Kultur im Fernsehen

Von Michael Meyer · 25.04.2007
Die Gleichung Kultur gleich Hochkultur gleich gutes Fernsehen – und vor allem viele Zuschauer – geht selten auf. Programmperlen wie die "Kulturzeit" erreichen nur eine Minderheit. Neue Sendeformen ausprobieren und eine Emanzipation von der Quotendiskussion waren Vorschläge aus der Akademie der Künste bei der Debatte "Das Fernsehen und die Kultur".
Man kann es sich einfach machen, wie unlängst das Hamburger Magazin "Stern": In einer Bestandsaufnahme wurde dem deutschen Fernsehen Trivialisierung, Qualitätsverlust und Irrelevanz vorgeworfen – das Fazit lautete daher: Glotze aus.

So einfach könne man es sich jedoch nicht machen, meinte Cooky Ziesche, beim Rundfunk Berlin-Brandenburg zuständige Fernsehfilm-Redakteurin. Fernsehen sei ein sich ständig veränderndes Medium und zumindest beim Genre Fernsehfilm könne man in Deutschland nur von "paradiesischen Zuständen" reden:

" Ich begreife Fernsehen als Alltagskultur und es ist ganz klar, dass man dann auch auf die veränderten Bedürfnisse der Menschen reagieren muss. (....) Heute wissen wir ganz klar, was die Öffentlich-rechtlichen können, und wir wissen auch ganz klar, was die Privaten können, das grenzt sich auch voneinander ab und kann nebeneinander existieren. (....) Ich finde nur, wenn man sich die Programme in anderen Ländern anguckt, dann ist hier der Leidensdruck auf äußerst hohem Niveau. "

Doch dem können nicht alle Teilnehmer der Debatte zustimmen: Dietrich Leder, Medienwissenschaftler der Fachhochschule Kunst und Medien in Köln, meint, dass es im Laufe der Jahre durchaus eine Art Konvergenz der Öffentlich-rechtlichen an die Privaten Programme gegeben habe. Sicherlich nicht in allen Bereichen, sicher auch nicht in den Spartenprogrammen wie Arte, 3sat oder Phoenix – durchaus aber in den Hauptprogrammen, meint Dietrich Leder:

" Ich glaube, dass Dilemma, in dem ARD und ZDF heute stehen, ist nämlich das alte Selbstbewusstsein, mit dem sie Mitte der achtziger Jahre in die Konkurrenz gegangen sind, verloren haben, und tatsächlich, dass, was Überanpassung war an den Aggressor, heute Teil der Wirklichkeit ist. Es ist nicht mehr ein selbstbewusstes Agieren, sondern es ist ein wechselseitiges Reagieren, und das hat Folgen. Und ich glaube, dass es heute darum geht, das Öffentlich-rechtliche Selbstbewusstsein zurück zu gewinnen und zu sagen: Was bleibt? (...) Es gibt natürlich eklatante Verluste, ..., das nämlich die Künste, nicht die Kultur, Alltagskultur ist heute alles, ein Film über die Pommesbude ist höchste Kultur, sondern die Künste, wie sie im Fernsehen vorkommen, und das sind Schwundstufen, das heißt sie sind Verhandlungsmasse, sie sind Appetizer oder sie sind Häppchen, die gerade mal zelebriert werden. "

Und in der Tat muss man sich fragen, welche Bedeutung es hat, wenn zur besten Sendezeit bei ARD und ZDF eine Mozart-Oper mit Anna Netrebko übertragen wird, vorher aber noch zehn Minuten die Trivialautorin Hera Lind über gestiegene Wohnungspreise in Salzburg schwadronieren darf.
Kultur müsse heutzutage mehr Menschen erreichen, als nur eine eingeschworene Gemeinde, meinte ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut – sorgte aber selbst für Lacher, als er ausgerechnet eine Reihe namens "Giganten" – über Schiller, Beethoven und Goethe als Beweis für die Kulturhaftigkeit des ZDF-Programms heranzog. Man dürfe die eigene Befindlichkeit nicht als Strategie für ein Massenprogramm heranziehen, so Bellut:

" Solange ich Programmdirektor bin, werde ich alles versuchen, um die große Masse zu halten. Denn es ist nicht unsere Aufgabe, ein elitäres Programm für kleine Gruppen zu machen, ich möchte an die klassische Musik mehr, als nur die 150.000 Abonnenten in Deutschland heranführen. (...) Es ist immer eine Mischkalkulation, natürlich muss nicht jede Sendung im Bereich Kultur die große Masse erreichen. Wir wissen doch ganz genau, was welche Sendung erreichen kann unter optimalen Gesichtspunkten, da muss eher der Maßstab sein: Qualität, es geht auch um Handwerk. (...) Der traditionelle Begriff ist ein Magazin wie "Aspekte", im ZDF-Programm zurecht, und da wird es auch bleiben, aber es ist nur ein Teil, es ist nur eine begleitende Stimme im großen Kulturbetrieb, wir müssen doch versuchen, moderne Formen von Kultur ausprobieren, die nicht in diese Raster passen. "

Und in der Tat fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass es in den Spartenprogrammen wie 3sat oder Arte, oder aber zu späterer Stunde bei ARD und ZDF Programmperlen wie die "Kulturzeit", das "Nachtstudio", das "Philosophische Quartett" gibt, denen man wahrlich nicht Oberflächlichkeit nachsagen kann. Allerdings: Der Zuschauer müsse auch ein wenig mitmachen, also: einschalten, meinte der Filmregisseur Thomas Schadt. Und die RBB-Intendantin Dagmar Reim fasste das Problem unlängst in einem Bonmot zusammen – es stehe nicht unter Strafe, Arte oder 3sat auch am frühen Abend zu schauen.

Was also ist zu tun? Die Digitalisierung und damit die Vervielfachung der Programme wird noch viel stärker als heute den aktiven Zuschauer fördern, ihn also animieren, sich interessante Sendungen zu jeder gewünschten Zeit abzufordern. Was Not tue, so der Programmdirektor des Saarländischen Rundfunks, Hans-Günter Brüske, sei eine Emanzipation der Kultursendungen von der unseligen Quotendiskussion:

" Das, was der Fehler ist, ist Spartenprogramme zu messen, und sie dann in den Wettbewerb einzubringen gegen massenattraktive Programme. Wenn man das abschaffen könnte, wäre schon etwas Luft, ...., nur, wenn da steht: 10.000 Zuschauer national, wird der Redakteur sagen: Wissen Sie, wenn ich das noch mal mache, dann wird mein Redaktionsleiter sagen: Das geht nicht: Zu teuer für zu wenig. Und diese Formel muss überwunden werden: Zu teuer für zu wenig. "