Kulturelle Auszeichnungen in Deutschland

Vom Problem, einen würdigen Preisträger zu finden

Der Literaturpreis "Hamburger Tüdelband" steht am 25.09.2015 im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg vor der Verleihung auf einem Tisch.
In keinem anderen Land werden so viele Preise vergeben wie in Deutschland, zum Beispiel der Literaturpreis "Hamburger Tüdelband". © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Andreas Wiesand im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.02.2019
Rund 5000 Kulturpreise werden jedes Jahr in Deutschland vergeben. Spötter behaupten, dass es für Autoren schwierig ist, nicht irgendwann geehrt zu werden. Ein Preisgeld ist nicht selbstverständlich - manchmal müssen die Ausgezeichneten sogar zahlen.
Es gibt in Deutschland jede Menge Preise für Schriftsteller, Maler, Musiker, Architekten und andere Künstler. Manchmal bekommt der Preisträger Geld - und manchmal keins. Und dann gibt es auch noch Auszeichnungen, für die der Geehrte sogar bezahlen muss - gekaufter Ruhm sozusagen.
"In Berlin wird jedes Jahr der Kulturmarken-Award mit großem Pomp vergeben. Damit Sie da überhaupt rankommen, müssen Sie erst mal 200 Euro löhnen - als Bewerber wohlgemerkt, dann hat man ihn ja noch nicht", sagte Andreas Wiesand, Herausgeber des "Handbuchs der Kulturpeise", im Deutschlandfunk Kultur.

Jede Institution möchte sich gern profilieren

Dass in keinem anderen Land so viele Preise vergeben werden, führte Wiesand auf die Tradition der Kleinstaaterei in Deutschland zurück: "Da will sich jeder territorial oder als Einrichtung, als Institution profilieren." Das könne unter anderem durch ein herausragende Echo auf eine Preisvergabe gelingen.
Allerdings bekämen die meisten Preise gar kein großes Echo, schränkte der Experte ein. Warum dann die Mühe? Für manche Kleinstadt sei die Auslobung eines Preises eine Form von Kulturförderung, die man sich noch leisten könne, sagte er. Tragisch nur: Es werde bei der Vielzahl von Preisen immer schwieriger, noch einen geeigneten Preisträger zu finden.
(bth)

Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Es muss doch möglich sein, herauszufinden, wie viele Kulturpreise es exakt in Deutschland gibt – haben wir uns unvernünftigerweise gedacht und damit erst mal ziemlich viel Arbeit gehabt, sind dann aber relativ schnell bei Andreas Wiesand gelandet, denn er ist der Herausgeber des "Handbuchs der Kulturpreise" und damit auch verantwortlich für das Internetportal kulturpreise.de. Schönen guten Morgen, Herr Wiesand!
Andreas Wiesand: Guten Morgen!
Kassel: Auf Punkt und dritte Nachkommastelle genau, wie viele Kulturpreise gibt es in Deutschland?
Wiesand: Ja, das möchte ich auch gerne wissen! Nein, im Ernst, es gibt wahrscheinlich so um die 5.000, wenn man unterscheidbare, wir nennen das Preiseinheiten nimmt. Also zum Beispiel gibt es ja oft einen Hauptpreis und einen Förderpreis. Wir zählen die dann als zwei, weil sie ja verschiedene Zielsetzungen haben. Deswegen kann man schon sagen, rund 5000. Damit sind wir sowas wie Weltmeister international gesehen, weil so viele Kulturpreise gibt es anderswo nicht.

Wenn ein Preis "Award" heißt ...

Kassel: Man kann sich das natürlich ständig bei jeder Preisverleihung fragen, wie viele gibt es eigentlich. Es gibt einen konkreten Anlass, warum wir uns das vor allen Dingen auch gestern gefragt haben, weil es vielen von uns neu war, dass es neben den dotierten und nicht dotierten Preisen auch Preise gibt, die quasi negativ dotiert sind, also die den Preisträger Geld kosten können. Der Award Deutscher Wohnungsbau ist ein Beispiel. Ist das auch eine ganze Kategorie, also war das nur uns neu, sagen Sie, das ist ein alter Hut, dass man manchmal auch Geld bezahlen muss, wenn man einen Preis kriegt?

... ist die kommerzielle Ausrichtung meist klar

Wiesand: Also das, was Sie gerade andeuten, erschließt sich schon ein bisschen mit dem Namen. Wenn etwas Award heißt, zeigt es schon, dass es ein bisschen die neue Zeit, die kommerzielle Welt von heute widerspiegelt, und da ist das dann nicht mehr so völlig unnormal. In Berlin wird ja jedes Jahr zum Beispiel der Kulturmarken-Award mit großem Pomp vergeben, und damit Sie da überhaupt drankommen, müssen Sie auch erst mal 200 Euro löhnen – als Bewerber wohlgemerkt, dann hat man ihn ja noch nicht. Also das ist ein bestimmter Trend und insofern nicht so ganz, ganz ungewöhnlich.
Kassel: Nun kann man sagen, es gibt Preise, die sind kommerziell und dienen ganz offensichtlich – und man versteckt das auch nicht richtig – der Verkaufsförderung, aber es gibt manchmal auch, ich würde es mal so nennen: versteckte oder unerwartete Kosten, auch im Kulturbereich. Aktuelles Beispiel: Bald beginnt wieder die Leipziger Buchmesse, und ich weiß von einem Fall, da ist ein Buch nominiert worden für einen der Preise der Messe, dessen Verlag eigentlich da keinen Stand hatte, und nun musste der Verlag nach der Nominierung ins Kleingedruckte gucken und sieht, ich muss aber verpflichtend einen haben, sonst kann man diesen Preis nicht bekommen. Das macht der jetzt auch, und die Freude ist vermutlich trotzdem groß, aber es kostet ja auch Geld. Also so versteckte Preise, sind die auch üblich?
Wiesand: Ja, aber da finden Sie mich ebenso wenig verwundert, weil wenn etwas im Namen schon sagt, wofür es vergeben wird, also in diesem Fall Preis der Leipziger Buchmesse, dann ist es, glaube ich, völlig normal, ja beinah legitim, dass das nur für Dinge geben kann, die da auch vorhanden sind, die vor Ort vertreten sind. Also das wundert mich jetzt weniger. Andere Sachen sind dann schon schwieriger. Also wenn Sie prinzipiell für einen für die Allgemeinheit ausgeschriebenen Preis gleich was löhnen sollen, na dann muss ich ehrlich sagen, überlege ich mir natürlich zweimal, ist die PR, die ich damit vielleicht habe, den Aufwand wert.

Der Rummel ist manchmal das Wichtigste

Kassel: Lassen Sie uns nicht nur über Geld reden. Es stellt sich natürlich eine dieser beliebten Fragen, die als Frage einfach sind, ich habe die Befürchtung, die Antwort ist es nicht so sehr: Bei so vielen Preisen – und selbst Fachjournalisten sagen ja immer wieder, okay, es gibt drei, vier, da berichten wir automatisch jedes Jahr drüber, und es gibt ganz, ganz viele, da fragt man sich immer als Fachmann, was ist das denn eigentlich, nie von gehört. Ergeben wirklich all diese Preise einen Sinn?
Wiesand: Man darf es nicht nur aus der Perspektive der Empfänger sehen, sondern man muss es auch aus der der Veranstalter sehen. Oft ist ja der ganze Bohei, der ganze Rummel um die Vergabe für manche schon das Wichtigste, das, was sie eigentlich dokumentieren wollen, also im Internet zeigen oder auch in der Presse als Bericht widergespiegelt sehen möchten. Also die Vergabe – der Event sagt man ja heute –, spielt eine immer größere Rolle, und insofern ist das auch ein Kriterium. Aber für manche kleine Stadt, was weiß ich, in der Provinz ist eben das die Art der Kulturförderung, die sie sich überhaupt leisten können. Insofern gilt da auch wieder ein anderes Kriterium. Es ist eigentlich eine ganz kostengünstige Art, etwas herauszuheben und zu fördern.
Kassel: Gerade wenn man das bedenkt, was Sie gesagt haben, dass es ja selbstverständlich auch einen Kulturpreis der Stadt Neustadt an der Schnellstraße gibt und ähnliches, dann hat man das Gefühl, ist das eigentlich was sehr Deutsches, so 3000 bis 5000 Preise, je nachdem – Sie haben es ja auch beschrieben – wie man das abgrenzt, was ein selbstständiger Preis ist, ist das anderswo in, sagen wir mal, Ländern mit einer vergleichbaren Struktur und Kultur auch so oder ist das typisch deutsch?

"Offensichtlich typisch deutsch"

Wiesand: Ja, es ist schon offensichtlich typisch deutsch, denn, wie gesagt, wir sind da Weltmeister, niemand hat sonst so viele, und das ist ein Stück weit die föderale, die Kleinstaaterei könnte man jetzt auch sagen, die wir ja über die lange Zeit, über die Jahrhunderte gepflegt haben, und da will jeder sich eben auch irgendwie territorial, örtlich oder auch als Einrichtung, als Institution profilieren. Dieses Profil kriegt man unter anderem auch eben durch das herausragende Echo, was man sich erhofft bei einer Preisvergabe. Das ist hier so und nicht immer zu recht. Also da kann man jetzt natürlich auch kritisch drauf gucken und sagen, also die meisten haben ja gar nicht dieses Echo, warum macht man sich da die große Mühe. Es ist in der Tat auch in der Provinz oft ein Problem, noch einen würdigen, einen geeigneten Preisträger überhaupt zu finden.
Kassel: Wenn Sie mal jemand fragt, geben Sie meine E-Mail-Adresse wirklich weiter, ich habe noch keinen! Aber es gibt natürlich bei Ihnen im Internetportal auch die Rubrik "Neue Preise", da kommt auch immer was dazu, aber was ich viel spannender finde: Verschwinden eigentlich auch manchmal Preise vom Markt?
Wiesand: Ja, doch eine ganze Menge, die kommen bei uns dann, wenn wir das alles mitbekommen, kommen bei uns dann trotzdem noch vor. Man markiert die dann aber als eingestellt oder ruhend oder irgend so etwas. Für mich sind diese Preise auch ein bisschen der Spiegel des Kulturlebens überhaupt in den letzten 70 Jahren. Die können wir so lange zurückdokumentieren. Da zeigt sich dann auch, dass es zwar mehr Preise von privaten Stiftern gibt, dass die aber auch früher wieder eingestellt werden, wenn sich aus Sicht der Marketingabteilung die Sache nicht mehr rechnet.
Kassel: So, zum Schluss jetzt Butter bei die Preise: Wenn Sie die Neueinträge aufnehmen oder auch wenn Sie mal den Bestand bearbeiten, egal ob für das Internet oder für die Druckausgabe, wie oft müssen Sie lachen?

Manchmal wird es zur Lachnummer

Wiesand: Na ja, ich lache oft weniger über die Preise selber. Das ist ja aller Ehren wert meistens, was da gegründet wird. Jetzt hat gerade das Saarland den Ludwig-Harig-Preis, weil der gestorben ist, also das ist auch eine Art Ehrung, und da lacht man dann nicht drüber, sondern freut sich irgendwo auch, weil es doch was sehr Individuelles ist, was sich da abspielt, aber auf der anderen Seite kann man natürlich auch lachen, wenn sich Leute zu große Hoffnungen machen, und das sind gerade diese Eventpreise, diese Awards, diese neuen, die zum Teil doch etwas bizarr daherkommen. Jetzt in Dresden oder im Ruhrgebiet werden teilweise welche vergeben, da geht es wirklich nur um die Prominenz der Ausgezeichneten. Die brauchen das natürlich überhaupt nicht mehr, und eigentlich kann es dann schon auch mal zu einer Lachnummer werden.
Kassel: Andreas Wiesand, der Herausgeber des "Handbuchs der Kulturpreise" und damit auch verantwortlich für das Internetportal kulturpreise.de. Herr Wiesand, herzlichen Dank für das Gespräch!
Wiesand: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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