Kulturgeschichte des Dodo

Rätselhafter Vogel zum Liebhaben

28:37 Minuten
Eine künstlerische Darstellung zeigt vier Dodo-Vögel, die über eine natürliche Brücke in einem Wald laufen.
Künstlerische Darstellung des Dodos. Wie genau der ausgestorbene Vogel aussah, weiß man heute nicht. © imago / StockTrek Images
Von Astrid Mayerle · 27.02.2019
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Der Dodo lebte einst auf der Insel Mauritius und ist vor etwa 300 Jahren ausgestorben. Schon immer hat dieser flugunfähige Vogel die Phantasie der Menschen angeregt. Er schaffte es sogar in das Kinderbuch "Alice in Wonderland".
Alles, was wir heute von ihm haben: die entschlüsselte DNA, mehrere Seiten lang, sehr viele Knochen, sortierte Knochen, unsortierte; Skelette, manche mit Kopf, manche ohne; unzählige Zeichnungen und Bilder, eines davon bei "Alice in Wonderland"; dreidimensionale Rekonstruktionen in Museen, solche aus der Nachkriegszeit und ein paar aus den letzten Jahren.
Enting: "Fast alle Skelette, die man irgendwo in irgendwelchen Museen sieht, sind aus Einzelknochen zusammengesetzt, die dann passend zusammengestellt wurden. Die gehören nicht zu einem Individuum."
Alles, was wir von ihm nicht haben: Niemals konnte jemand seinen Balzruf aufzeichnen, weder den eines Männchens noch den eines Weibchens. Kein einziges erhaltenes Federkleid. Nirgendwo auf der Welt gibt es einen ganzen präparierten Dodo, nur mehr ein paar vertrocknete, schlecht konservierte Körperteile. Der Berliner Lyriker Mikael Vogel hat ihm ein Gedicht gewidmet, mit dem Titel: "Die Summe aller Dodo-Fragmente"
"Was vom Zusammenprall
Von Mensch und Dodo übrigbleibt: Der
Rechte Fuß, Kopf in Oxford; ein Kopf in Kopenhagen
Ein Oberkiefer, paar Beinknochen in Prag.
Übrige Knochen subfossil..."

Es gibt so viele Rätsel

Allein aufgrund der spärlichen Überlieferungslage gibt der Dodo allen, die sich heute mit ihm beschäftigen, ungeheure Rätsel auf – Biologen, Ornithologen, Präparatoren. Um die Rätsel um sein Aussehen, seine Lebensweise und die Gründe für sein Aussterben zu lösen, arbeiten sie alle mit Überlieferungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, als Seefahrer auf Mauritius landeten, wo der Vogel ursprünglich lebte.
Peter Mundy war damals britischer Kaufmann und Schriftsteller, elf Jahre lang war er bei der East Inda Company angestellt und schrieb auf seinen Reisen regelmäßig Schiffstagebuch. Im März 1634 bedauert er, dass das Schiff, mit dem er auf dem Rückweg von Indien nach England unterwegs ist, an Mauritius vorbeifährt, aber er notiert alles, was er über die Insel weiß. Und er weiß auch etwas über diesen rätselhaften Vogel auf Mauritius, den Dodo:
"Die Dodos – eine merkwürdige Geflügelart, doppelt so groß wie eine Gans. Sie können weder fliegen noch schwimmen, haben Klauen. Ein Wunder, wie sie dahin kommen konnten, denn man hat sie noch nirgendwo sonst auf der Welt gesichtet. Ich sah zwei von ihnen im Suratt House, als sie von dort weggebracht wurden..."
Das "Suratt House" war ein Lager im heutigen indischen Surat, damals eine wichtige Hafenstadt. Hier wurde die Fracht bis zur Abfahrt der Schiffe deponiert. Die portugiesischen, holländischen und britischen Seefahrer hatten einen eher kuriosen Blick auf das Tier. Sie bemerkten zwar einige Besonderheiten, studierten es aber nicht umfassend, wie es heute Ornithologen wie Gerald Mayr vom Senckenberg Naturmuseum Frankfurt tun:

"Ganz sicher durch Seefahrer überliefert ist, dass dieser Vogel unglaublich zutraulich war. Das ist etwas, was man oft bei Vögeln auf Inseln findet. Der war so zutraulich, dass man sich dem ohne Weiteres nähern und mit Knüppeln totschlagen konnte. Das ist etwas, was Seefahrer sehr gern berichtet haben."


Totschlagen? Ja, totschlagen: denn Dodos dienten den Seeleuten als Reiseproviant. Mauritius, die Hauptinsel der Maskarenen, war ein wichtiger Stützpunkt, um die Proviantvorräte für den Rest der Reise aufzufüllen. Denn auf der 5000 Kilometer langen Überfahrt bis nach Indien gab es keine weitere Zwischenstation mehr. Also wurden Dodos zusammen mit essbaren Meeresschildkröten an Bord mitgenommen. Allerdings klagten die Seefahrer, dass das Fleisch der Vögel nicht besonders zart schmecke, sondern auch nach langem Kochen zäh blieb.
"Wir wissen über die Lebensweise des Dodos gar nicht so viel, weil das von den frühen Seefahrern gar nicht so beachtet wurde, wie der gelebt hat. Mauritius war damals viel stärker bewaldet als heutzutage. Ein Großteil der ursprünglichen Vegetation ist inzwischen abgeholzt, vor allem für Zuckerrohrplantagen durch die europäischen Seefahrer und Besiedler, die ersten Besiedler. Der Dodo hat mit Sicherheit am Boden gebrütet, und es war vermutlich ein Vogel, der eher in den unteren, in den Tieflandwäldern von Mauritius gelebt hat."
Vermutlich ernährte sich der Dodo, den Biologen auch "Dronte" nennen, vor allem vegetarisch. Er soll aber auch Krebse und Muscheln in der Ufergegend gesammelt und verzehrt haben. Letzteres würde seinen großen Schnabel und den scharfen Haken an dessen Spitze erklären.
Zeichnung eines Dodos.
Der Dodo landete oft im Kochtopf der Seefahrer.© imago/Ikon Images/Paul Roget

Dodo-Rekonstruktionen beruhen auf falschen Annahmen

Leber: "Der Ursprung meiner Leidenschaft geht zurück auf das Jahr 1981, als wir im Studium eine Laufstafette etabliert haben, von St. Gallen nach Zürich, mit 14 Läufern. Weil wir kein gutes Team waren, haben wir überlegt, wer kommt der Leistungsfähigkeit unseres Teams entgegen von der Symbolkraft. Der Dodo in seiner Langsamkeit und Unbeholfenheit war exakt das, was unser Team ausmacht, wir waren mit bei den letzten zehn Prozent der Läufer."
Erzählt Hendrik Leber, der zusammen mit seiner Frau Claudia Giani-Leber die neue Dodo-Rekonstruktion im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt gestiftet hat.
Hildegard Enting, Präparatorin am Senckenberg-Museum, teilt mit den Stiftern der neuen Dodo-Rekonstruktion ihre Neugier und ihr Forscherinteresse an dem Tier. Sie prüfte die jüngsten Forschungsergebnisse auf ihre Überzeugungskraft, diskutierte immer wieder mit Kollegen ihre eigenen Schlussfolgerungen und die weiteren Schritte bei der Herstellung ihres neuen, lebensgroßen Modells des Vogels. Schließlich ist eine Rekonstruktion mit handgefärbten Fasanenfedern echte Maßarbeit, in der hunderte von Arbeitsstunden stecken.

Enting: "Ich hab als Grundlage für die Dodo-Rekonstruktion Maße verwendet aus einer Veröffentlichung, die 2016 erst erschienen ist. Und zwar haben Wissenschaftler zwei Dodo-Skelette eingescannt und vermessen und dann auch interpretiert, von denen man weiß, dass sämtliche Knochen jeweils einem Individuum zuordenbar waren, so dass die Proportionen auch stimmen und das hab ich dann meinem Dodo zugrunde gelegt."
Die meisten Dodo-Rekonstruktionen in Naturkundemuseen beruhen auf falschen Annahmen und auf Fehlinterpretationen des Ausgangsmaterials. Immer wieder haben sich Wissenschaftler auf die Daten von Vorgängern verlassen und Fehler einfach übernommen. Die meisten rekonstruierten Dodos bräuchten – aus heutiger Perspektive – erstmal eine Diät, so auch jener im Museum für Naturkundemuseum Berlin, der 1949 entstanden ist. Jürgen Fiebich, Präparator:

"Vielleicht waren die Tiere sehr viel schlanker. Das kann auch daran liegen, dass die Maler der damaligen Zeit, die nur gefangene Tiere gemalt haben, wirklich relativ fette Tiere gemalt haben, die aufgrund der Gefangenschaftshaltung und der völlig falschen Ernährung wirklich fett waren. Das wäre eine Interpretationsmöglichkeit."
Auf zahlreichen Barockgemälden taucht der Dodo als ziemlich draller Vogel mit üppigem Puschelschwanz auf. – Beides ist wohl dem Geschmack der Zeit geschuldet. Die überlieferten Bildzeugnisse, auch die Barockgemälde, noch einmal kritisch zu sichten und zu überlegen, welche Darstellungen davon zuverlässig sein können, gehörte zu den großen Herausforderungen der Präparatorin Hildegard Enting und gleicht wahrer Detektivarbeit.


Aus den zahlreichen Skizzen und Ölbildern hat die Präparatorin eine sehr strenge Auswahl getroffen: Nur zwei zu Lebzeiten des Dodos entstandene Bildquellen erscheinen ihr verlässlich: Die erste besteht in den so genannten Gelderland-Skizzen. Kombinierte Bleistift-Tuschezeichnungen aus dem Logbuch der Gelderland, dem Flaggschiff jener holländischen Seeflotte, die 1601, unterwegs nach Indien, an der Black River Bay auf Mauritius ankerte. Die zweite wichtige Quelle besteht in einer farbigen indischen Miniatur des Malers Ustad Mansur. Beide Bildzeugnisse überzeugten Hildegard Enting in der Ausführung der Details.
Vermutlich waren beim Gelderland Logbuch mindestens zwei, vielleicht sogar drei Zeichner am Werk. Der Talentierteste, ein ausgesprochen versierter Künstler, hat den größten Part von allen:
"Man hat den Vergleich, wie gut der zeichnen kann, denn der Dodo ist nur ein Vogel, der entdeckt und der gezeichnet wurde und überliefert wurde in diesem Logbuch. Es gibt auch andere Zeichnungen von Papageien, von Schildkröten, von Fischen. Man kann immer noch sagen, aha, das ist ne Karettschildkröte."
Der britische Ornithologe und Paläontologe Julian Hume ist selbst auch als Zeichner für die Wissenschaft tätig. In seiner Forschung und seinen Büchern hat er sich auf ausgestorbene Tierarten spezialisiert. In der Internetdatenbank "Archives of Natural History", veröffentlicht von Edinburgh University Press, findet man Julian Humes ausführliche Auseinandersetzung mit dem Gelderland-Logbuch. – Seiner Meinung nach eine der wichtigsten Quellen für die Dodo-Forschung:

Hume: "Die Bedeutung dieser Zeichnungen kann gar nicht überschätzt werden, weil sie verglichen mit fast allen anderen Abbildungen die korrekten Proportionen der Vögel zeigen."
Ein Dodo-Exponat im Natural History Museum in London.
Ein Dodo-Exponat im Natural History Museum in London. © imago/ZUMA Press/Matt Cetti-Roberts/LNP

Nach der Zeichnung in den Topf

Obwohl manche Tierdarstellungen auch farbig in Aquarell ausgeführt sind, beschränkten sich die Kollegen, die den Dodo zeichneten, auf Bleistift und dunkle Tusche. Leider können die Gelderland-Skizzen daher keinen Aufschluss über die Farbigkeit des Vogels geben. Sie zeigen ein kräftiges Federtier mit sehr kleinen Flügeln, dafür mit einem großem Kopf und einem sehr markanten Schnabel. Allerdings enthält das Logbuch auch eine besondere Zeichnung: einen toten Dodo. Er liegt wie schlafend auf der Seite, spreizt die Beine von sich und streckt den spitzhakigen Schnabel dem Betrachter entgegen. Ein rätselhaftes Bild: Warum hielt der Zeichner einen toten Dodo fest?
"Ich denke mal, weil es um einiges einfacher ist. Man hat die Ruhe, der Vogel liegt da und es ging auch um Dokumentation. Was hat man gesehen, was gibt’s für Neuentdeckungen und da war die Welt zu hause sehr neugierig drauf. Es ist immer einfacher, was Unbewegliches zu zeichnen als Tiere in Bewegung."
Der britische Ornithologe und Paläontologe Julian Hume hat noch eine andere Erklärung:
"Man kann sich vorstellen, dass die Mannschaft nach Monaten auf hoher See nur zwei Dinge im Kopf hatte, wenn sie einen Vogel wie etwa den Dodo sahen: Können wir den fangen und können wir den essen? Bestimmt kam der tote Dodo, sofort nachdem die Zeichnung fertig war, in den Topf."
Tatsache ist, der tote Vogel hat einen sehr fein ausgearbeiteten Schnabel mit jenem markanten Haken an der Spitze, den auch Hildegard Entings Dodo aufweist. Auch die sehr kleinen Stummelflügel hat die Präparatorin für den Senckenberg-Dodo übernommen. Sicher ist, dass sich die Flügel zurückgebildet haben, weil der Dodo auf Mauritius keine natürlichen Feinde hatte und sich daher das Fliegen einfach abgewöhnen konnte. Nebenbei: Der talentierteste unter den vermutlich drei Zeichnern auf der Gelderland Joris Joostenszoon Laerle, war eigentlich wegen eines anderen Jobs an Bord gekommen, nämlich als Steuermann.
Enting: "War aber nicht besonders tauglich als Steuermann, war auch für die Kranken zuständig und er wurde dann abkommandiert zum Zeichnen, weil da hatte er wohl ein außergewöhnliches Talent."
Ustad Mansur, zu Deutsch "Meister Mansur", war einer der wichtigsten Hofmaler des indischen Mogulreichs. Er begleitete die Herrscher auf Reisen und war bereits in seiner Zeit bekannt für seine naturgetreuen Vogeldarstellungen, die er alle sehr fein mit einem enorm dünnen Pinsel ausführte.
Enting: "Das was wir immer noch nicht wissen: Dieser Dodo – ist der ein Hahn oder eine Henne und wie stark war da der Geschlechtsdiphormismus? Hat der Hahn mehr Schmuck gehabt als ne Henne, und ist die Zeichnung von Ustad Mansur vielleicht ne Henne? Ich habe für meinen Dodo eher Maße für einen Hahn genommen, aber was sicher ist, ist auf jeden Fall die Farbe."

"Ein Patchwork aus Hautstücken mit Federn"

Daher trägt die Dronte im Senckenberg Naturmuseum wie jene auf der indischen Miniatur ein grau-braunes Federkleid. Kopf und Hals etwas dunkler als der übrige Körper. Das Gefieder hat Hildegard Enting besonders lange beschäftigt. Zwei Mal reiste der Vogel von Frankfurt nach Brandenburg. Denn dort sitzt ein Experte, der sich auf die Befiederung von Tierrekonstruktionen spezialisiert hat. Gerald Mayer, Ornithologe am Senckenberg Naturmuseum:
Mayr: "Die Rekonstruktion der Befiederung war aufwändig, weil es heute keinen Vogel gibt, der so eine Gestalt hat. Das ist ein Patchwork aus Hautstücken mit Federn und diese verschiedenen einzelnen Federstücke müssen so zusammengesetzt und zusammengeklebt werden, dass sie nachher anatomisch richtig aussehen bei diesem Modell. Das heißt, man muss Rücken und Baupartien zusammenkleben, das darf nachher auch nicht aussehen wie so ein zusammengeklebtes Patchwork, sondern das muss organisch aussehen, wie aus einem Guss quasi. "


"Nachdem sie etwa eine halbe Stunde gerannt und wieder ganz trocken waren, rief die Dronte plötzlich: "Der Wettlauf ist beendet!" und alle scharten sich um sie und fragten: ´Und wer hat gewonnen?`"
Über diese Frage musste die Dronte gründlich nachdenken, und lange stand sie da, einen Finger an die Stirn gelegt während die anderen schweigend abwarteten.
Seinen ersten großen Auftritt in der Literaturgeschichte hat der Dodo bei Lewis Carroll. Der britische Autor zeichnet den Vogel in "Alice in Wonderland" als einen etwas verwirrten Schiedsrichter in einem ziemlich chaotischen Wettrennen, an dem mehrere Tiere teilnehmen:
Illustration aus "Alice and the Dodo, Alice's Adventure in Wonderland" von Lewis Carroll. 
Illustration aus "Alice and the Dodo, Alice's Adventure in Wonderland" von Lewis Carroll. © picture alliance/dpa/Foto: Glasshouse Images
"Schließlich sagte die Dronte: ´Alle haben gewonnen, und jeder bekommt einen Preis.`"
Bereits die 1865 erschienene Erstveröffentlichung von "Alice in Wonderland" war mit Bildern des britischen Zeichners John Tenniel bestückt. Seine Darstellung hat sich als Inbegriff des Dodos ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, obwohl sie sehr vom tatsächlichen Aussehen des Vogels abweicht. Gerald Mayr:
"Der Hauptunterschied ist wahrscheinlich, dass der Dodo in unserer Rekonstruktion deutlich taubenähnlicher ist und nicht so fett aussieht wie der bei ´Alice in Wonderland`. Was auch ein Unterschied ist, ist die Färbung. Der Dodo bei "Alice in Wonderland" hat eine blaue Färbung, die historisch nicht belegt ist. Bei uns ist er eher bräunlich, was auf einigen Abbildungen belegt ist."
Dennoch: Das Verdienst von Lewis Caroll ist es, dass er den damals ziemlich vergessenen Vogel wieder zurück in die kollektive Erinnerung gerufen hat. Seitdem taucht die Dronte in unzähligen Erzählungen, Kinderbüchern und Comics auf.
Vor allem haben ihn auch einige zeitgenössische Lyriker wie Mikael Vogel für sich entdeckt. Er widmete dem Dodo mehr als ein Dutzend Gedichte. Zum Teil treiben ihn dieselben Fragen um wie die Naturwissenschaftler: wie hat der Dodo gelebt, warum hat er das Fliegen aufgegeben, weshalb ist er wohl ausgestorben? Gleichzeitig interessiert sich Mikael Vogel auch für die Kulturgeschichte und die literarischen Auftritte des Dodos.
"Es gibt noch eine Theorie, dass Lewis Caroll, der mit bürgerlichem Namen Dogson hieß und stotterte, in dem Dodo in ´Alice im Wunderland` sich selbst verkörpert habe, dann stotterte, wenn er sich irgendwo vorstellte und versuchte, seinen Namen zu sagen. Dann sagte er Do-Do-Dogson, dann klang sein Namen wie Dodo."

"Sein etwas ungeschicktes Auftreten"

Michael Vogel ist allerdings auch der Meinung, dass Lewis Caroll dem Tier mit seinem Auftritt als etwas vertrotteltem Wettkampfschiedsrichter einen ziemlichen Imageschaden verpasst hat, der leider noch immer nachwirkt. Daher thematisiert er in seinen Gedichten die Klischeevorstellungen, die der Mensch über die Jahrhunderte vom Dodo entwickelt hat und welchen Teil der Mensch an seinem Aussterben hat.
Moritz Eggert, "Drei Seelen"
"Was schwiegen die größten jemals gelebt habenden Papageien, die Mauritius-Papageien, euch zu?
Nach und nach immer zahlreicher gebettet: mit ausge-
Rotteten Mauritius-Riesenskinken, Rauchgrauen Flughunden
Zwei Riesenschildkröten, den
Weit und breit vor Ankunft der Schiffe gewaltigsten Raubtieren. Mauritius-Eulen-
Eure anthropozentrische Bande, bei
Soviel Stillhalten
Wo heute
Neben eurem aufgeschütteten, von einer Zuckerplantage umgebenen Sumpf
Die Flüge vom Internationalen Flughafen Aufsteigen."

Jene Flüge, von denen in Mikael Vogels Gedicht die Rede ist, bringen natürlich auch die Dodo-Aficionados auf die Insel, die die heutige Forschung unterstützen wie Claudia Giani-Leber und Hendrik Leber, die Stifter der Rekonstruktion im Senckenberg-Museum. Sie waren bereits mehrere Male auf Mauritus, auch im Naturkundemuseum in der Hauptstadt der Insel, Port Louis, wo nicht nur eines der wenigen sehr gut erhaltenen Skelette zu sehen ist.
Claudia Giani-Leber: "Uns gefällt dieser Vogel einfach, wir mögen seine Formen, sein etwas ungeschicktes Auftreten und wir können uns sehr erfreuen an dem Anblick dieses Vogels, auch an den Gemälden, die dort zu sehen sind."
Bekennt Claudia Giani-Leber. Die Gemälde dort sind zum Teil nach barocken Meistern angefertigte Kopien, etwa nach Ölbildern von Roelant Savery. Letzterer hat vielleicht in seiner Heimat Holland einen lebenden Dodo sehen können. Das Museum in Port Louis zeigt außerdem Postkarten, Banknoten und Münzen mit dem zum Markenzeichen der Insel gewordenen Tier.


Die Kunstgeschichte, allen voran einige europäische Barockmaler, haben das – leider unstimmige – Bild der sehr fülligen Dronte nachhaltig geprägt, bis hin zu ihrem Auftreten in aktuellen Kinderfilmen. Einer der Hauptverantwortlichen ist der Holländer Roelant Savery, zwischen 1604 und 1611 Hofmaler von Kaiser Rudolf II. in Prag. Julian Hume:
"Er war wirklich der produktivste Dodo-Maler, er malte über zehn Bilder mit dem Vogel. Aber seine Gemälde sind nicht naturgetreu, etwas an ihnen ist nicht echt. Seine Dodos wurden immer fetter, je mehr er malte."
Das Gemälde "Dronte" von George Edwards
Das Gemälde "Dronte" von George Edwards (1694- 1773).© picture alliance/dpa/Foto: akg-images

Kurioser "Phantasiegarten" mit Dodo in Berlin

Dennoch sind Saverys Gemälde großartige Werke. Die staatliche Gemäldegalerie Berlin besitzt eine etwa 80 x 140 Zentimeter messende "Paradiesdarstellung" von ihm. Ein kurioser Phantasiegarten, in dem europäische Tiere wie Hennen, Adler und Hirsche unmittelbar neben fremdländischen wie Papageien, Löwen, Kamelen, Straußen und Affen auftauchen. Sie alle umgeben friedlich das erste Menschenpaar, Adam und Eva. Die beiden halten sich, etwas in die Ferne gerückt, an den Händen, während sich die Schlange von einem Baum in ihrem Rücken herabwindet.
Und der Dodo? Er hat in dieser Paradiesdarstellung einen besonders markanten Platz bekommen: Ganz im Vordergrund, am rechten unteren Bildrand taucht er im strengen Seitenprofil auf, etwas distanziert von der übrigen Tierwelt und dem Betrachter von allen Tieren am nächsten.
Dieser Dodo ist Teil eines sehr repräsentativen Szenarios, das auf die Herrschergärten des 17. Jahrhunderts zurückgeht. Die Regenten wollten die Welt bei sich zu hause haben. Sie sammelten alles, was von anderen Kontinenten zu kriegen war. Sie ließen die von Seeleuten mitgebrachten Tiere, Pflanzen, Gewürze und Edelsteine naturwissenschaftlich untersuchen und umfangreiche Kompendien anfertigen. Kurz: sie wollten die gesamte, damals bekannte Welt erfassen und vor allem auch zeigen.
Das Genre der "Paradiesdarstellung" eignete sich daher wie kaum ein anderes dazu, ein Phantasiebild zu schaffen, in dem möglichst viele der bis dahin bekannten exotischen Tierarten auf einheimische trafen. Diese Art, die Tiere festzuhalten, hatte auch eine dokumentarische Funktion: Denn vielen der von Übersee mitgebrachten Vögeln und anderen Arten, – vermutlich auch den auf Mauritius eingefangenen Dodos – war in den europäischen Herrschergärten keine lange Lebenszeit beschieden.

Enting: "Ich kann´s mir, ehrlich, nicht vorstellen, dass die lange überlebt haben. Allein, dass die die Schiffsreise überlebt haben, ist schon außergewöhnlich (...) Ich glaube nicht lange, ein paar Monate, ein Jahr. Je nachdem, hier war das Wetter anders, die Nahrung war ne andere. Ich denke, nicht mehr als ein paar Monate."

Wie sind die Barockgemälde entstanden?

Hildegard Enting vermutet sogar, dass die meisten Vögel nicht lebend in Europa ankamen. Kann es sein, dass die Dronten auf den Barockgemälden dennoch nach lebenden Vorbildern entstanden sind oder vielleicht eher nach Präparaten, die in Amsterdam, Prag oder London angefertigt wurden? Eine überzeugende Antwort auf diese Frage findet sich in dem 2003 erschienenen Buch des holländischen Autors und Fotografen Jan den Hengst: "The Bird that drew the Shortstraw".
Der Dodo in den Bildern des Barockmalers Roelant Savery und in bei manchen Künstlern, die Savery wiederum kopiert haben, steht mit dem Betrachter auf Augenhöhe, auch wenn diese Art der Präsentation nicht zur übrigen Bildperspektive passt. Jan den Hengst ist überzeugt, dass Savery dieser Missgriff unterlief, weil er nach einem Präparat arbeitete:
"Warum sollte es sich der Maler selbst so schwer machen und vor einer Voliere auf dem Boden liegen? Eine Erklärung für diese Perspektive könnte einfach darin bestehen, dass er sein Objekt vor sich auf den Tisch gestellt hat. Vielleicht war es ein präpariertes Tier."
Hildegard Enting hat noch eine anderen Anhaltspunkt, warum die Barockmaler nach Präparaten gezeichnet haben: Meist sitzen die Nasenlöcher nicht an der richtigen Stelle:
"Auf den Gemälden von Roelant Savery da sieht man, der Schnabel ist so abgesetzt. Wahrscheinlich ist der Rest extrem stark zurückgeschrumpelt und auch die Form, auch die Nasenlöcher. Die gesamte Anmutung lässt darauf schließen, dass da ein starker Trocknungsprozess stattgefunden hat."
Also, dass ein präpariertes Tier als Vorlage für den Vogel in den Gemälden gedient hat.

Entschlüsselung des Dodo-Genoms

2016 haben Forscher das Dodo-Genom entschlüsselt. Bereits zwei Jahre zuvor schrieb die Lyrikerin Silke Scheuermann ein Gattungsportrait mit Ausblick auf einen Klonversuch:
"Es ist wahr, man kann zu verträumt sein zum Überleben. Neben dir spazierten immer mehrere Himmel einher. Ausschließlich freundliche andere Arten. Nun ja – bis wir kamen… Gott hat uns Wut geschenkt, dieses starke Gefühl ohne Richtung und Nutzen, und Appetit. Du, Dodo, bist dann rasch verschwunden, in diese andere Welt, in der Alice ewig versucht, von dir Wunderland-Spiele zu lernen. Aber uns reicht das nicht, wir wollen dich wieder. Niedlich, naiv, mit deinen treudoofen Nestern am Boden. Als harmlosen Kameraden für unsere Kinder denken wir dich. Glaub mir: Wir sind fast so weit. Dodo, du wirst wiedergeboren wie am Tag Das Sonnenlicht. Ich verspreche es dir: Du wirst unter den ersten sein, die wir machen."
Mayr: "Genetische Daten sind interessant, um rauszukriegen, mit wem der Dodo verwandt war. Das ist der Sinn und Nutzen von solchen genetischen Daten. Die sind sicher nicht dafür geeignet, irgendwann einen Dodo zum Leben zu erwecken."
Der Ornithologe Gerald Mayr ist skeptisch, dass ein Dodo, der mit einigen noch lebenden Taubenarten verwandt ist, also mit Vögeln, die wesentlich kleiner sind als er, irgendwann geklont werden könnte. Er hält eine Neuzucht selbst dann für unmöglich, wenn die gesamte DNA bekannt ist.
"Man könnte als Science Fiction Autor annehmen, dass man die DNA in so einen Eifollikel eines Vogels einpflanzen könnte und dann wieder einen neuen Dodo züchten könnte, aber das wird nicht funktionieren. Man weiß inzwischen, dazu ist mehr als die DNA nötig. Für das Wachstum eines Embryos sind auch Informationen aus dem Ei-Inhalt und aus den Mitochondrien – das ist ne andere Zellregion bei Tieren – nötig, um ein funktionierendes Wachstum bei Embryonen ermöglichen und dieses Informationen müssen von dem Elterntier derselben Art kommen und das hätte man im Fall vom Dodo gar nicht."
Und es gibt auch keine lebende Taubenart, die es mit dem extrem groß gewachsenen Dodo aufnehmen und ein adäquates Elterntier abgeben könnte. Übrigens sind die noch lebenden und mit ihm verwandten Taubenarten sehr kapriziöse Vögel, nämlich die ebenfalls in Frankfurt ausgestellte Mähnentaube mit ihrem schillernden, eleganten Kragen und die blau gefiedert Fächertaube mit ihrem filigranen Kopfschmuck und ihren rubinroten Augen.
Wer diese drei verwandten Taubenarten vergleicht, versteht, warum ausgerechnet der schlichte Dodo mit seinem großen Kopf die Menschen bis heute fasziniert: Er wirkt besonders sympathisch, nahbar und zutraulich. –Jedenfalls ist das die Quintessenz aus all jenen Bildern und Vorstellungen, die sich die Menschheit im Lauf der Jahrhunderte bis heute gemacht hat.
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