Kultur als Staatsziel

Von Markus Rimmele |
Durch die vorgezogenen Neuwahlen konnte die Bundestags-Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" ihre Arbeit nicht abschließen. Doch auch in der neuen Legislaturperiode wird die Kommission ihre Aufgabe weiter verfolgen und will bis 2007 einen umfassenden Abschlussbericht vorlegen. Darin geht es um die Bewertung der Situation von Kunst, Künstlern und Kultur in Deutschland. Prominentestes Ziel des Gremiums ist jedoch, die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
Die Arbeit in der Bundestags-Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" scheint eine angenehme und zuweilen lustige Angelegenheit zu sein. Bei der konstituierenden Sitzung ist die Stimmung gut, ja fast ausgelassen. Vielleicht liegt das auch einfach am Humordrang von Nobert Lammert, dem Bundestagspräsidenten, der das Gremium bei seiner ersten Sitzung besucht.

"Mein eigener ganz subjektiver Schönheitsfehler dieser Kommission besteht darin, dass die eigene Fraktion mich nicht als Mitglied nominiert hat. Das sind so… Oooooooh. Das sind so kleine Gemeinheiten."

Trotz persönlicher Enttäuschung wünscht Lammert der Kommission viel Erfolg. Die Kulturszene in Deutschland habe große Erwartungen an das Gremium. Allgemeines Nicken. Die Einigkeit in der Enquete-Kommission ist groß, auch in den Sachfragen. Für ein politisches Gremium ist das eine Besonderheit. Siegmund Ehrmann von der SPD ist der neu gewählte stellvertretende Vorsitzende der Kommission.

"In der Kulturpolitik sehe ich sehr viel Nähe, wenig parteipolitische Kontroversen. Und insofern ist es von hoher Sachauseinandersetzung und Kollegialität geprägt und dem ernsthaften Willen, doch auch Lösungen zu finden jenseits parteipolitischer Profilierungen."

Der Sache mag das dienlich sein. Für ein Gremium, dessen Beschlüsse keine bindende Wirkung haben, ist eine einheitliche Stimme besonders wichtig.
Die jetzt konstituierte Kommission ist eigentlich nur eine Fortsetzung. Schon in der letzten Legislaturperiode wurde sie einberufen. Wegen der vorgezogenen Neuwahlen konnte sie ihre Arbeit aber nicht beenden. 2007 will sie nun ihren Abschlussbericht vorlegen. Es geht um die Bewertung der Situation von Kunst, Künstlern und Kultur in Deutschland. 70 Prozent der Bestandsaufnahme, also des Sammelns von Fakten, Zahlen, Meinungen, seien nun abgeschlossen, sagt die einstimmig wiedergewählte Kommissionsvorsitzende Gitta Connemann von der CDU. Bald könne man sich an die Handlungsempfehlungen für die Politik machen.

"Es gibt ganz große Handlungsempfehlungen wie das Ziel der Verankerung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz. Es gibt Empfehlung, die das Fortschreiben des Stiftungsrechts betreffen, des Vereinsrechts. Es wird Vorschläge geben, die die Stärkung der Künstlersozialversicherung zum Inhalt haben. Es gibt Ansätze, im Bereich der kulturellen Bildung Vorschläge zu unterbreiten, bis hin zu Änderungen des Steuer- und des Haushaltsrechts."

Das heißt: Eine Empfehlung könnte etwa lauten: Wenn Fördermittel für Kultur fließen, soll verpflichtend auch ein Projekt der kulturellen Bildung gefördert werden. Weitere Empfehlungen dürften darauf zielen, die oft prekäre soziale Situation von Kulturschaffenden zu verbessern, zum Beispiel bei der Atelierförderung für bildende Künstler. Prominentestes Ziel des Gremiums ist jedoch, die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Verfassungspuristen lehnen dies ab, in allen Fraktionen bestehen noch große Widerstände gegen dieses Projekt. Und tatsächlich stellt sich die Frage, was ein solches Staatsziel bringt. So allgemein formuliert würde es wohl keine konkreten Wirkungen zeigen. Trotzdem ist es wichtig, sagt Siegmund Ehrmann.

"Staatszielbestimmungen sind zunächst einmal sehr weiche Bestimmungen, aber sie binden sehr wohl. Und wenn denn im Einzelfall denn auch mal Streitverfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht, Kulturversorgungsfragen im Raume stehen, dann ist der Gesetzgeber sehr wohl bei seiner Abwägung gebunden. Kultur ist eben keine bloße freiwillige Aufgabe, die nur nach Kassenlage bedient werden kann."

Ob eine Mehrheit im Bundestag für das Staatsziel Kultur zu Stande kommt, ist noch offen.
Das Themenspektrum der Kommission ist sehr breit. Anfang März werden sich die Mitglieder zu einer Klausurtagung treffen und Punkt für Punkt die Einzelfragen durcharbeiten. Die Kommissionsmitglieder haben sich die Themen untereinander aufgeteilt. Da geht es zum Beispiel um die kulturellen Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, das Gemeinnützigkeitsrecht, die steuerrechtliche Behandlung der Künstler- und Kulturberufe, Sonderaspekte in Ostdeutschland, die kulturelle Grundversorgung abseits der großen Städte. Neu hinzugekommen sind die Themenbereiche Kultur in Europa und Kulturwirtschaft. Gitta Connemann wird nicht müde zu betonen, dass in der Kulturwirtschaft mehr Leute beschäftigt seien als in der deutschen chemischen Industrie. Das Wirtschaftsargument ist auch in der Kultur wichtig geworden. Als Kampfmittel gegen viele Haushaltspolitiker, für die Kultur ein verzicht- und kürzbarer Luxus zu sein scheint.

Neben Bundestagsabgeordneten sind auch Sachverständige von außen im Gremium vertreten. Der Sänger Heinz Rudolf Kunze, der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair zum Beispiel. Wieder dabei ist auch die Intendantin des Weimarer Kunstfestes Nike Wagner. Ihr Schwerpunkt:

"Sie wissen, wie sehr sich sozusagen der Klassikbereich wehren muss gegen den übermächtigen Unterhaltungsbranchenbereich, gegen die Kulturindustrie auf der Pop- und Rockebene. Wir müssen dafür sorgen, dass uns ein Publikum erhalten bleibt, dass Schwellen abgebaut werden, dass die Jungen in die Konzerte finden, also dass da die Übergänge fließend und auch spannend gehalten werden."

Die Arbeit in einer politischen Kommission findet sie interessant.

"Es gibt ja die politische Rede. Die ist ja ganz anders. Sie ist von Diplomatie unterspickt. Ich muss immer aufpassen, dass ich nicht plötzlich herausplatze mit irgendeiner Meinung. Das macht man so nicht. Es ist spannend die Verhaltensweise, sie ist anders. Ich muss mich da langsam herein finden und das lernen und tue das auch gern."

Drei Jahrzehnte lang hat der Bundestag keine Enquetekommission eingerichtet. Deshalb gibt es auch wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit. Es kommt nun darauf an, dass die Kommission finanziell realistische Vorschläge macht. Und dann braucht es Vertrauen in die Expertise des Gremiums auf Seiten der Bundestagsfraktionen und ein wenig guten Willen. Sonst wären die vielen Sitzungsstunden der Kommission einfach umsonst gewesen.