Kulturtechnik des Putzens

Staubsaugen und Wischen als Event der Zukunft

Sonja Stummerer und Martin Hablesreite im Gespräch mit Dieter Kassel  · 19.12.2020
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Mit der Kulturtechnik des Putzens beschäftigt sich ein Bildband des Künstlerduos Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter. Sie hoffen, dass diese Mühsal des Alltags einmal wie das Kochen zum Modetrend wird und für mehr Gleichberechtigung sorgt.
Auch Putzen könnte eines Tages zum Lifestyle-Event werden, lautet eine der Thesen des Bildbandes "Putzen – eine Kulturtechnik". Die beiden Autoren sind die österreichischen Performance-Künstler Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter, im privaten Leben ein Ehepaar. Sie agieren als das Künstlerduo Honey und Boney.
Auch das Kochen habe noch vor 30 Jahren einen ganz anderen Stellenwert gehabt, sagt Stummerer. Heute sei es in gewissen Kreisen für Männer attraktiv, ihre Kochkünste zu demonstrieren. Außerdem habe der Markt viele Geräte dafür geschaffen, die beworben und gekauft werden könnten. Ihre Hypothese sei nun, dass es beim Putzen eine vergleichbare Entwicklung geben könnte. "Es ist halt ein unentdeckter Markt", sagt Stummerer.

Hoffnung auf mehr Gleichberechtigung beim Putzen

"Ich bin ein Kind der 70er-Jahre", sagt Hablesreiter. Damals sei es noch beinahe undenkbar gewesen, dass ein Mann einen Kinderwagen schiebt oder den Kochlöffel schwingt. "Das hat sich tatsächlich geändert, wenngleich auch nicht zur Gänze und in den meisten Fällen sind es Showeffekte." Aber für die Buchautoren schwinge die Hoffnung mit, dass sich in unserer Kultur etwas mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern einschleichen könnte.
Ein Bild aus dem Buch "Putzen - eine Kulturtechnik" von Sonnja Stummerer und Martin Hablesreiter.Der Performance Künstler Martin Hablesreiter mit einem Staubsauger im tiefen unberührten Schnee. Böhlau Verlag, 2020.
Das Buch bildet auch die vorhergegangenen Kunstaktionen ab: Performancekünstler Martin Hablesreiter mit einem Staubsauger im tiefen unberührten Schnee.© Böhlau Wien / Daisuke Akita
Auch die Coronazeit könne zu diesem Trend beitragen: In der Pandemie werde den Fragen der Hygiene mehr Aufmerksamkeit geschenkt, so Stummerer. Auf viele Menschen wirke Putzen außerdem beruhigend. Ein Drittel der Menschen putze gerne. "Die das meditativ finden oder das Gefühl haben, sie haben die Kontrolle über ihr Leben." Deshalb könne sie sich vorstellen, dass jetzt auch mehr geputzt werde als sonst.

Umweltverträgliche Putzmittel

Bei der Beschäftigung mit allen Aspekten des Putzens hat das Ehepaar auch sehr persönliche Lektionen mitgenommen. Stummerer achtet jetzt viel stärker darauf, welche Putzmittel umweltverträglich sind. Das Kapitel über Gesundheit und Umwelt sei die schwierigste Recherche gewesen, sagt sie. Es sei schwer gewesen, an Informationen zu kommen. "Da hat sich mein Einkaufsverhalten schon stark umgestellt."
Ein Bild aus dem Buch "Putzen - eine Kulturtechnik" von Sonnja Stummerer und Martin Hablesreiter. Die Performance Künstler Sonnja Stummerer und Martin Hablesreiter putzen im Wald. Böhlau Verlag, 2020.
Die Performance Künstler Sonnja Stummerer und Martin Hablesreiter putzen im Wald. © Böhlau Wien / Daisuke Akita
Für Hablesreiter hat die Recherche zu dem Buch weniger seinen Blick auf das Putzen, sondern seinen Blick auf die Welt verändert, sagt der Performancekünstler. Als Mann habe er sich klarmachen müssen, dass er im Haushalt nicht fair sei.
"Dass ich als Schreibender, künstlerisch tätiger Mensch Gerechtigkeit einfordere, sie aber zu Hause nicht einlöse", habe zu den Erkenntnissen aus dem Projekt gehört. Es falle ihm nach wie vor unglaublich schwer: "Ich muss mich jeden Tag bei der Nase nehmen." Die Recherche habe aber zumindest bewirkt, dass er heute noch mehr ein schlechtes Gewissen habe als vorher.
(gem)

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter: "Putzen – eine Kulturtechnik"
Böhlau-Verlag, Wien 2020
214 Seiten, 35 Euro

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