung gekannt hat, bedeutet haben muss, Künstler mit Lebensmitteln, mit Brot, Zucker, Fleisch, Fett spielen zu sehen – das kann man sich heute allerdings kaum mehr vergegenwärtigen. Denn Spoerri und seine Mitstreiter haben es geschafft, diese Materialien dauerhaft und selbstverständlich in der Kunst zu etablieren.
"Was für Spoerri wichtig war, war die Materialsprache radikal zu erweitern, ganz neue Möglichkeiten für Bildhauerei zu finden, und mit der Idee, Essbares zu verwenden, wendet er sich gegen einen überkommenen Begriff von Kunst, in dem Moment ist das Kunstwerk nicht mehr musealisierbar, nicht mehr konservierbar, es ist vergänglich, kann sogar tatsächlich einverleibt und gegessen werden."
Das hat Judith Samer, die in Düsseldorf lebt und arbeitet und 1970 im Eröffnungsjahr der Eat Art Galerie geboren wurde, diesmal nicht vorgesehen. In anderen Ausstellungen hat sie auch schon Koch- und Essaktionen mit dem Publikum gemacht. Was aber auch ihr wichtig ist, das sind die Fragen von Zeit, Verwandlung und Verfall, die die Eat Art von Anfang an radikal gestellt hat. Wie wird sich ihre Reibekuchen-Wand in den drei Monaten verändern, die ihr in der Ausstellung in Düsseldorf bevorstehen?
Samer: "Natürlich wird sich das Bild verändern, der Geruch wird sich verändern, na ja, ich hoffe, dass es nicht allzu ranzig wird, und das wird zerbröseln, da werden Stücke runterfallen, aber ich finde schön, dass dieses Prozesshafte sichtbar wird."
Das ist in Daniel Spoerris Brot- und Fallenbildern längst passiert, Schimmel hat eine grüne Farbkomponente ins Bild gebracht, mache ehemals glatten Oberflächen sind schrundig aufgeplatzt, geborsten oder verquollen. Die Objekte selbst führen ein Eigenleben, das von der Gestaltung des Künstlers unabhängig ist, der Zufall oder eben die Naturgesetze spielen mit.
Die Werke sind dem Verfall unterworfen, die Ideen, die sie inspiriert haben, wirken frisch und originell. Oft genug auch philosophisch, hintersinnig und humorvoll.
Holzhey: "Was geblieben ist, ist die Faszination am Material, diesem sinnlichen, haptischen Zugang, denn Kunst aus Lebensmitteln berührt und unmittelbar wie keine andere Kunst, weil man direkt mit dem eigenen Körper konfrontiert ist, mit dem eigenen Bedürfnis nach Nahrung und mit dem eigenen Verfall. Es ist interessant, dass mit Abstand von Jahrzehnten in den Neunzigerjahren Künstler wieder mit dem Lebensmittel, mit dem Thema kochen und essen arbeiten."
Diesen Künstlern widmet sich der zweite Teil der Düsseldorfer Ausstellung, und hier tritt dann zunehmend ein politisches, gesellschaftskritisches Moment in den Vordergrund. Die industrielle Produktion von Lebensmitteln, Genusskult und Schlankheitswahn, die ungerechte Verteilung von Hunger und Überfluss thematisieren Installationen und Videos. Ästhetisch bezwingend eine elegant geschwungene Düne, zu der Thomas Rentmeister sieben Tonnen Zucker aufgeschüttet hat.
Ein Einkaufswagen in der Mitte ist beinah versunken in den kristallinen Treibsand. Ein ambivalentes Bild der Abhängigkeit: perfekt, rein, verlockend wie Schnee, wie eine Droge wirkt der Zucker, wer weiß, was er noch unter sich begraben hat.
Mit erschütternder Deutlichkeit bringt ein Video der holländischen Künstlerschwestern L.A. Raeven das weit verbreitete Versagen im Umgang mit Lebensmitteln auf den Punkt. Sie begleiten ein magersüchtiges Mädchen auf immer wiederholten Streifzügen durch Supermärkte. Sie will nicht essen und kann sich doch nur mit Nahrungsmitteln beschäftigen. In Folien und Plastiktüten sammelt sie einzelne Häppchen, die auf Aktionstischen zum Probieren angeboten werden.
Man wünscht dieser spannenden, abwechslungsreichen, manchmal verstörenden Ausstellung, dass der Wunsch von Kuratorin Magdalena Holzhey in Erfüllung geht und sich viele zum Nachdenken anregen lassen.
Holzhey: "Nicht nur ein Kunstpublikum, sondern auch Leute, die sonst mit zeitgen. Kunst nicht so viel anfangen können, werden sich vielleicht angesprochen fühlen, denn es ist ein Thema, was jeden Menschen unmittelbar angeht."