Kulturgeschichte

"Vom Hering lernen, heißt überleben lernen"

Ein Heringsschwarm mit Makrelen.
Ein Heringsschwarm mit Makrelen. © picture alliance / Hinrich Bäsemann
Von Michael Opitz · 14.04.2014
Ein "glotzäugiger Langweiler"? Von wegen! Der Lyriker und Dramatiker Holger Teschke erklärt, weshalb man vom Hering als dem Silber des Meeres spricht - und wie einst der "Heringsfurz" das schwedische Militär narrte.
Bei besonderem Lichteinfall strahlt er stahlblau bis violett. Manchmal ist ein goldener Schimmer auffällig, und auch ein smaragd- bis dunkelgrünes Schillern wird ihm nachgesagt. Angesichts dieser Beschreibung ist man geneigt, an einen Edelstein zu denken. Aber die Rede ist vom Hering. Der ist schön anzusehen, so lange er im Meer schwimmt.
Jeglichen Glanz aber hat der "Vagabund der Meere" verloren, wenn er als Belag ein Fischbrötchen ziert oder als Dosenfisch in Tomatensauce eingelegt worden ist.
In der von Judith Schalansky herausgegebenen Reihe "Naturkunden" ist nach Portraits über "Krähen" und "Esel" nun ein Buch über die "Heringe" erschienen. Geschrieben hat es kein Ichthyologe, sondern der Lyriker und Dramatiker Holger Teschke, was sich als ein Vorteil erweist, wenn der Hering in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung vorgestellt wird.
Dass sich Teschke für den Fisch des "armen Mannes" interessiert, hängt mit seiner Herkunft zusammen. Er wuchs auf der Insel Rügen auf, sein Vater war Fischer, und er fuhr zwei Jahre mit einem Fischkutter zur See. Bis zu den Knien hat Teschke in Heringen gestanden, bevor er als Dramaturg ans Berliner Ensemble wechselte. Sein äußerst informatives und kurzweilig zu lesendes Buch räumt mit einem Vorurteil auf: Ein "glotzäugiger Langweiler" ist der Hering nicht. Als "König der Meere" ist er im Mittelalter mit Gold und Pelzen aufgewogen worden.
"Heringsfurz" oder Atom-U-Boot?
Während der Bernstein als das Gold der Ostsee bezeichnet wird, spricht man vom Hering als dem Silber des Meeres. Teschke zeigt ihn als einen Meeresbewohner, der als Individualist aufwächst. In den ersten fünf bis sechs Wochen lebt er allein, erst danach bildet er sich zusammen mit anderen einen Schwarm. Daher sei er seiner Ausrottung entgangen. Das lässt Teschke zu dem Resümee kommen: "Vom Hering lernen, heißt überleben lernen."
Als die Heringe noch nicht industriell gefangen wurden, gab es den Meeresschwärmer massenhaft. Berichtet wird von Heringsschwärmen, die sechs Kilometer breit und 15 Kilometer lang waren. Fiel die Sonne auf einen solchen Schwarm, leuchtete das Meer und blendete die Fischer. Stumm sind die Heringe auch nicht, wie das Christian Morgenstern in seinem Gedicht "Fisches Nachtgesang" vermutet. Mit Hilfe der Schwimmblase können sie auch für das menschliche Ohr hörbare Töne aussenden.
Der sogenannte "Heringsfurz" hat das schwedische Militär jahrelang in die Irre geführt, denn man mutmaßte, die Urheber der von den Heringen verursachten Geräusche wären sowjetische Atom-U-Boote gewesen.
Der Hering in der Küche
Teschke wendet sich dem Hering in seinem Lebensraum zu, aber er verfolgt dessen Geschichte auch an Land, wenn er von "Heringskriegen" berichtet, auf den Hering in der Kunst aufmerksam macht und im Abschnitt "Der kulinarische Hering" darauf verweist, wie man den Hering in der Küche zubereiten kann.
Abgeschlossen wird das schön gestaltete und mit vielen Abbildungen versehene Buch mit sechs Heringsportraits, von denen eines der Sprotte gewidmet ist, die es fast in jedem Ostseehafen für wenig Geld zu kaufen gibt.

Holger Teschke: Heringe. Ein Portrait
Matthes & Seitz, Berlin 2014
119 Seiten, 18 Euro