Kuhn räumt Fehler bei Hartz IV ein

Moderation: Birgit Kolkmann |
Grünen-Wahlkampfmanager Fritz Kuhn hat Fehler bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV eingeräumt. So sei der Schutz etwaigen Vermögens von Arbeitslosengeld-II-Empfängern im Vermittlungsausschuss an der Union gescheitert, erklärte Kuhn.
Birgit Kolkmann: Keine Angst vor Armut auch ohne Arbeit, gerechte Verteilung der Lasten auf alle Schultern, kostenlose Vorschule, Schule, Uni, Bürgerversicherung für jeden und dazu noch unabhängig vom hohen Ölpreis, weil die Energie aus Windrädern und Solarzellen kommt - die Welt, die im Grünen-Wahlprogramm gezeichnet wird, ist schön. Nur was hat sie mit der deutschen Wirklichkeit im Sommer 2005 zu tun? Die linke Berliner Tageszeitung titelte vorgestern "Grüne, jetzt kommt das Paradies - versprochen". Der Mann, der dies den Wählerinnen und Wählern schmackhaft machen will, ist Fritz Kuhn. Er ist bei uns im Studio, der Wahlkampfmanager der Grünen. Schönen guten Morgen.

Fritz Kuhn: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Kuhn, warum haben wir eigentlich in den letzen sieben Jahren noch keinen so richtigen Vorgeschmack auf diese paradiesischen Zustände bekommen?

Kuhn: Ich teile die Ironie, die in Ihrer Ansage steckt, nicht. Wir haben ein Wahlprogramm formuliert, das die Frage beantwortet, was wollen wir tun bei fünf Millionen Arbeitslosen und mit welchen Perspektiven kann man Deutschland weiter regieren. Da geht es ja im Kern um die Frage, wir müssen wirtschaftlich modern werden, also mehr Arbeitsplätze, mehr Investitionen schaffen. Aber wir brauchen auch mehr Gerechtigkeit. Und diese Spannung halten wir in dem Programm aus. Wir haben vieles von dem in den letzten sieben Jahren auch angedacht, manches auch umgesetzt, zum Beispiel die ökologische Modernisierung. Aber dass man mit acht Prozent in der Koalition nicht sein ganzes Programm verwirklichen kann, ist klar. Dennoch wollten wir ein Programm schreiben, wo man sieht, in welche Richtung es geht, wenn die Grünen mehr zu sagen haben. Und so treten wir vor die Wählerinnen und Wähler. Aber schon mit der nötigen Mischung aus Vision und Realismus.

Kolkmann: Sie sagen, Sie halten als Grüne die Spannung zwischen Gerechtigkeit und Modernisierung aus. Die Koalition hat sie in den letzten mindestens drei Jahren nicht ausgehalten. Wo liegt da die Schuld?

Kuhn: Klar ist, wir müssen Deutschland modernisieren, deswegen taugen die ganzen Antworten von PDS und Lafontaine eigentlich nicht. Sie müssen ja die Wertschöpfung Deutschland haben, aus der sie dann mehr Gerechtigkeit finanzieren wollen. Aber sie brauchen auch ein ausgewogenes Gefühl für Gerechtigkeit, und es muss sich politisch umsetzen lassen. Ich will mal ein Beispiel sagen, da haben wir in der Koalition übrigens immer daraufhin gewirkt, da haben wir uns aber nicht durchgesetzt bei der Union im Vermittlungsausschuss. Wenn Sie den Leuten sagen, für das Alter müsst ihr ansparen, weil sonst die Rente nicht mehr sicher ist wegen der demographischen Entwicklung, dann können Sie nicht das Altersvermögen so aufbrauchen, wenn die Leute arbeitslos werden, wie das bei Hartz IV geschehen ist. Das kann niemand akzeptieren von der Gerechtigkeitsvorstellung her. Und deswegen wollen wir das ändern. Dazu kommt, wir haben jetzt viel Fordern für die Arbeitslosen aber das Fördern ist noch nicht so ausgeprägt, weil die Jobcenter erstmal mit der Leistungsermittlung beschäftigt waren, aber noch nicht so mit der Qualifizierung. Und solche Sachen wollen wir korrigieren und verändern. Aber noch mal, ein Bruch zu unserer Regierungsarbeit ist es nicht, weil wir viele diese Punkte da auch formuliert haben.

Kolkmann: Ich habe Sie eingangs gefragt, was glauben Sie, wo liegt die Schuld dafür, dass das nicht richtig kommuniziert und nicht richtig umgesetzt worden ist?

Kuhn: Wir haben uns bei manchem in der Politik der Regierung nicht durchsetzen können. Bei anderem haben wir auch einfach die Richtung nicht klar genug definiert. Aber richtig ist für mich, wir haben ein klares Konzept, wie es in Deutschland weitergehen soll. Wir haben vieles davon in den letzten Jahren gewonnen und das wollen wir fortsetzen, wenn wir regieren können - in der Regierung, wenn wir in die Opposition kommen - als kräftige, schlagkräftige Oppositionspartei.

Kolkmann: Ist das ein Hechtsprung, wie es auch die "taz" geschrieben hat, zur Opposition?

Kuhn: Wir können beides. Wir haben ein Programm formuliert, das klar macht, wie die Regierung weitergehen soll - übrigens als einzige ökologische Partei und als einzige Partei, die für Verbraucherschutz ist. Das will Frau Merkel ja mehr oder weniger zerstören. Aber wir haben auch klar gemacht, wir können Opposition machen im Sinne von Konzepten und Visionen, an der keine Regierung vorbei kommt. Und mit dieser Perspektive treten wir an. Aber die Wahlen sind noch nicht entschieden. Wie es im September ausgeht, kann heute auch niemand in der Demoskopie sagen.

Kolkmann: Was glauben Sie, ist rot-rot-grün eine Option?

Kuhn: Ich sehe das nicht so. Jetzt haben wir eine Wahlauseinandersetzung, dann muss man sehen, wie Wählerinnen und Wähler entscheiden. Aber die Gysi-Lafontaine-Gruppe ist für uns weit weg von jeder ökonomischen Modernisierung. Und wenn ich Lafontaine anschaue, ist er innenpolitisch einfach ein Reaktionär. Wie der in Chemnitz versucht hat, Ressentiments aufzupeitschen, gegen Beschäftigte, die aus anderen Ländern hier in Deutschland sind, finde ich bodenlos. Das ist in unserer Partei auch auf tiefe Abscheu gestoßen. Lafontaine hat gar nicht verstanden, dass unsere Ökonomie in der Globalisierung gar nicht funktionieren würde, wenn hier nicht Leute aus anderen Ländern dieser Erde auch arbeiten könnten. Und deswegen halte ich dieses Projekt eher für eine irreales Projekt als für eine tatsächliche Perspektive in Deutschland.

Kolkmann: Wenig freundliches kommt ja seitens der WASG zu den Grünen. Da wird gesagt, die Grünen seien eine Art Radieschen-FDP. Wie links ist ihre Partei eigentlich noch? Hat sie sich nicht längst gewandelt zu einer schon fast neoliberalen Partei für gewisse Mittelschichten?

Kuhn: Nein, das halte ich nicht für richtig. Die Grünen sind eine Partei, ich würde mal sagen, einer emanzipativen aber auch modernen Linken, was man von der Gysi-Lafontaine ja nicht sagen kann.

Kolkmann: Es ist natürlich klar, dass Sie als Wahlkampfmanager Ihrer Partei sich auch in Abgrenzung zum Gegner definieren. Ich fragte aber auch, was passiert in der Partei selber. Wie links sind Sie noch und was passiert, wenn die Partei - wie es ja ausschaut - in die Opposition kommt im Bund, wird sie sich an Haupt und Gliedern möglicherweise erneuern müssen?

Kuhn: Unser Programmentwurf, der jetzt vorliegt, ist schon auch ein inhaltlicher Aufbruch der Grünen, eine Erneuerung. Aber um das noch mal klar zu sagen, die Grünen sind keine neoliberale Partei, nie gewesen. Neoliberal heißt, der Markt soll es richten. Wir sagen, der Markt kann nicht alles richten.

Kolkmann: Ich möchte noch mal fragen, für wie frisch halten Sie die Grünen und wie viel Fischer bekommen die Wähler, wenn sie Grün wählen?

Kuhn: Die Grünen sind meines Erachtens - es gibt sie jetzt 25 Jahre - eine frische Partei. Wir bringen immer wieder neue Ideen und Fragen auf die Tagesordnung, die dann die Republik bewegen, zum Beispiel den Verbraucherschutz. Vor fünf oder sechs Jahren hat noch niemand danach gekräht. Jetzt ist Verbraucherschutz eine relevante Frage geworden. Die gute Qualität des Verbraucherschutzes ist ein ganz entscheidender Punkt, dass es der Wirtschaft gut geht.

Kolkmann: Noch ein Wort zu Fischer. Wird er bleiben, möglicherweise Oppositionschef im Bundestag? Oder könnte es sein, dass ein schöner Posten bei der UN doch mehr lockt?

Kuhn: Da empfehle ich Ihnen natürlich, Joschka Fischer selber zu fragen. Aber ich gehe davon aus, dass er den Wahlkampf macht und dass er der deutschen Politik und der Grünen Politik an einer entscheidenden Stelle erhalten bleibt.

Kolkmann: Sie haben ja alle Hochs und Tiefs in der Politik, auch in der eigenen Partei mitgemacht, und zu spüren bekommen. Mit welchen Emotionen gehen Sie jetzt in den Wahlkampf, in eine Wahl, die ein Jahr früher kommt als sie sollte?

Kuhn: Ich fand die Neuwahl vom Kanzler falsch - eine Schnapsidee, die vor allem der SPD Schwierigkeiten machen wird. Ich nehme das aber positiv an. Wir sind Wahlkämpfer. Wir haben jetzt auch Lust an dieser Wahlauseinandersetzung. Und die Grünen werden gestärkt rausgehen.

Kolkmann: Fritz Kuhn, der Wahlkampfmanager der Grünen. Vielen Dank für das Gespräch hier im Studio.