"Kulturzone06" in Frankfurt
"5 Tage, 5 Themen" lautete das Motto der "Kulturzone06" in Frankfurt. Denn für diese Großveranstaltung hatten sich die Macher Einiges vorgenommen: Es ging um Zukunftsforschung, um die Neurowissenschaften, um Subkultur, aber auch um die Wiederkehr des Religiösen und das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft.
Statt Orientierung herrschte am Anfang die Verwirrung: Der Weg zum Aufzug, nach oben zum Kongressraum führte durch eine Halle mit einem Irrgarten von schwarzen Quadern, und der wurde täglich umgruppiert: Das war der Culture Club, Ort für Performances, Filme und nächtliche Partys, tagsüber eher aufgesucht von erholungsbedürftigen Kongressbesuchern, die sich zwischen schwarzen Wänden und Sitzflächen vor zahlreichen Bildschirmen niederließen.
Kein Wunder, schließlich ging es beispielsweise um komplexe Themen wie die Bilderkennung im Gehirn. An Fahrt - und damit auch an begeistertem Publikum - gewann der Kongress ab Tag drei, eingeläutet von einer weiträumigen Kulturdiagnose des Stanforder Literaturwissenschaftlers Hans-Ulrich Gumbrecht. Er machte zwei Strömungen im Abendland aus: Eine erfolgsorientierte Kultur in den USA und eine auf Gerechtigkeit bedachte Kultur in Europa.
"Ich denke, dass es für beide Versionen der westlichen Kultur schon immer zu viele Argumente pro und contra gibt. Ich glaube, es gibt keine ethische, wirtschaftliche oder pragmatische Dimension, in der man ganz eindeutig auf der einen oder anderen Seite endet – obwohl wir das immer voraussetzen!"
Eine Entscheidung für die Erfolgs- oder Gerechtigkeitskultur sei letztlich eine ästhetische – Einzelpersonen, Parteien oder Kulturen wählen hierbei das, was ihnen "zusagt", und nicht das, was sich durch rationale Zwänge ergibt.
Der Vortrag war anregend, zeigte aber auch eine typische Schwachstelle der Kulturzone: So mancher kam mit seinen Thesen ohne Rücksicht auf den Zusammenhang beim Kongress. Denn eigentlich lautete das Tagesmotto doch: "Good-bye Subkultur, hello Erfolgskultur?". Hier sollte es eher um das Verhältnis von Hoch-, Unterhaltungs- und Massenkultur gehen.
Schließlich liefen im Culture Club subkulturelle Porno-Filme, und weiter hinten in der Kinderuni gab es Nachhilfestunden in HipHop.
Der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar wiederum beschrieb die Geschichte der Gitarrenzertrümmerung. So ein Schockpotential habe die Kunst heute nicht mehr, obwohl sie doch mindestens unseren terrorismusgetränkten Alltag kommentieren müsste.
"Im Gegensatz zu den 60er Jahren mangelt es hier doch, weil die Kultur mehr und mehr brav geworden ist, die Provokationsformen sich ritualisiert haben und es schwierig ist, eine Antwort auf die Gegenwart zu finden."
Schwierig auch aus einem anderen Grund:
Künstler verfolgen heute nicht mehr generell eine klare linke Linie, wie eine Diskussion an jenem Tag zeigte: Da empörte sich Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre über die unverschämt geringen Honorare im linken Kulturbetrieb. Da warnte der Theatermacher René Pollesch vor dem oberflächlichen Zwang zu gesellschaftskritischer Bühnenkunst...
"...weil dann nur der pure Gestus von Kritik und politischem Theater rüberkommt. Und auf den kann ich verzichten!"
Diskussionsleiter Ulf Poschardt führte die Teilnehmer am Ende doch auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: Konversation und Widerstand.
Gutes poptheoretisches Infotainment war das, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vielleicht wäre es fruchtbarer gewesen, immer nur diejenigen in die Diskussionsrunde zu bestellen, die auch vorher einen Vortrag gehalten hatten: Dann hätte man begreifen können, woher die Positionen kommen und wie sie sich im Wettstreit bewähren. Stattdessen wechselten Gesichter und Themen im Stundentakt.
Mehr Zusammenhang und lebhafte Diskussionen brachte da beispielsweise Tag vier zur "Wiederkehr des Religiösen". Der Papsttod im Fernsehen und weltweite Videos von El Kaida führte der Philosoph Boris Groys hier als Paradebeispiele dieser Wiederkehr an: Religion sei keine Rückzugsreaktion auf die Globalisierung. Nein: Erst globalisierte Medien machen eine weltweite religiöse Gemeinschaft überhaupt sichtbar und erfahrbar, meinte Groys.
"Die Religion selbst ist eine mediale Maschine zur Verbreitung bestimmter Haltungen und die Medien sind es auch. Die Medien sind wie Religion strukturiert.
Ich habe das Gefühl, dass der Mensch heute mehr Anschluss an das Globale, an das Religiöse sucht, als seinen individuellen Weg zur Wahrheit zu suchen."
Hier konterte der Berliner Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme: Das Religiöse finde man heute nicht in der Kirche, sondern eher beim Fußball und auf Popkonzerten.
"Man muss zugeben, dass die Massenevents, die da auf die Beine gestellt werden, eine Erlebnisdichte, eine Gemeinschaftlichkeit und Sinnstiftung erlauben, die heute in unserer Kultur konkurrenzlos geworden ist, und da halten die Kirchen nicht mehr mit."
Weiter ging es mit islamischer Aufklärung, mit dem Verhältnis von Religion, Demokratie und anderen Kulturen. Einzig in der Diskussionsrunde brach das Niveau stark ein, als der Journalist Wolfram Weimer allzu unbedarft erst Religion und Ethik gleichsetzte, und dann den Atheismus in die Nähe des Totalitarismus rückte. Viel Kopfschütteln im Publikum, heftiger Applaus dagegen für die Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, die Weimers Meinungen mit Wissen widerlegte: Auch Kirchenobere haben schließlich in der Geschichte für Blutvergießen gesorgt.
Insgesamt blieb die Kulturzone allgemeinverständlich, also der Öffentlichkeit zugewandt:
"Das ist lebendiger hier, als wenn ich das nur konsumiere aus dem Feuilleton! Ich bin Lehrerin und möchte das gerne in der Praxis umsetzen."
Lehrer, Künstler, aber auch Studierende fanden sich zuhauf unter den 2000 Besuchern – und sie – ja nur sie! - waren wahrscheinlich die ideale Zielgruppe.
Ins ordinäre philosophische Café glitt die Kulturzone jedenfalls nicht ab. Mit weniger Themen und ein bisschen mehr Zusammenhang sollte die Kulturzone ruhig wiederkehren. Die Macher jedenfalls denken über eine Folgeveranstaltung in zwei Jahren nach.
Kein Wunder, schließlich ging es beispielsweise um komplexe Themen wie die Bilderkennung im Gehirn. An Fahrt - und damit auch an begeistertem Publikum - gewann der Kongress ab Tag drei, eingeläutet von einer weiträumigen Kulturdiagnose des Stanforder Literaturwissenschaftlers Hans-Ulrich Gumbrecht. Er machte zwei Strömungen im Abendland aus: Eine erfolgsorientierte Kultur in den USA und eine auf Gerechtigkeit bedachte Kultur in Europa.
"Ich denke, dass es für beide Versionen der westlichen Kultur schon immer zu viele Argumente pro und contra gibt. Ich glaube, es gibt keine ethische, wirtschaftliche oder pragmatische Dimension, in der man ganz eindeutig auf der einen oder anderen Seite endet – obwohl wir das immer voraussetzen!"
Eine Entscheidung für die Erfolgs- oder Gerechtigkeitskultur sei letztlich eine ästhetische – Einzelpersonen, Parteien oder Kulturen wählen hierbei das, was ihnen "zusagt", und nicht das, was sich durch rationale Zwänge ergibt.
Der Vortrag war anregend, zeigte aber auch eine typische Schwachstelle der Kulturzone: So mancher kam mit seinen Thesen ohne Rücksicht auf den Zusammenhang beim Kongress. Denn eigentlich lautete das Tagesmotto doch: "Good-bye Subkultur, hello Erfolgskultur?". Hier sollte es eher um das Verhältnis von Hoch-, Unterhaltungs- und Massenkultur gehen.
Schließlich liefen im Culture Club subkulturelle Porno-Filme, und weiter hinten in der Kinderuni gab es Nachhilfestunden in HipHop.
Der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar wiederum beschrieb die Geschichte der Gitarrenzertrümmerung. So ein Schockpotential habe die Kunst heute nicht mehr, obwohl sie doch mindestens unseren terrorismusgetränkten Alltag kommentieren müsste.
"Im Gegensatz zu den 60er Jahren mangelt es hier doch, weil die Kultur mehr und mehr brav geworden ist, die Provokationsformen sich ritualisiert haben und es schwierig ist, eine Antwort auf die Gegenwart zu finden."
Schwierig auch aus einem anderen Grund:
Künstler verfolgen heute nicht mehr generell eine klare linke Linie, wie eine Diskussion an jenem Tag zeigte: Da empörte sich Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre über die unverschämt geringen Honorare im linken Kulturbetrieb. Da warnte der Theatermacher René Pollesch vor dem oberflächlichen Zwang zu gesellschaftskritischer Bühnenkunst...
"...weil dann nur der pure Gestus von Kritik und politischem Theater rüberkommt. Und auf den kann ich verzichten!"
Diskussionsleiter Ulf Poschardt führte die Teilnehmer am Ende doch auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: Konversation und Widerstand.
Gutes poptheoretisches Infotainment war das, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vielleicht wäre es fruchtbarer gewesen, immer nur diejenigen in die Diskussionsrunde zu bestellen, die auch vorher einen Vortrag gehalten hatten: Dann hätte man begreifen können, woher die Positionen kommen und wie sie sich im Wettstreit bewähren. Stattdessen wechselten Gesichter und Themen im Stundentakt.
Mehr Zusammenhang und lebhafte Diskussionen brachte da beispielsweise Tag vier zur "Wiederkehr des Religiösen". Der Papsttod im Fernsehen und weltweite Videos von El Kaida führte der Philosoph Boris Groys hier als Paradebeispiele dieser Wiederkehr an: Religion sei keine Rückzugsreaktion auf die Globalisierung. Nein: Erst globalisierte Medien machen eine weltweite religiöse Gemeinschaft überhaupt sichtbar und erfahrbar, meinte Groys.
"Die Religion selbst ist eine mediale Maschine zur Verbreitung bestimmter Haltungen und die Medien sind es auch. Die Medien sind wie Religion strukturiert.
Ich habe das Gefühl, dass der Mensch heute mehr Anschluss an das Globale, an das Religiöse sucht, als seinen individuellen Weg zur Wahrheit zu suchen."
Hier konterte der Berliner Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme: Das Religiöse finde man heute nicht in der Kirche, sondern eher beim Fußball und auf Popkonzerten.
"Man muss zugeben, dass die Massenevents, die da auf die Beine gestellt werden, eine Erlebnisdichte, eine Gemeinschaftlichkeit und Sinnstiftung erlauben, die heute in unserer Kultur konkurrenzlos geworden ist, und da halten die Kirchen nicht mehr mit."
Weiter ging es mit islamischer Aufklärung, mit dem Verhältnis von Religion, Demokratie und anderen Kulturen. Einzig in der Diskussionsrunde brach das Niveau stark ein, als der Journalist Wolfram Weimer allzu unbedarft erst Religion und Ethik gleichsetzte, und dann den Atheismus in die Nähe des Totalitarismus rückte. Viel Kopfschütteln im Publikum, heftiger Applaus dagegen für die Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, die Weimers Meinungen mit Wissen widerlegte: Auch Kirchenobere haben schließlich in der Geschichte für Blutvergießen gesorgt.
Insgesamt blieb die Kulturzone allgemeinverständlich, also der Öffentlichkeit zugewandt:
"Das ist lebendiger hier, als wenn ich das nur konsumiere aus dem Feuilleton! Ich bin Lehrerin und möchte das gerne in der Praxis umsetzen."
Lehrer, Künstler, aber auch Studierende fanden sich zuhauf unter den 2000 Besuchern – und sie – ja nur sie! - waren wahrscheinlich die ideale Zielgruppe.
Ins ordinäre philosophische Café glitt die Kulturzone jedenfalls nicht ab. Mit weniger Themen und ein bisschen mehr Zusammenhang sollte die Kulturzone ruhig wiederkehren. Die Macher jedenfalls denken über eine Folgeveranstaltung in zwei Jahren nach.