Kultursymposium Weimar

Die Route wird neu berechnet

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Auf dem Festivalgelände des E-Werks beim Kultursymposium in Weimar stehen Zelte, auf die Bilder und Schriften projiziert sind.
Das Festivalgelände des E-Werks in Weimar ist eine von mehreren Veranstaltungsorten des Kultursymposiums © Joerg Glaescher/Goethe-Institut
Von Henry Bernhard · 18.06.2019
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Die Welt wird komplexer, Orientungslosigkeit macht sich breit allenthalben. Dem setzt das Goethe-Institut in Weimar sein Kultur-Symposium entgegen, bei dem Experten aus allen Bereichen mit Künstlern nach Antworten auf die Fragen der Zukunft suchen.
Das Kultursymposium des Goethe-Instituts startet schon mal vorab recht informell mit einer kleinen, aber berückenden und auch bedrückenden Fotoausstellung. Julia Steinigeweg hat sich in Singapur in die Grenzgebiete zwischen Realem und Fiktionalem, zwischen Echtem und der Täuschung begeben und dabei eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht:
"Das zeigt diese Ausstellung anhand eines Roboters, der von einer Professorin gebaut wurde, und zwar nach ihrem eigenen Abbild. Er kann sprechen und mit Menschen interagieren. Der Titel der Arbeit, 'I think I saw her blink', lässt sich an drei Bildern ganz gut erklären. Das ist ein kleines Triptychon, wo man sieht, wie dieser Roboter blinzelt.
Nach dem Fotografieren habe ich meine Kamera zusammengepackt, die Bilder noch mal angeschaut, und es verging ein Weilchen, der Roboter versank quasi und schaltete sich auf Standby. Und dann sah ich aber aus dem Augenwinkel, wie er nochmal gezwinkert hat. Und das war seltsam, denn niemand stand vor ihm, und trotzdem blinzelt er. Und das ist natürlich so ein uraltes Science-Fiction-Klischee: Was passiert, wenn der Roboter ein Eigenleben entwickelt?"
Die Fotografin Julia Steinigeweg steht vor einem ihrer Bilder bei der Fotoausstellung zur Eröffnung des Kultursymposium Weimar am 18.06.2019
Mit Bildern der Fotografin Julia Steinigeweg (li) wurde das Weimarer Symposium eröffnet.© Henry Bernhard

Ein Versuch, um die Zukunft zu deuten

Die unterbelichteten, unterkühlten und dystopischen Fotografien von Julia Steinigeweg treffen ganz unmittelbar das Konzept des Kultursymposiums; sie sind illusionslos noch dort, wo sie im Vagen bleiben. Eine täuschend echte Roboterhand lässt den Blick in ihr mechanisches Inneres zu, ein schwarzes, quadratisches Loch in einem Seerosenteich erinnert an Malewitschs schwarzes Quadrat oder an den schwarzen Monolithen in Stanley Kubricks "2001 Odyssee im Weltraum".
Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, versucht das noch junge Format des Weimarer Kultursymposiums zu definieren:
"Symposium klingt immer so ein bisschen trocken, aber es ist eigentlich so ein kreatives Festival mit vielen Gesprächen, aber auch mit vielen künstlerischen Aktionen, die dann quasi ganz handhabbar machen, wie die Zukunft sich entwickeln wird."

Die ganze Welt muss sich neu orientieren

Die Methoden der Kunst, der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft würden jeweils nicht allein ausreichen, um Gegenwart zu beschreiben oder zukünftige Entwicklungen zu deuten. In Weimar will das Goethe-Institut alle zusammenbringen, sagt Generalsekretär Johannes Ebert:
"Der Sinn des Kultursymposiums Weimar ist es, globale Gesellschaftsfragen mit Expertinnen, mit Intellektuellen, mit Künstlern zu diskutieren. Die große Frage der Welt im Moment: 'Wie kann gesellschaftliche und weltanschauliche Orientierung gelingen in einer Welt, die zunehmend instabil und unübersichtlich wird?' Ein Kollege hatte dann die kluge Idee das zu nennen 'Die Route wird neu berechnet.'
Jeder weiß, was damit gemeint ist: Wir stehen irgendwo, aber wir müssen uns orientieren, wir müssen schauen, wie wir uns in der Welt zurechtfinden und unseren Weg finden. Und ich glaube, das ist eine Zeit, wo das die gesamte Menschheit betrifft."

Diskussionen mit weltweitem Input

Das Kultursymposium dauert drei Tage – aber die kreative Auseinandersetzung mit den Themen begann schon viel früher und mit Außenwirkungen in der ganzen Welt. Johannes Ebert:
"Wir möchten unser gesamtes Netzwerk – 157 Goethe-Institute in über 90 Ländern und ein unglaubliches Geflecht von Partnern in allen Bereichen – aktivieren. Und wir haben dann gesagt: 'Wir möchten das eigentlich schon vorbereiten, das Kultursymposium'. Das heißt, es finden an 12 Orten Veranstaltungen statt, die sich mit den Themen des Kultursymposiums Weimar auseinandersetzen, von denen dann Ergebnisse und auch Personen nach Weimar kommen werden und mitverhandelt werden."

Vorsätzlich orientierungslos, um Antworten zu finden

So ist die heute eröffnete Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Singapur entstanden. Die vier großen Themenblöcke für die nächsten Tage in Weimar sind Orientierung, Autonomie, Regression und Diginomics – der Einfluss des Digitalen auf die Ökonomie. Daniel Göpfert zeichnet für das vielfältige Programm verantwortlich:
"Zum Thema Orientierung haben wir unter anderem John Huth zu Gast, er ist Physiker, Professor für Teilchenphysik, an der Harvard Universität. Aber sein Hobby ist die Navigation. Er hat sich auch schon im Wald mit Absicht verirrt und hat darüber geschrieben, wie man da wieder rausfindet. Es wird auch ein Panel geben, wo es um Orientierungslosigkeit in der Literatur geht.
Roman Wittig ist Primatenforscher und hat über Monate mit Affen gelebt, Affen beobachtet, und wird über Orientierung in der Welt der Affen, der Schimpansen sprechen und was wir Menschen möglicherweise da von diesen Genen in uns tragen und wie uns das beeinflusst."
Drei Tage lang Vorträge, Diskussionen, Gesprächsformate, Musik und künstlerische Interventionen starten am Mittwoch in Weimar. Daniel Göpfert begegnet das Motto des Symosiums auch außer Dienst.
"Ich habe mich gestern Abend übrigens in Weimar auf dem Weg ins Restaurant verlaufen, habe mit Google Maps versucht, den Weg zu finden, bin dann falsch abgebogen, dann bekam ich die Anzeige: 'Die Route wird neu berechnet.' Also, das kommt immer mal wieder vor."
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