Kultklub vom Kiez

Von Bettina Ritter · 06.08.2008
Der FC St. Pauli ist der Fußballverein, der immer mal in die Bundesliga aufsteigt, dann aber schnell wieder unten ist. Doch er hat Kultstatus. Über die Faszination des Vereins hat Joachim Bornemann einen Dokumentarfilm gedreht, der gleichzeitig ein Portrait über den Kiez ist. Der Regisseur lebt, natürlich, in Sankt Pauli.
"FC St. Pauli. Würde es gehen, würde ich dich umarmen. Das hier ist Fußball, das hier sind Dramen."
(Soundtrack "Rausgehen, Warmmachen, Weghauen")

Bornemann: "Man hat viele Sympathien für jemanden, der einfach mal ein Underdog ist. Es gibt viele Menschen in der Bundesrepublik und in der ganzen Welt, die es interessant finden, wie man sich so behaupten kann."

"Von Bayern besiegt, in Chemnitz verloren, man hört noch die Chöre in seinen Ohren. Meine Schulter ist nass durch des Nebenmanns Tränen. Kann es etwas Schöneres geben."
(Soundtrack "Rausgehen, Warmmachen, Weghauen")

Der FC Sankt Pauli. Er ist das Thema von Joachim Bornemanns Regie-Debut. Eine 90-Minuten-Dokumentation über den Verein und den Kiez. Fasziniert ist Bornemann schon seit langem. Seit fast zehn Jahren lebt er in Hamburg, natürlich in St. Pauli.

In seiner Altbau-Wohnung mit den hohen Stuck-Decken kombiniert er Leben und Arbeiten. Zwei Büroräume für die eigene Produktionsfirma und ein kleines Kinderzimmer für den sieben Jahre alten Sohn. Der kommt an den Wochenenden zu Besuch, und dann wird Fußball gespielt, erzählt der 42-Jährige.

"Der ist auch Fußball-Fan, der ist aber HSV-Fan. Der geht dann aber auch zu St. Pauli und fragt immer: Papa, du magst aber auch den HSV auch ein bisschen, oder? Ja, den HSV mag ich auch ein bisschen. Aber eigentlich nur St. Pauli."

Bornemann porträtiert die Mannschaft, die Fans und den Stadtteil. Der Film lebt von den kuriosen Figuren. Der ehemalige Punk, der jetzt mit Fanartikeln Millionen umsetzt. Der raubeinige Zeugwart Bubu, der die Spieler aus "seiner" Umkleidekabine scheucht. Oder Corny Littmann, Präsident des Vereins und gleichzeitig Inhaber des Schmidt-Theaters.

Jeden Abend steht der Mittfünfziger mit Halbglatze geschminkt und in Frauenkleidern auf der Bühne. Bei Pressekonferenzen witzelt er gern über sich selbst und nennt sich eine "Tunte". Das ist das Besondere an St. Pauli, dass jeder akzeptiert wird, meint Bornemann und lächelt.

"Toleranz ist ein ganz wichtiger Begriff beim St. Pauli. Das ist ja gerade das Faszinierende, das sich diese unterschiedlichen Vielfältigkeiten, die es auf der Welt gibt, in diesem Verein wieder treffen, und die sind alle in diesem Stadion drin."

Der etwa 1,90 Meter große, kräftige Mann mit den braunen Augen und kurzen Haaren wirkt ruhig und ernst. Ein Landkind. Zusammen mit vier Geschwistern wächst er auf einem Bauernhof in der Nähe von Göttingen auf. Sein Vater arbeitet als Versicherungsvertreter, seine Mutter kümmert sich um Haushalt und Kinder. In den 80ern entdeckt er seine Leidenschaft für das Kino und heuert als Filmvorführer an.

"Ich bin immer gern ins Kino gegangen. Ganz einfach. Ich habe immer geguckt während der Schule: In welches Kino kann ich gehen, wie komme ich da rein. Ich wollte halt Filme sehen und gucken, wie die gemacht werden. Die Neugierde war einfach groß."

Wie er beruflich zum Film kommen soll, ist ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. "Sicherheitshalber" studiert Bornemann Druckerei- und Medientechnik in Stuttgart. Seine Diplomarbeit schreibt er nach der Wiedervereinigung 1990 über die Sanierung und Privatisierung der Defa-Fimstudios in Babelsberg.

Hier lernt er die Regisseure Volker Schlöndorff und Peter Fleischmann kennen. Kurz darauf ist ihm klar: Er will Produzent werden. Kurzerhand zieht er nach München und beginnt dort ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film.

"Ich arbeite gern mit vielen Menschen zusammen, versuche, die zusammenzuführen, und dann lasse ich die gerne frei arbeiten und kümmere mich um Marketing oder Verkaufen oder Geld auftreiben. Und Regie - da muss man einen langen, langen Atem haben, anderthalb Jahre ist eine lange Zeit."

Bornemanns Karriere als Produzent nimmt schnell Tempo auf. Noch während seines Studiums werden zwei seiner Kurzfilme ausgezeichnet, er produziert Werbespots für namhafte Kunden.

Wie jeder Filmstudent träumt er von Hollywood. Für fünf Monate macht er diesen Traum wahr, belegt Kurse an der University of California, Los Angeles, jobbt als Oberrequisiteur beim Film und bei Produktionsfirmen und lernt so einiges.

"Also, die kochen grundsätzlich auch nur mit Wasser. Sie haben eine ganz andere Stimmung am Set. Die sind ein bisschen freundlicher, offener, und man kriegt immer positives Feedback. Bei uns ist es ja eher so: Das gibt es da auch, aber es ist seltener der Fall."

In die USA auszuwandern, daran hat er auch gedacht. Aber sein Leben in Deutschland holt ihn damals zurück. Zwei seiner Filme haben auf den Hofer Filmtagen Premiere. Also nimmt er kurz entschlossen den Flieger zurück in die Heimat. Kalifornien hat er seitdem nicht vermisst.

"Nach vier Monaten Los Angeles fragt man sich dann irgendwann mal, so ein bisschen Herbst wäre mal ganz schön. So im Fernsehen zu sehen, die Ahornblätter werden langsam rot, ist ja nett, aber nach drei Monaten noch immer keine Wolke… Ich bin zu sehr Naturmensch, als dass mir die Jahreszeiten total abgehen. Das geht nicht."

Da ist er mit dem Hamburger Wetter besser bedient. Das schreckt ihn auch nicht, wenn er ins Stadion geht, seinen Fußballverein anfeuern. Denn das macht Bornemann nach wie vor, auch nach unzähligen Stunden Dreharbeiten hat die Leidenschaft für Sankt Pauli nicht abgenommen.