Kunst als Albtraum
Seit den 70er-Jahren erschafft der US-Künstler Bruce Nauman klaustrophobische Räume und Korridore mit verstörenden Video- und Neon-Arbeiten, die oft um Gewalt, Schmerz und Folter kreisen. Einige seiner Werke sind nun in Berlin zu sehen.
"Get out of my Mind. Get out of this Room!" –
"Raus aus meinem Geist. Raus aus diesem Raum!" –
Bruce Naumans Stimme geistert durch den leeren Saal im Kellergeschoss der Rieckhallen. Wo sie genau herkommt, lässt sich nicht sagen, Lautsprecher sind keine zu sehen. Die Stimme scheint durch die Wände zu dringen.
"Geeeet out of my Miiiiiind … !"
'68 hat Nauman diesen Raum zum ersten Mal eingerichtet. Kunstgenuss? Kontemplation? Ausgeschlossen. Wer hier nach Werk oder Genie sucht, wird als Eindringling vertrieben. Als Proband auf Entzug gesetzt. Naumans Räume der 70er sind Labore. Versuchsanordnungen. In der zentralen Halle des Hamburger Bahnhofs ist jetzt ein ganzes Forschungsfeld von ihnen aufgebaut. Für den "Kassel-Korridor" von '72, einen schmalen, hohen, elliptisch gebogenen Raum, muss man sich den Schlüssel an der Kasse holen. Und man darf ihn nur allein betreten. Kurator Eugen Blume:
"Ja, dieser Raum, wo wir grad die Tür hinter uns geschlossen haben, ist auch einer dieser seltsamen Erfahrungsräume, den wir zum ersten Mal wieder zeigen. Man fühlt sich schon beengt und wenn man diesen Kurven folgt, wird der Raum immer enger und hat hinten an beiden Enden eine Öffnung, durch die man nicht hindurch kommt. Nauman gibt eine Zeit vor, eine Stunde ist eine Idealzeit für den Besucher dieses Raumes. Nach zehn Minuten wird man schon auf sich selbst hin denken."
Spätestens nach 20 Minuten aber wohl auch an die Schlange, die andere Erfahrungswillige dann hinter der verschlossenen Tür bilden dürften. "Entzug als Kunstform" hat Nauman eine seiner zentralen Strategien 1970 genannt – am intensivsten kann man erfahren, was das heißt, wenn man bis ins finstere Herz der Ausstellung vordringt. Dort – in Halle 5 der Rieckhallen – wartet ab jetzt dauerhaft ein düsterer Raum auf Besucher, den der Sammler Flick den Berliner Museen geschenkt hat: Ein "Alb-Raum" aus sich kreuzenden Korridoren und Schächten:
"'Raum, in dem man seine Seele verliert – Raum, den das nicht schert.' Wenn man in diesen dunklen Korridor hineingeht, hat man an sich schon ein seltsames Gefühl. Hat natürlich mit der Nacht zu tun, wo die Träume sich ereignen, wo das Bewusstsein aus unserem willentlichen Zugriff entlassen ist und seltsame Bilder entwickelt. Und man fragt sich, was man in diesem Raum soll, was sich in diesem Raum ereignet. Und wenn man sensibel gestimmt ist, dann kommt man auf die Vorstellung der Verlassenheit. Dass der Mensch in seiner Existenz ein verlassenes Wesen ist – und Nauman stellt die Frage, ob das nicht etwas ist, was wir nicht aushalten!"
Die Fülle der Rauminstallationen und Korridore ist die Hauptattraktion der Schau. Der spektakuläre Video-Raum "Clown Torture"– "Clown Folter" – dessen Insassen hier schreien. Die zweite große Stärke ist die Gegenüberstellung mit den Zeitgenossen: Robert Morris. Richard Serra. Joseph Beuys. Eva Hesse. Die Sammlungen Flick und Marx machen es möglich. Was Nauman an den reinen Formen der Minimalisten abstößt, muss hier nicht erklärt werden, es wird spürbar, wenn neben dem perfekt geometrischen Edelstahl-Kubus von Donald Judd Naumans "Concrete Tape Recorder Piece" von '68 erscheint. Erstmal nur ein Betonklotz, aus dem aber seltsamerweise ein Kabel herausführt …
"Wo Nauman in einen Beton-Kubus, der so minimalistisch aussieht – Beton ist und nichts weiter – einen Rekorder hineingegossen hat, auf dem angeblich ein Schrei zu hören ist, den man natürlich nicht mehr hört. Dahinter steht die Behauptung, dass es ein reines Material in dem Sinne nicht gibt, dass Material immer in irgendeiner Weise inhaltlich aufgeladen wird!"
Dieses Aufladen von Materialien und Räumen macht die Intensität der Arbeiten aus: Wie ein Hieb ins Gesicht mit dem Baseballschläger soll Kunst wirken, so Nauman. Wie der Moment, wenn man im Dunkeln die Treppe hinaufgeht – denkt, da kommt noch eine Stufe, und da ist gar keine mehr. Die Schau macht das erfahrbar, auch wenn sie an einer Grenze haltmacht, die Nauman überschreitet. Da, wo aus Spiel Ernst wird, wo Nauman die wuchtigen, scharfkantigen Stahlträger seiner Arbeit "Musical Chair" auf Augenhöhe des Besuchers frei schwingend in den Raum hängt, als reale Gefahrenzone. Im Hamburger Bahnhof hängen sie so hoch, dass man bequem drunter durch läuft.
"Weil wir wissen aus unserer Erfahrung, dass es nicht lange dauert, bis sich jemand den Kopf stößt und das geht dort blutig aus, das ist sehr, sehr gefährlich. Und diese Arbeit abzusperren, also mit einem kleinen Zäunchen zu umgeben, ist glaube ich noch schlimmer als dieses Etwas-Höher-Hängen, was immer noch, wenn man drunter hindurchgeht, Gefahr suggeriert und das Gefährliche, was diese Arbeit in sich trägt, auch deutlich macht. Also es ist ein Kompromiss."
Gegen die Absperrung hat auch Nauman selbst opponiert. Aus New-Mexico, wo er schon lange zurückgezogen auf seiner Farm lebt. Ein Video in der Ausstellung zeigt ihn in Cowboymontur auf einer Weide, friedlich an einer Zaunecke bauend – wahrscheinlich um die Pflanzen vor den Weidetieren zu schützen. Es ist der einzige schützende Zaun in dieser Ausstellung, an dem man sich ausruhen kann.
Service:
Die Ausstellung "Dream Passage" von Bruce Nauman ist vom 28. Mai bis zum 10. Oktober 2010 im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.
"Raus aus meinem Geist. Raus aus diesem Raum!" –
Bruce Naumans Stimme geistert durch den leeren Saal im Kellergeschoss der Rieckhallen. Wo sie genau herkommt, lässt sich nicht sagen, Lautsprecher sind keine zu sehen. Die Stimme scheint durch die Wände zu dringen.
"Geeeet out of my Miiiiiind … !"
'68 hat Nauman diesen Raum zum ersten Mal eingerichtet. Kunstgenuss? Kontemplation? Ausgeschlossen. Wer hier nach Werk oder Genie sucht, wird als Eindringling vertrieben. Als Proband auf Entzug gesetzt. Naumans Räume der 70er sind Labore. Versuchsanordnungen. In der zentralen Halle des Hamburger Bahnhofs ist jetzt ein ganzes Forschungsfeld von ihnen aufgebaut. Für den "Kassel-Korridor" von '72, einen schmalen, hohen, elliptisch gebogenen Raum, muss man sich den Schlüssel an der Kasse holen. Und man darf ihn nur allein betreten. Kurator Eugen Blume:
"Ja, dieser Raum, wo wir grad die Tür hinter uns geschlossen haben, ist auch einer dieser seltsamen Erfahrungsräume, den wir zum ersten Mal wieder zeigen. Man fühlt sich schon beengt und wenn man diesen Kurven folgt, wird der Raum immer enger und hat hinten an beiden Enden eine Öffnung, durch die man nicht hindurch kommt. Nauman gibt eine Zeit vor, eine Stunde ist eine Idealzeit für den Besucher dieses Raumes. Nach zehn Minuten wird man schon auf sich selbst hin denken."
Spätestens nach 20 Minuten aber wohl auch an die Schlange, die andere Erfahrungswillige dann hinter der verschlossenen Tür bilden dürften. "Entzug als Kunstform" hat Nauman eine seiner zentralen Strategien 1970 genannt – am intensivsten kann man erfahren, was das heißt, wenn man bis ins finstere Herz der Ausstellung vordringt. Dort – in Halle 5 der Rieckhallen – wartet ab jetzt dauerhaft ein düsterer Raum auf Besucher, den der Sammler Flick den Berliner Museen geschenkt hat: Ein "Alb-Raum" aus sich kreuzenden Korridoren und Schächten:
"'Raum, in dem man seine Seele verliert – Raum, den das nicht schert.' Wenn man in diesen dunklen Korridor hineingeht, hat man an sich schon ein seltsames Gefühl. Hat natürlich mit der Nacht zu tun, wo die Träume sich ereignen, wo das Bewusstsein aus unserem willentlichen Zugriff entlassen ist und seltsame Bilder entwickelt. Und man fragt sich, was man in diesem Raum soll, was sich in diesem Raum ereignet. Und wenn man sensibel gestimmt ist, dann kommt man auf die Vorstellung der Verlassenheit. Dass der Mensch in seiner Existenz ein verlassenes Wesen ist – und Nauman stellt die Frage, ob das nicht etwas ist, was wir nicht aushalten!"
Die Fülle der Rauminstallationen und Korridore ist die Hauptattraktion der Schau. Der spektakuläre Video-Raum "Clown Torture"– "Clown Folter" – dessen Insassen hier schreien. Die zweite große Stärke ist die Gegenüberstellung mit den Zeitgenossen: Robert Morris. Richard Serra. Joseph Beuys. Eva Hesse. Die Sammlungen Flick und Marx machen es möglich. Was Nauman an den reinen Formen der Minimalisten abstößt, muss hier nicht erklärt werden, es wird spürbar, wenn neben dem perfekt geometrischen Edelstahl-Kubus von Donald Judd Naumans "Concrete Tape Recorder Piece" von '68 erscheint. Erstmal nur ein Betonklotz, aus dem aber seltsamerweise ein Kabel herausführt …
"Wo Nauman in einen Beton-Kubus, der so minimalistisch aussieht – Beton ist und nichts weiter – einen Rekorder hineingegossen hat, auf dem angeblich ein Schrei zu hören ist, den man natürlich nicht mehr hört. Dahinter steht die Behauptung, dass es ein reines Material in dem Sinne nicht gibt, dass Material immer in irgendeiner Weise inhaltlich aufgeladen wird!"
Dieses Aufladen von Materialien und Räumen macht die Intensität der Arbeiten aus: Wie ein Hieb ins Gesicht mit dem Baseballschläger soll Kunst wirken, so Nauman. Wie der Moment, wenn man im Dunkeln die Treppe hinaufgeht – denkt, da kommt noch eine Stufe, und da ist gar keine mehr. Die Schau macht das erfahrbar, auch wenn sie an einer Grenze haltmacht, die Nauman überschreitet. Da, wo aus Spiel Ernst wird, wo Nauman die wuchtigen, scharfkantigen Stahlträger seiner Arbeit "Musical Chair" auf Augenhöhe des Besuchers frei schwingend in den Raum hängt, als reale Gefahrenzone. Im Hamburger Bahnhof hängen sie so hoch, dass man bequem drunter durch läuft.
"Weil wir wissen aus unserer Erfahrung, dass es nicht lange dauert, bis sich jemand den Kopf stößt und das geht dort blutig aus, das ist sehr, sehr gefährlich. Und diese Arbeit abzusperren, also mit einem kleinen Zäunchen zu umgeben, ist glaube ich noch schlimmer als dieses Etwas-Höher-Hängen, was immer noch, wenn man drunter hindurchgeht, Gefahr suggeriert und das Gefährliche, was diese Arbeit in sich trägt, auch deutlich macht. Also es ist ein Kompromiss."
Gegen die Absperrung hat auch Nauman selbst opponiert. Aus New-Mexico, wo er schon lange zurückgezogen auf seiner Farm lebt. Ein Video in der Ausstellung zeigt ihn in Cowboymontur auf einer Weide, friedlich an einer Zaunecke bauend – wahrscheinlich um die Pflanzen vor den Weidetieren zu schützen. Es ist der einzige schützende Zaun in dieser Ausstellung, an dem man sich ausruhen kann.
Service:
Die Ausstellung "Dream Passage" von Bruce Nauman ist vom 28. Mai bis zum 10. Oktober 2010 im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.