Kulturhauptstadt im Chaos

Von Stefan Keim |
Endlich soll es die Welt kapieren: Das Ruhrgebiet ist eine Kulturmetropole. Doch während die Macher der Kulturhauptstadt stolz ihr Programm vorstellen, versinkt Essen im Chaos. Die ebenso plötzliche wie unbefristete Kündigung des Philharmonie-Intendanten Michael Kaufmann war einer der kulturpolitischen Aufreger des Jahres. Aus der Distanz sieht man manches klarer.
In wenigen Jahren an die Spitze - Essens Philharmonie bekam 2008 den Preis der deutschen Musikverleger für ihr außergewöhnliches Programm. Intendant Michael Kaufmann hat es geschafft, das Konzerthaus zu einer ersten Adresse in Deutschland zu machen. Deshalb wurde sein Vertrag erst vorzeitig verlängert. Dann platzte eine Bombe: Der Aufsichtsrat kündigte Kaufmann fristlos. Er habe in zwei Spielzeiten anderhalb Millionen Defizit eingefahren und sei nicht bereit, gegenzusteuern.

1, 7 Millionen sind es nach heutigem Stand, man streitet, wer dafür verantwortlich ist. Tatsache bleibt: Es wurden einfach zu wenig Karten verkauft. Was nutzt es, wenn vom Konzertpodium die musikalischen Götterfunken sprühen aber kaum jemand im Parkett sitzt?

Ein gewaltiger Medienkampf begann. Die Schlammschlacht um die Philharmonie beherrschte wochenlang die Titelseiten der Ruhrgebietszeitungen. Um Kaufmann organisierte sich ein Kuratorium einiger Sponsoren, die hart gegen die Kündigung protestierten. Während der Aufsichtsrat heftig zurück schoss und meinte, ein Intendant müsse mit seinem Geld auskommen. Intrigen, Unterstellungen und Andeutungen machten die Runde. Teures und falsches Marketing war der Hauptvorwurf. Essens Kultudezernent Oliver Scheytt:

"Die Philharmonie hatte bei Herrn Kaufmann einen Marketingetat im Jahr 2006/2007 von 1,4 Millionen Euro. So viel Marketingmittel hatte ich nie in meinem Kulturdezernat zur Verfügung. Wir haben das schon sehr gut budgetiert. Und Herr Kaufmann hat diesen Etat über 400.000 Euro überzogen. Ich glaube, dass man auch mit etwas weniger Geld auskommen kann im Marketing."

Das anspruchsvolle Programm soll ausgedünnt werden, sagt Oliver Scheytt, ohne beim einzelnen Konzert an der Qualität zu sparen.

"Etwas weniger Konzerte sind möglich, ohne dass das Profil verloren geht."

In Essen werden kleinere Brötchen gebacken. Wobei der neue Intendant der Philharmonie Johannes Bultmann sich nicht unbedingt als Billigbäcker entpuppen muss. Er hat in den 90er Jahren in den Hallen und Zechen des Ruhrgebietes die Reihe "Musik im Industrieraum" mit ersonnen. Und das war der Vorläufer der Ruhrtriennale.

Trotzdem bleibt ein Kernproblem: Neben Essen gibt es mit dem Konzerthaus Dortmund eine zweite Ruhrphilharmonie, in Duisburg wurde die Mercatorhalle neu gebaut, in Bochum bekommen die Symphoniker eine eigene Spielstätte. Das ist viel Konkurrenz. Viele Musikmanager im Ruhrgebiet waren erleichtert, als im gar nicht so fernen Münster die Bürger in einem Volksentscheid mit über 70 Prozent ein eigenes Konzerthaus ablehnten. Sonst wäre es noch enger geworden. Oliver Scheytt:

"Ich halte es für sehr, sehr sinnvoll und habe das auch schon vorgeschlagen, dass wir uns bald zu einer Konzerthauskonferenz Ruhr mal zusammen begeben. Alle die, die jetzt diese großen Einrichtungen leiten. Um uns noch besser abzustimmen."

Der Streit um Michael Kaufmann endete übrigens mit einer Ehrenerklärung für den Ex-Intendanten und einem Auflösungsvertrag samt saftiger Abfindung. Für Essen bleibt ein gewaltiger Imageverlust. Außerdem verliert die Stadt den erfolgreichen Theaterintendanten Anselm Weber. Er hat die ständigen Finanzdiskussionen satt und wird 2010 ans besser ausgestattete Schauspielhaus Bochum wechseln.

Auch Opernintendant Stefan Soltesz murrt über seine Behandlung durch die Kulturpolitiker. Die Zeitschrift Opernwelt erklärte das Aalto-Theater zum Opernhaus des Jahres und die Philharmoniker zum Orchester des Jahres. Ein Riesenerfolg, doch im Alltag musste Soltesz sich damit herum schlagen, dass der Rat die Tariferhöhungen im Theater nicht ausgleichen wollte. Das chaotische Erscheinungsbild der Stadt Essen passt überhaupt nicht zu ihrem Anspruch, 2010 Kulturhauptstadt Europas zu werden.

"Die Kulturhauptstadt Europas hat so ein Klima des Aufbruchs und auch der Erneuerung hervorgerufen und dadurch private und öffentliche Investments möglich gemacht."

Fritz Pleitgen, Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, zeichnet ein anderes Bild. Die Macher der Kulturhauptstadt haben in groben Zügen ihr Programm vorgestellt. Noch ist es ein wildes Durcheinander von 150, größtenteils interessanten Projekten, die kein Gesicht ergeben: Große Events, ein bisschen Multikulti, spannende Festivals. Die freie Szene des Ruhrgebiets ist bisher kaum vertreten. Aber es gibt gewaltige Projekte: das neue Ruhrmuseum, den Umbau des Museums Folkwang, die Neugestaltung des Dortmunder U, des denkmalgeschützten ehemaligen Stammsitzes der Union-Brauerei, als Zentrum für Kreativwirtschaft.

"Eigentlich bräuchten wir jetzt schon kein Programm mehr zu machen. Da ist schon so viel in Gang gesetzt worden durch die Kulturhauptstadt Europas, was auch eine nachhaltige Wirkung hat. Darauf kommt es uns an: Nachhaltigkeit."

An großen Versprechungen herrscht kein Mangel. Aber es gibt auch harsche Kritik. "Rettet die Kulturhauptstadt!" titelte die Frankfurter Allgemeine und bemängelte, dass noch kein künstlerisches Profil erkennbar sei. Außerdem stehen aufgrund der Finanzkrise und hoch verschuldeter Kommunen mindestens die Theater in Oberhausen und Hagen auf der Kippe.

So könnte das Jahr der Kulturhauptstadt auch ein Jahr des Kulturabbaus im Ruhrgebiet werden. Das wäre zwar völlig absurd, aber die Gefahr ist groß.