Belästigungsvorwürfe gegen Starsänger

Hat Plácido Domingo seine Position ausgenutzt?

06:32 Minuten
Placido Domingo steht bei einer Nabucco Aufführung vor dem Orchester und singt.
Er habe geglaubt, dass seine Handlungen und Beziehungen einvernehmlich waren. So kommentierte Placido Domingo die Vorwürfe gegen ihn, er habe seine Macht als Musikdirektor missbraucht. © Getty Images / Phillip Faraone
Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Mehrere Frauen werfen dem Sänger Plácido Domingo sexuelle Belästigung vor. Die Fälle reichen zurück bis in die 1980er. Wie damit umgehen? Möglicherweise könnte eine Schiedsstelle für Konflikte der Vergangenheit helfen, meint der Kritiker Jörn Fuchs.
Er habe die Karrieren von Frauen zunächst durch die Vergabe von Hauptrollen gefördert und dann dafür im Gegenzug erwartet, dass diese mit ihm eine Beziehung eingehen würden. So lauten die Vorwürfe von acht Sängerinnen und einer Tänzerin gegen den spanischen Startenor und Dirigenten Plácido Domingo, der in den neunziger Jahren unter anderem als Musikdirektor an der Oper in Washington über die Besetzung von Rollen entscheiden konnte.
"Es geht um Übergriffe, um Anmache – mehr oder minder uncharmant – manchmal vielleicht auch in einem Bereich, der nicht ganz so dramatisch ist, also dass er mal zu einer Sängerin gesagt hat, 'wollen Sie wirklich nach Hause gehen?'", erklärt Musikkritiker Jörn Florian Fuchs.

Annäherungen auch auf der Bühne

Dies sei zwar vielleicht per se noch nicht so schlimm, so Fuchs, allerdings soll es auf der Bühne auch immer wieder zu Annäherungen gekommen sein, wo der Sänger dann auch übergriffig geworden sein soll. Das habe ihm, so Fuchs, auch eine Statistin der Wiener Staatsoper bestätigt:
"Sie sagte, das ist nicht nur ein Gerücht. Sie hat es nicht bei sich, aber bei Kolleginnen erlebt", so Fuchs. "Das bedeutet, dass Domingo auch keine Scheu hatte, sich vor anderen nicht nur als großer Liebhaber und Frauenfreund in Opernrollen, sondern auch im echten Leben zu zeigen."
Leider wundere sich wieder einmal niemand darüber. Seit Monaten recherchiere die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP und befrage Festivals und Opernhäuser. Zehn Frauen hätten sich bisher zu Wort gemeldet, bis auf eine Sängerin anonym. Er könne sich vorstellen, dass sich – wie bei vielen Vorwürfen in dieser Richtung gegen große Stars – in den nächsten Tagen weitere Betroffene öffentlich äußern könnten.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, glaube allerdings nicht, dass die Vorwürfe zuträfen, und halte zu Domingo. Bisher sei weiterhin vorgesehen, dass der Tenor in ein paar Tagen in Salzburg auftreten werde, erklärt Fuchs. In den USA gebe es aber erste Absagen:
"Es ist gerade bekannt geworden, dass Philadelphia die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Und die Los Angeles Opera hat angekündigt, dass man eine intensive Untersuchung machen wird. Das weist schon darauf hin, dass das so glimpflich, wie es in anderen Fällen war, vermutlich dann doch nicht laufen wird."

Schiedsstelle könnte künftige Fälle schlichten

Die #MeToo Debatte mit prominenten Fällen – wie die von Harvey Weinstein oder Kevin Spacey – zeige, dass es einen deutlichen Bewusstseinswandel gebe, welche Anstandsregeln heute im Gegensatz zu denen von vor 50 Jahren gelten würden. Für künftige Fälle könne er sich die Einrichtung einer internationalen Schiedsstelle vorstellen, sagt Fuchs:
"Die versucht zwischen den Beschuldigten und den Beschuldigern zu vermitteln. Man kann ja auch nicht sagen: 'Vor 40 Jahren hat mir mal jemand wohin gefasst'. Soll deswegen jemand seinen Job verlieren? Vielleicht kann man über eine solche Schiedsstelle versuchen, doch noch einen Interessensausgleich zu kriegen."
(mle)
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