Kultur-Clash auf dem Katholikentag

Von Anne Françoise Weber · 17.05.2012
Die Gewalt radikaler Salafisten erschreckt Deutschland - und plötzlich ist wieder die Rede von einem "Kampf der Kulturen". Aber gibt es den wirklich? Und was ließe sich dagegen tun? Auf dem Katholikentag diskutierten darüber prominente Wissenschaftler und die Halbschwester des US-Präsidenten.
Gibt es einen Kampf der Zivilisationen? Mit Ja stimmte fast die Hälfte der rund 300 Zuhörer zu Beginn des Podiums beim Katholikentag in Mannheim. Eine Herausforderung für den Soziologen Hans Joas, der daraufhin erst einmal Grundsätzliches klärte:

"Erstens: Kulturen oder Zivilisationen können gar nicht handeln. Es sind immer Menschen. Wir sollten immer über Menschen reden und Zusammenschlüsse von Menschen und uns nicht vorstellen, dass es da ein Ganzes geben kann namens Kultur, was irgendwie in Kampf treten könnte mit etwas anderem, was auch eine Kultur ist. Und zweitens: Alle Kulturen sind in sich ungeheuer vielfältig, enthalten in sich eine enorme Vielfalt an ganz verschiedenen Entwicklungsrichtungen."

Und, sozusagen drittens, ergänzte die Autorin Auma Obama aus einer afrikanischen Perspektive:
"Diese Idee der Zivilisation, was in erster Instanz abstrakt ist, hat bestimmt, was mit unseren Ländern passiert. Die Zivilisation ging dem Kolonialismus voran, sogar dem Sklavenhandel ging diese Idee der Zivilisation voran."

Dass der Kampf der Zivilisationen auch von Menschen betrieben wird, deren Maßstab eigentlich die christliche Nächstenliebe sein sollte, darauf wies Gesine Schwan hin:

"Es gibt eine ganz typische Methode, einen Kampf der Zivilisation von christlicher Seite aus zu führen – und ich gehe immer nach der Devise, vor der eigenen Tür erstmal zu kehren, bevor man dann die Türen der anderen säubert - also im Christlichen ist ein sehr häufiges Argument das, dass der Islam deswegen gar nicht zivilisiert sein kann und demokratiefähig, weil er nicht durch eine Aufklärung gegangen sei. Dabei wird sehr häufig nicht, auch gerade von katholischen Diskutanten nicht besonders thematisiert, dass die katholische Kirche auch nicht gerade ein enges freundschaftliches Verhältnis zur Aufklärung hatte."

Und die Fast-Bundespräsidentin, die den verhinderten Bundespräsidenten Joachim Gauck vertrat, wurde noch konkreter:

"Ich empfinde die gegenwärtige Schürung der Angst vor Salafisten als ein solches politisiertes, instrumentalisiertes Verfahren eines Kampfes der Zivilisationen, also Instrumentalisierung – denn wenn man dann genau anguckt, wie viele davon bei uns leben und wie viele davon sich so verhalten, wie einige sich verhalten, die fundamentalistisch sind, dann ist das eine kleine Zahl. Und da muss ich dann schon sagen, angesichts dessen, das wir gesehen haben etwa bei den Neonazis, wie lange da hohe Behörden blind waren auf dem rechten Auge, dann finde ich das makaber, dass in Deutschland jetzt plötzlich die Angst vor den Salafisten grassieren muss, das ist in meiner Sicht auch Instrumentalisierung des Kampfes."

Abbau von Fremdheit und echte Verständigung, das war schnell klar, sind die Ziele der Anwesenden, auf dem Podium wie im Publikum. Aber wo können wir ansetzen? Diese Frage aus dem Publikum beantwortete die Judaistik-Studentin Rebekka Großmann ganz persönlich:

"Man kann einfach, um den Spruch hier zu nehmen, den Aufbruch wagen und zwar einfach mal bei sich herausfinden, wo ist denn die nächste Synagoge hier oder die nächste Moschee und einfach selber hingehen und selber die Schuhe ausziehen und reingehen."

Das jedoch, da ist sich der Soziologe Joas recht sicher, wird kaum ausreichen, um globale Konflikte zu lösen:

"Wir wissen leider, dass bei ernsthaften Konflikten die persönliche Bekanntschaft meistens doch nicht hilft. Das Furchtbare ist, dass sobald materielle Interessen ins Spiel kommen, die Leute oft ihr ganzes Bezugssystem schnell umbauen. Also meine Angst ist irgendwie weniger, dass die Christen keinen Moslem kennen. Sondern dass zum Beispiel weltpolitisch Dinge passieren, meinetwegen, wenn Israel und die USA den Iran angreifen, was zu einer enormen Eskalation auch interreligiöser Art führen wird, also davor habe ich Angst. Und ich glaube, vor einer solchen Eskalation schützt der Besuch von Moscheen leider nicht."

Doch die Verantwortung an die Politik abzugeben, das ist nicht im Sinne des Katholikentags – und auch nicht im Sinne von Auma Obama, die in Kenia eine Stiftung für Kinder betreibt und sich nicht über ihren mächtigen Präsidenten-Bruder Barack definieren lassen will.

"Ich finde es wirklich gefährlich zu sagen, dass das jetzt mit dem individuellen Einsatz nicht hilft. Es sind Individuen, die Politiker werden auch bestimmt von den Leuten, die wählen. Die Stimmungen, die passieren in den Ländern. Man merkt, wie die Politiker sich umstimmen lassen teilweise wegen der Bevölkerung. Man darf das nicht unterschätzen. Wir Individuen bestimmen letztendlich. Die Menge besteht aus Individuen, und das ist immer so."

Schade, dass Moderatorin Cécile Schortmann am Schluss der Veranstaltung nicht noch einmal die Anfangsfrage stellte. Vermutlich hätten sich immer noch einige davon überzeugt gezeigt, dass es einen Kampf der Zivilisationen gibt. Doch ihre Frage lautete jetzt:

"Wer wird jetzt aus diesem Raum gehen und den wahren Dialog der Kulturen fördern? Es ist jetzt sehr groß – aber zumindest mit dem Vorhaben: wirklich zuhören, wer wird das tun?"

Natürlich standen fast alle auf – schließlich will dieser Katholikentag ja, so sein Motto, einen neuen Aufbruch wagen.

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