Kultfigur der Literaturszene
Sie galt als literarische Ausnahmeerscheinung, als die erste öffentliche Intellektuelle Amerikas und als politische Provokateurin: Susan Sontag. Daniel Schreiber hat die erste Biographie über die große amerikanische Schriftstellerin vorgelegt und zeichnet das Bild einer widersprüchlichen und glamourösen Frau, deren Leben die kulturellen und medialen Umbrüche des 20. Jahrhunderts spiegelt.
Wer auf einer Strichzeichnung einen Luftschacht, zwei Beine und einen auffliegenden Rock sieht, weiß sofort, welche Frau auf diesen Beinen steht; wer mit dem Code gemeint ist. Genauso ist es mit der legendären Melone und dem Stöckchen. Zwei Attribute genügen als Signale für Charly Chaplin - wie Luftschacht und Rock für Marilyn Monroe. Diese Verkörperung in Piktogrammen ist nur wahren Kultfiguren vorbehalten. Geistesmenschen, Intellektuelle gehören in der Regel nicht dazu. Zu den wenigen Ausnahmen zählt die Amerikanerin Susan Sontag.
Auch sie besitzt ein Piktogramm: Es zeigt die berühmte weiße Haarsträhne über der Stirn und den markanten Kontrast zu den üppigen pechschwarzen Haaren der restlichen Frisur. Die vor vier Jahren verstorbene, am 16. Januar 1933 geborene Susan Sontag war tatsächlich ein Star, die erste weibliche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, die es als Covergirl auf die Titelblättern von Modemagazinen brachte und gleichzeitig mit ihren Essays und essayistischen Thesen das akademische Leben aufwirbelte.
Nicht nur ihre Haarfarbmischung war singulär und unverwechselbar. Einige der von Sontag geprägten Begriffe und Buchtitel sind als Schlagwörter in die neuere Kulturgeschichte eingegangen. "Krankheit als Metapher" beispielsweise, der Titel des Buches, in dem sie 1978 ihre erste Krebserkrankung verarbeitete und das sie weltberühmt machte, hat sich von seiner Erfinderin gleichsam gelöst und gilt längst als allgemeines Paradigma. Niemand anders als Susan Sontag brachte in den 60er Jahren den Begriff "Camp", womit eine zwischen klassischer Hoch- und moderner Avantgardekultur angesiedelte Stilrichtung der frühen Postmoderne gemeint ist, in Umlauf und in Mode. Der Essay über Camp, abgedruckt in dem Band "Kunst und Antikunst" aus dem Jahr 1964, löste eine kleine Revolution auf dem Gebiet ästhetischer Auseinandersetzung aus. Als eine der ersten schrieb Susan Sontag "Über Fotografie" - so der Titel ihres 1977 erschienenen Buches - und untersuchte das neue Medium unter philosophischen und kulturkritischen Gesichtspunkten.
Sie war überhaupt oft die Erste: Ein geistiges Wunderkind, das in der öden Provinz von Arizona aufwuchs, mit drei Jahren lesen konnte, mit sechs zwei Klassen übersprang, mit 17 ihren Universitätsdozenten Philip Rieff heiratete, mit 19 einen Sohn bekam, sich mit 25 wieder scheiden ließ und ab dem Jahr 1959 ein vollkommen freies Leben als alleinerziehende Mutter, Liebhaberin beider Geschlechter und Autorin ohne jede institutionelle Bindung in New York führte. Susan Sontag umgibt die Aura der Ausnahmeerscheinung, einer Persönlichkeit, die sich selbst erfand, selbst definierte. In mancher Hinsicht stimmt das auch. Die Amerikanerin war von ihrer frühesten Bildung an eine geistige Europäerin. Ihre Vorbilder lebten in Paris, hießen Sartre und Beauvoir. Geläufig ist die Anekdote über den Besuch der 15-jährigen Susan Sontag bei ihrem Jugendgott Thomas Mann in Kalifornien, der sie mit seinen steifen Gesprächsfloskeln furchtbar desillusionierte. Es gab nicht nur solche amüsante Anekdoten über Sontag, es gab immer auch üblen Klatsch gab, sowie ein paar Klatschbücher.
Die Biografie des erst 30 Jahre alten, in New York lebenden Journalisten Daniel Schreiber darf als die erste seriöse Lebensbeschreibung Susan Sontags gelten. Schreiber kann sich auch auf seriöse Quellen verlassen: Er sprach mit Sontags Sohn David Rieff, mit ihrem amerikanischen und mit ihrem deutschen Verleger Michael Krüger, mit engen Freunden wie Nadine Gordimer und Robert Wilson. Schreibers Biographie ist intelligent und lesbar verfasst, sie geht nicht nur aufs Leben, sondern ebenso auf das vielgliedrige, aus Romanen, Filmen, Theaterstücken bestehende Werk Susan Sontags ein.
Sachlich ist Schreibers Biographie durchgehen plausibel. Irritierend ist sie dennoch durch die Haltung, die der Biograf gelegentlich einnimmt: Die Haltung eines eher latenten als ausdrücklichen Detektivismus. Er zielt nicht auf die Boulevardebene, er ist nicht hinter Geheimnissen und Skandälchen her. Aber er unterstellt dem Star Susan Sontag, ihr intellektuelles Startum mit programmatischer Selbststilisierung und gezielter Selbstkultivierung erarbeitet zu haben, mit kleinen Lebenslügen und Erfindungen an der eigenen Legende gestrickt zu haben. Mag sein, dass die europäische Amerikanerin nicht eben uneitel, dass sie recht narzistisch, bisweilen ausgesprochen arrogant war. Aber all diese persönlichen Eigenschaften reichen als Instrumentarium zur Erschaffung einer Kultfigur nicht aus. Diese entsteht nur, wenn Zeitgeist und Kulturindustrie es wollen. Im Fall Susan Sontags, der Intellektuellen mit der weißen Strähne, haben sich die Erwartungen der Zeit und die Bedürfnisse der Kultur bestens ergänzt. Für diesen Mechanismus ist Daniel Schreiber leider blind.
Rezensiert von Ursula März
Daniel Schreiber: Susan Sontag. Geist und Glamour. Biographie
Aufbau Verlag Berlin
280 Seiten, 22,95 Seiten
Auch sie besitzt ein Piktogramm: Es zeigt die berühmte weiße Haarsträhne über der Stirn und den markanten Kontrast zu den üppigen pechschwarzen Haaren der restlichen Frisur. Die vor vier Jahren verstorbene, am 16. Januar 1933 geborene Susan Sontag war tatsächlich ein Star, die erste weibliche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, die es als Covergirl auf die Titelblättern von Modemagazinen brachte und gleichzeitig mit ihren Essays und essayistischen Thesen das akademische Leben aufwirbelte.
Nicht nur ihre Haarfarbmischung war singulär und unverwechselbar. Einige der von Sontag geprägten Begriffe und Buchtitel sind als Schlagwörter in die neuere Kulturgeschichte eingegangen. "Krankheit als Metapher" beispielsweise, der Titel des Buches, in dem sie 1978 ihre erste Krebserkrankung verarbeitete und das sie weltberühmt machte, hat sich von seiner Erfinderin gleichsam gelöst und gilt längst als allgemeines Paradigma. Niemand anders als Susan Sontag brachte in den 60er Jahren den Begriff "Camp", womit eine zwischen klassischer Hoch- und moderner Avantgardekultur angesiedelte Stilrichtung der frühen Postmoderne gemeint ist, in Umlauf und in Mode. Der Essay über Camp, abgedruckt in dem Band "Kunst und Antikunst" aus dem Jahr 1964, löste eine kleine Revolution auf dem Gebiet ästhetischer Auseinandersetzung aus. Als eine der ersten schrieb Susan Sontag "Über Fotografie" - so der Titel ihres 1977 erschienenen Buches - und untersuchte das neue Medium unter philosophischen und kulturkritischen Gesichtspunkten.
Sie war überhaupt oft die Erste: Ein geistiges Wunderkind, das in der öden Provinz von Arizona aufwuchs, mit drei Jahren lesen konnte, mit sechs zwei Klassen übersprang, mit 17 ihren Universitätsdozenten Philip Rieff heiratete, mit 19 einen Sohn bekam, sich mit 25 wieder scheiden ließ und ab dem Jahr 1959 ein vollkommen freies Leben als alleinerziehende Mutter, Liebhaberin beider Geschlechter und Autorin ohne jede institutionelle Bindung in New York führte. Susan Sontag umgibt die Aura der Ausnahmeerscheinung, einer Persönlichkeit, die sich selbst erfand, selbst definierte. In mancher Hinsicht stimmt das auch. Die Amerikanerin war von ihrer frühesten Bildung an eine geistige Europäerin. Ihre Vorbilder lebten in Paris, hießen Sartre und Beauvoir. Geläufig ist die Anekdote über den Besuch der 15-jährigen Susan Sontag bei ihrem Jugendgott Thomas Mann in Kalifornien, der sie mit seinen steifen Gesprächsfloskeln furchtbar desillusionierte. Es gab nicht nur solche amüsante Anekdoten über Sontag, es gab immer auch üblen Klatsch gab, sowie ein paar Klatschbücher.
Die Biografie des erst 30 Jahre alten, in New York lebenden Journalisten Daniel Schreiber darf als die erste seriöse Lebensbeschreibung Susan Sontags gelten. Schreiber kann sich auch auf seriöse Quellen verlassen: Er sprach mit Sontags Sohn David Rieff, mit ihrem amerikanischen und mit ihrem deutschen Verleger Michael Krüger, mit engen Freunden wie Nadine Gordimer und Robert Wilson. Schreibers Biographie ist intelligent und lesbar verfasst, sie geht nicht nur aufs Leben, sondern ebenso auf das vielgliedrige, aus Romanen, Filmen, Theaterstücken bestehende Werk Susan Sontags ein.
Sachlich ist Schreibers Biographie durchgehen plausibel. Irritierend ist sie dennoch durch die Haltung, die der Biograf gelegentlich einnimmt: Die Haltung eines eher latenten als ausdrücklichen Detektivismus. Er zielt nicht auf die Boulevardebene, er ist nicht hinter Geheimnissen und Skandälchen her. Aber er unterstellt dem Star Susan Sontag, ihr intellektuelles Startum mit programmatischer Selbststilisierung und gezielter Selbstkultivierung erarbeitet zu haben, mit kleinen Lebenslügen und Erfindungen an der eigenen Legende gestrickt zu haben. Mag sein, dass die europäische Amerikanerin nicht eben uneitel, dass sie recht narzistisch, bisweilen ausgesprochen arrogant war. Aber all diese persönlichen Eigenschaften reichen als Instrumentarium zur Erschaffung einer Kultfigur nicht aus. Diese entsteht nur, wenn Zeitgeist und Kulturindustrie es wollen. Im Fall Susan Sontags, der Intellektuellen mit der weißen Strähne, haben sich die Erwartungen der Zeit und die Bedürfnisse der Kultur bestens ergänzt. Für diesen Mechanismus ist Daniel Schreiber leider blind.
Rezensiert von Ursula März
Daniel Schreiber: Susan Sontag. Geist und Glamour. Biographie
Aufbau Verlag Berlin
280 Seiten, 22,95 Seiten