Kulturjahr 2017

Die besten Pop-Platten des Jahres

Martin Maag trägt in Ulm vor seinem Laden "Sound Circus" eine überdimensionale Schallplatte.
Mit den Empfehlungen unserer Musikredaktion sind sie im Plattenladen bestens orientiert. © dpa / picture alliance / Stefan Puchner
Von Oliver Schwesig · 22.12.2017
Loyle Carner hat mit "Yesterday’s gone" ein tolles Debütalbum vorgelegt. St. Vincent bringt auf "Masseduction" eine Sexiness rüber, von der Madonna und Beyonce nur träumen können. Und Father John Misty gräbt die feinsten Sahnetorten des Pop aus.

Loyle Carner: "Yesterday’s gone"

Ich bin ja nie der riesen Hip Hop Freund gewesen. Aber dieser Typ hat mich, seit er vor ein paar Jahren auf der Bildfläche erschien, mit jeder neuen Single mehr begeistert. Loyle Carner. Anfang des Jahren kam sein Debütalbum "Yesterday’s gone" raus.
Ein bescheidener, endlos netter Family Boy aus dem Süden Londons - für Hip Hop ist der eigentlich viel zu lieb. Geprotze, Gewalt und Objektivierung von Frauen fallen bei Loyle Carner aus. Stattdessen rappt er familienromantisch von Vater, Mutter und Schwester oder den schönen Seiten der Studentenarmut.
Das erinnert mich an die Filme von Mike Leigh: britischer Mittelstandsrealismus mit Herz und Liebe. Produzent Rebel Kleff hat dazu stilsichere Musik zwischen Jazz und Old School Hip Hop gebastelt. "Yesterday’s gone" von Loyle Carner - ein tolles Debüt.

St. Vincent: "Masseduction"

Auch die New Yorker Multiinstrumentalistin St. Vincent, die eigentlich Annie Clark heißt, hat eine Platte gemacht, die 2017 lange bei mir hängen geblieben ist. Das Album "Masseduction" zeigt sie als weiblichen Bowie-Abkömmling. Bunt und chamäleonhaft.
Während sich "Taylor Gaga" und die anderen Mädels an ihrer realness abmühen, lacht sich St. Vincent eins. Kurze Röcke, Leggings und Stiefel - her damit!, sagt Annie Clark. Das ist eine Sexiness, die sich selbst genügt und an niemanden ranschmeißt. Madonna und Beyonce werden da im Leben nicht hinkommen.
Klar, eine kleine Pop-Rampensau ist Annie Clark natürlich auch. Aber bei allen Posen in den Songs hört man auf diesem Album immer noch: Frische Popmusik und erschütternde Balladen mit ironiefreien Texten über Weiblichkeit, Verlangen und Alleinsein.

Father John Misty: "Pure comedy"

Das ist Josh Tillman, alias Father John Misty – noch so einer, der geläufige Popkonzepte zerlegt. Auf seinem Album "Pure comedy". Genau, ist doch alles nur Comedy, dieser Popbetrieb, diese dysfunktionale westliche Welt, die sich zu Tode amüsiert hat.
"Lieber Gott, nächstes Mal, denkste Dir was anderes aus, wenn Dir langweilig ist", ätzt Father John Misty.
Okay. Kulturpessimistische Apokalypse. Ist thematisch inzwischen nicht mehr der aufregendste Stoff. Könnte man weglegen, wenn, ja, wenn nicht diese großartige Musik dazu wäre. Und damit kriegt er mich dann doch. Father John Misty hat keine Grube des Pop der letzten Jahrzehnte ausgelassen, aus der er nicht Schätze ausbuddelt. Die Piano-Romantik von Elton John, die süßen Melodien der Beatles, die Sehnsucht des West Coast Pop der 70er. Schicht um Schicht eine Sahnetorte des feinsten Pop, in die man einfach nur rein springen möchte.
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