Kulturschiff

Live-Konzerte an Bord

Der ehemalige DDR-Fischtrawler "Stubnitz" wurde 1992 umgebaut und bietet seitdem einen Veranstaltungsort für die alternative Kunstszene.
Der ehemalige DDR-Fischtrawler "Stubnitz" wurde 1992 umgebaut und bietet seitdem einen Veranstaltungsort für die alternative Kunstszene. © dpa / picture alliance / Zentralbild
Von Norbert Zeeb · 06.10.2014
Seit mehr als 20 Jahren reist der Tontechniker Urs Blaser mit der MS Stubnitz durch Europa, um lokale Musikszenen in Sound und Bild zu dokumentieren. Über die Jahre sind viele Bands auf seinem Schiff aufgetreten, ein riesiges Online-Archiv ist entstanden.
"Ja, unten hört man, da sind sie noch am Waschen. Wir haben eine 500-bar-Wasserdruckanlage, mit der jetzt das Unterwasserschiff, das sind 1300 Quadratmeter, das wird jetzt mit Hochdruck gewaschen."
Die Norderwerft im Hamburger Hafen. Urs Blaser, ausgerüstet mit Schutzhelm und Sicherheitsschuhen, steigt eine Treppe hinab in ein entwässertes Dock. Der etwa 1,90 große, schlaksige Mann wirkt nun wie auf Playmobil-Größe geschrumpft. Vor ihm erhebt sich, aufgebockt auf circa drei Dutzend Pallen, das Kulturschiff MS Stubnitz, ein 80 Meter langer, 2500 Tonnen schwerer Stahlkoloss.
Übergroß wie das Schiff ist auch die Anzahl der Aufgaben, die Blaser als Chef der Stubnitz rund um die Uhr zu erledigen hat. Der 54-Jährige koordiniert das gesamte Projekt: die Seereisen, das Veranstaltungsprogramm, die Instandhaltung des Schiffes. Zurzeit liegt die TÜV-Inspektion an – wie alle fünf Jahre.
Die äußere Stahlhaut wird für einen neuen Farbanstrich gereinigt; drinnen an Bord werden Maschinenaggregate zerlegt und geprüft; der gesamte Stahlkörper des Schiffes wird auf Substanzverlust untersucht und hier und da durch Stahlbleche verstärkt.
Blaser führt mich durch ein Labyrinth aus Gängen und Treppen, vorbei an Schlafräumen, Werkstätten und Ersatzteillagern, einem Multimedia-Studio – sogar ein Kino ist an Bord. Schließlich stehen wir in einer Bar, von der man direkt hinunter in den großen Konzertsaal des Schiffes schauen kann.
Die Stubnitz, erzählt Blaser, ist mehr als ein bloßes Party-Schiff. Sie ist in eigener Mission unterwegs, um die lokalen Szenen für progressive Musik in Europa zu erkunden und bei Livekonzerten an Bord des Schiffes in Ton- und Filmaufnahmen zu dokumentieren.
"Es gibt einen kommerziellen Bereich, es gibt den Bereich des kulturellen Erbe und es gibt aber halt wirklich einen Bereich der aktuellen Musik, das Musikschaffen der Gegenwart, was reicher ist, als es je gewesen ist."
St. Petersburg, Kopenhagen, London, Amsterdam – in den vergangenen 20 Jahren haben Blaser und seine Crew aus ehrenamtlichen Helfern, See- und Kameraleuten elf verschiedene Länder und 22 europäische Hafenstädte bereist.
"Musik hat mich das ganze Leben verfolgt"
"Für uns haben wir immer gesagt, wir entdecken eine Region, indem wir pro Region eine Größenordnung von zehn oder 20 Partnerschaften aufgebaut haben, genau in dem Bereich der musikalischen Initiativen. Und Kooperationen mit solchen Musikszenen, die sind hochgradig spannend. - Als Kind habe ich begonnen mit Musik und Musik hat mich das ganze Leben verfolgt. Ich habe halt lange Instrumentalmusik gemacht, durch alle Stile durch, und bin dann nach und nach in die Elektro-Akustik abgedriftet – ja, und das war so die wilde Zeit."
Verschmitztes Lächeln, die grau-weißen Haare mehrfach durchrauft, einen Kaffeebecher vor der Nase – Blaser sitzt in seinem Büro an Bord, blickt zurück in seine Kindheit in Bern. Damals entdeckt er seine Liebe zur Musik, beginnt Saxofon zu spielen. Später faszinieren den gebürtigen Schweizer dann immer stärker die Bereiche Akustik und Beschallung.
"Also, das war so der Übergang zum Moment, wo ich gesagt habe, eigentlich ist es nicht gestaltend, was man spielt, sondern gestaltend ist eigentlich die Kontrolle dessen, was aus dem Lautsprecher herauskommt."
Statt sich in einem bürgerlichen Beruf einzurichten, folgt Blaser konsequent seinen eigenen Vorstellungen, reist in den 80ern, damals so um die 20, mit einem Künstler-Kollektiv quer durch Europa. Leerstehende Industriegebäude werden annektiert, Blaser alias Oil Blo errichtet eigens entworfene elektroakustische Tonanlagen als hängende Installationen.
"Und dann war es immer ein bisschen Glückssache, wenn man früh genug ein großes Publikum hatte, also, bevor dann irgendwie jemand gesagt hat, jetzt müsst ihr aber verschwinden, dann hatte man unter Umständen halt die Kosten refinanziert oder auch nicht."
Seit Anfang der 90er ist das Kulturschiff unterwegs
Anfang der 90er initiiert Blaser zusammen mit einer Gruppe befreundeter Künstler dann das Projekt Stubnitz: Man gründet einen Verein in Rostock, kauft ein ehemaliges DDR-Fischereischiff, um es für kulturelle Zwecke umzubauen.
Damals hatte Urs Blaser noch keine Vorstellung, was so ein Schiff allein an Instandhaltungsarbeiten alles mit sich bringen würde. Heute bleibt ihm oft nur wenig Zeit, um zu seiner Frau und seinen Kindern nach Rostock zu fahren. - Zufrieden mit seinem Lebenswerk ist er dennoch. Was ihn nach wie vor antreibt, ist seine Leidenschaft für die Musik.
"Wir dokumentieren ja Livemusik und da mache ich nach wie vor den akustischen Teil, den Mix, das Placement und die Aufnahme. Und für mich ist das immer noch genauso gestalterisch, wie ich immer arbeiten wollte."

Die MS Stubnitz wird gerade im Trockendock runderneuert. Der Verein, der das Kulturschiff betreibt, kann die Reparaturkosten nicht alleine tragen und hofft auf Spenden und Crowdfunder. Nähere Informationen finden Sie hier