Kulturanthropologin über "Mary Poppins"

"Superheldin und Sozialarbeiterin"

Emily Blunt is Mary Poppins, Joel Dawson is Georgie, Pixie Davies is Annabel and Nathanael Saleh is John in Disney’s MARY POPPINS RETURNS, a sequel to the 1964 MARY POPPINS, which takes audiences on an entirely new adventure with the practically perfect nanny and the Banks family.
Neuverfilmung eines Klassikers: Emily Blunt ist die neue Mary Poppins © UNIT / Walt Disney Company
Francis Seeck im Gespräch mit Max Oppel · 21.12.2018
Die Filmfigur Mary Poppins ist das Kindermädchen, das alle Probleme einer Familie löst. Wie passt die Neuverfilmung "Mary Poppins' Rückkehr" in eine Zeit, in der über neue Familienmodelle, überforderte Alleinerziehende und Sorge-Arbeit gestritten wird?
Mary Poppins ist das Kindermädchen, das vom Himmel fällt, um die unliebsame Hausarbeit zu machen, Kinder zu hüten und der Familie wieder Freude im tristen Alltag einzuhauchen. Sie verkörpert damit die klassischen Frauenrollen. Der Musical-Film von 1964 gewann fünf Oscars und gilt als einer von Disneys größten Erfolgen.
Julie Andrews in dem Disney-Film "Mary Poppins" von 1964
Julie Andrews in dem Disney-Film "Mary Poppins" von 1964 © imago/Cinema Publishers Collection
Jetzt kehrt die Figur unter dem Titel "Mary Poppins' Rückkehr" ins Kino zurück und ist wieder mit magischen Fähigkeiten ausgestattet.
"Ich finde, man könnte sie auch als eine Art Superheldin bezeichnen oder vielleicht auch als eine Sozialarbeiterin", sagt die Kulturanthropologin Francis Seeck. "Sie taucht plötzlich in der Familie Banks auf und löst all deren Probleme. Sie ist sehr selbstbewusst, von sich überzeugt, sehr schlagfertig und kompetent und verkörpert eine pure Überlegenheit gegenüber den männlichen Figuren im Film."

Ausgelagerte Sorge-Arbeit

Seeck forscht an der Humboldt-Universität Berlin, wer in dieser Gesellschaft die Haus-, Sorge- und Pflegearbeit macht und interessiert sich besonders für die im Film dargestellten Geschlechterbilder. Sie sagt über das Original:
"Die Familienmutter ist Feministin und setzt sich für Frauenrechte ein, ist aber in ihrer Rollendynamik mit ihrem Ehemann noch alten Klischees verhaftet und lagert die Sorge-Arbeit an Mary Poppins aus. Mary Poppins selbst finde ich für diese Zeit eine relativ selbstbewusste und emanzipierte Frauenfigur."
In dem neuen Film "Mary Poppins' Rückkehr", der jetzt in unseren Kinos ist, spielt der Junge Michael Banks die Hauptrolle. Der alleinerziehende Vater von drei Kindern, dessen Frau verstorben ist, ist "komplett überfordert mit der Sorge-Arbeit", sagt Seeck:
"Er steckt in einer tiefen Krise. Es ist gerade die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Sie sind von Zwangsräumung betroffen. Und genau in dem Moment kommt Mary Poppins zurück – 20 Jahre später. Und hilft dem alleinerziehenden Vater. Und es ist dann wieder eine Frau, die dafür bezahlt wird, dass sie die Sorge-Arbeit übernimmt."

"Die Familie wieder glücklich machen"

Auch in dem neuen Disney-Film werde ein bürgerliches Kleinfamilien-Idyll der 30er-Jahre transportiert. Über Poppins Privatleben erfährt man nichts, aber man erlebt, wie sie ihre Arbeitsbedingungen selbstbewusst aushandelt, sagt Seeck. Lobend hebt sie hervor:
"Trotzdem finde ich, dass der Film auch einen feministischen Anspruch hat oder zumindest ein sehr starkes Frauenbild vermittelt, wo die Sorge-Arbeitende auch die klaren Grenzen setzt, über ihre Arbeitsbedingungen entscheidet, aber natürlich ist sie dafür da, die Familie wieder glücklich zu machen – und sobald die Familie wieder glücklich ist, verlässt Mary Poppins das Geschehen."
(cosa)
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