Kultur contra Kommerz

Von Vanja Budde · 08.01.2013
Seit der Bürgerkrieg in Angola 2002 endlich beendet wurde, erlebt die Hauptstadt Luanda einen wirtschaftlichen Boom: Das Land ist reich an Erdöl, verdient Milliarden US-Dollar und ist der zweitgrößte Diamantenexporteur des Kontinents. Doch wo bleibt die Kultur in diesen Zeiten des Wiederaufbaus?
Ein Altbau mit bröckelnder Fassade in der Altstadt von Luanda: Das "Teatro Elinga" kauert im Schatten Dutzender neuer Hochhäuser, deren Glasfassaden in der tropischen Sonne funkeln. Das Kulturzentrum ist vom Abriss bedroht, klagt Antonio Olé.

Der 61 Jahre alte Maler, Fotograf und Filmemacher zählt zu den international bekanntesten Künstlern Angolas. Seit 20 Jahren hat er ein Atelier im "Elinga".

Hier im Zentrum Luandas, nur 100 Meter von der neu asphaltierten Strandpromenade am Atlantik entfernt, sind Grundstücke viele Millionen US-Dollar wert. Rund um die Uhr bauen chinesische Firmen die neue Boomtown Luanda.

Neureiche Angolaner schwelgen hemmungslos im Konsumrausch. Doch Vorsicht, sagt Antonio Olé, die Kultur darf in diesen wilden Zeiten des Wiederaufbaus nicht vernachlässigt werden.

Antonia Olé: "Es gibt eine große Aufgabe für Künstler, Filmemacher und Schriftsteller: Die Idee einer Identität zu entwickeln, einer angolanischen Identität. Das wird Zeit brauchen: Eine gemeinsame, stabile Identität nicht wieder zu finden, sondern überhaupt erst einmal aufzubauen."

Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges und 500 Jahren portugiesischer Fremdherrschaft. Antonio Olé ist Optimist, er sieht die Zukunft Angolas positiv und ärgert sich, dass Afrika vom Rest der Welt oft auf ein Klischee reduziert wahrgenommen wird.

Antonia Olé: "”Die europäischen Medien berichten lieben über das Elend, als über die positive Dinge, die hier passieren. Und so ist die westliche Öffentlichkeit nicht besonders gut informiert. Wir brauchen unbedingt gegenseitigen Austausch, um uns besser zu verstehen.""

Musik und Tanz sind sehr populär in Angola: Trotz Armut und Korruption feiert das Land die Tatsache, dass endlich Frieden herrscht, meint der Kunstkritiker und Essayist Jomo Fortunato.

Jomo Fortunato: "”Der Krieg hat auch unsere kulturelle Entwicklung unterbrochen, das Schulwesen wurde zerstört. Der Jugend fehlt ein Teil unserer Kulturgeschichte.

Diese verlorene Generation muss nun ihre eigene Identität erfinden. Das tut sie über die Musik. Neuerdings ist außerdem Theater dazu gekommen, meist Volkstheater, kein akademisches, die Leute schreiben, ohne dafür ausgebildet zu sein.""

An die 200 Theatergruppen soll es in Luanda geben. Eine Gesellschaft im Umbruch setzt Kreativität frei. Dementsprechend viel zu tun hat die Leiterin des 2009 gegründeten Goethe-Institutes in Luanda, Christiane Schulte.

Christiane Schulte: "Es kann keinen politischen, sozialen Aufbau eines Landes geben, ohne gleichzeitig auch kulturell zu arbeiten. Und die Kulturszene hier vor Ort ist auch dementsprechend aktiv.

Sie haben sehr viele junge Künstler, die versuchen, Kultur in das Leben, in die Stadt zu bringen, obwohl es extrem schwierig ist, weil es kaum öffentlichen Raum, kaum Ausstellungsräume gibt, weil die Stadt eben extrem teuer ist. Aber die Kulturszene beteiligt sich meiner Ansicht nach absolut aktiv am Wiederaufbau des Landes, absolut."

Weil es in Luanda kein Kino gibt, nur eines in einem Einkaufszentrum außerhalb, zeigt das Goethe-Institut regelmäßig Arthouse- und Dokumentarfilme - unter freiem Himmel, oben auf einem Universitätsgebäude unweit des "Teatro Elinga". "Cinema no Telhado" genannt - Kino auf dem Dach.

Zwei Dutzend Filmfreunde gucken an diesem Abend "Taxi zur Hölle" über Folterzentren der USA in Afghanistan. Die Aussicht auf die glitzernde Skyline Luandas macht dem Film Konkurrenz. Die ewigen Staus haben sich aufgelöst, die samtige Dunkelheit der afrikanischen Nacht verbirgt gnädig Staub, Schlaglöcher und fehlende Gullideckel.

Suzana Sousa, 31 Jahre alt, hat in Lissabon Literaturwissenschaften studiert, doch leben wollte sie nie woanders als in Angola. Heute arbeitet sie als freie Kulturmanagerin in Luanda. 2006 hat sie mit geholfen, die erste Triennale der Stadt auf die Beine zu stellen. Neben dem Kampf um bezahlbare Räume sieht sie vor allem eine große Herausforderung:

Suzana Sousa: "”Wir stehen noch vor der Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, ein Publikum für Kultur heran zu ziehen. Die wenigsten Projekte arbeiten auf institutioneller Basis. Aber um ein Bewusstsein für Kunst zu schaffen, damit sie regelmäßig von einem Publikum wahrgenommen wird, braucht man solch ein reguläres Programm - und das haben wir noch nicht.""

Darauf angesprochen, dass die traumatische Geschichte des Landes in der zeitgenössischen angolanischen Kunst kaum eine Rolle spielt, sagt Suzana Sousa:

"Der Foto-Künstler Kiluanji Kia Henda zum Beispiel beschäftigt sich mit der Geschichte, der Kolonialzeit, Veränderungen in der Stadt und solchen Themen. Aber kaum jemand befasst sich dezidiert mit dem Krieg.

Wir hatten 27 Jahre Bürgerkrieg, und die meisten der daran Beteiligten sind noch am Leben. Daher wird darüber geschwiegen. Ich würde sagen, das ist normal. Es ist zu früh. Wir müssen erst die Wunden heilen, bevor wir zurück blicken und nach Erklärungen suchen können."

Luanda heute ist eine Stadt der Kontraste: Teure Strandclubs neben Elendsvierteln, Millionäre neben Müllsammlern. Krach und Chaos - und enorm viel Kreativität.