"Kugel-Ballett" und Beziehungsstadl

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 19.09.2007
Schießduelle während einer Geburt, beim Sex oder in der Luft an Fallschirmen – ein glänzend wie komisch inszenierter Thriller-Western ist die US-amerikanische Produktion "Shoot 'Em Up". In der Walser-Verfilmung "Ein fliehendes Pferd" geht es um die Beziehungsprobleme der 40-Jährigen.
"Shoot 'Em Up"
USA 2007, Regie: Michael Davis, Hauptdarsteller: Clive Owen, Monica Belucci, ab 16 Jahren

Mit "Knall sie ab!" oder wörtlich: "Zerschiess´ Sie!" könnte man den Titel des Films von Michael Davis, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, übersetzen. Davis, Jahrgang ´51, ist ein hierzulande gänzlich unbekannter amerikanischer Illustrator, Drehbuch-Autor und Regisseur. Bisherige Filme u.a.: "Mein Traummädchen von nebenan", Debüt 1996; "Eins, Zwei, Pie - Wer die Wahl hat, hat die Qual", 2000; "Monster Man - Die Hölle auf Rädern", 2002. Mit seinem neuen Genre-Werk tritt er in die besten Fußstapfen von Quentin Tarantino ("Pulp Fiction", "Kill Bill"): "Shoot ´Em Up" ist ein Kugel-Ballett vom Allerfeinsten; ist eine glänzend wie komisch inszenierte, herrlich dauer-unanständige "Baller-Orgie"; ist ein ideenreicher, origineller, scharf-witziger, phantastisch-schmutzig choreographierter Rock 'n' Roll-Thriller-Django-Western.

Ein Mann, Mr. Smith, sitzt spätabends auf der Bank an der Bus-Haltestelle. Eine hochschwangere Frau rennt an ihm vorbei. Ihr wütend-grinsender Verfolger scheint Übles im Sinn zu haben. Will die Frau wohl killen. Mr. Smith greift ein. Und wie! Während sie ihr Kind kriegt, zerlegt, zerschießt er die Angreifer. Denn dieser unscheinbare Mr. Smith ist die Explosion höchstpersönlich. Ist so heißblütig wie jähzornig, ist ein hartgesottener Gerechtigkeitsfanatiker, der vor allem Karotten liebt. Wegen Vitamin B für die Augen, aber auch als Klasse-Waffe.

Außerdem hält sich Mr. Smith eine intelligente Ratte als Haustier, die in seiner abbruchreifen Behausung bestens "funktioniert". Mr. Smith ist ab sofort gefordert. Denn die Gangster interessieren sich nicht für die Nunmehr- und bald tote Mama, sondern für das Baby. Dieses kleine süße Wesen wollen sie mit aller Macht killen. Also hilft Mr. Smith diesem kleinen neuen Erdenbürger, nennt ihn Oliver (nach Oliver Twist), wird dabei zum coolsten Adoptiv-Papa-Alphatier in der Geschichte des Action-Films, beschützt natürlich ab sofort den kleinen Bengel vehement. Obwohl die Verfolger nicht aufgeben, im Gegenteil: Je mehr sie dezimiert werden, um so mehr tauchen neue auf.

Doch Smith ist cleverer, schneller, härter, ist dabei aber auch komischer als alles, was bisher auf der Leinwand auftrat: Die Bonds, die Jason Bournes dieser (Kino-)Welt werden mit sehr viel Stimmungs-Schmackes "in die Spur" verwiesen. Doch: Was wollen die bloß, angeführt von diesem schrecklichen Mr. Hertz, von dem kleenen Oliver? Was hat der, was bedeutet er, was ist es, was so wichtig für diese Fieslinge ist?

"Shoot 'Em Up" oder Wie bringe ich die allerschärfsten Schieß-Duelle, Baller-Szenen zustande, ohne dass es blöd, albern, dämlich langweilt? Antwort: Indem ich, von Anfang an, alles dermaßen cool-prollig-dampfend-heiß-übertrieben-anmaßend-frech durchziehe, dass der Spaßfaktor klappt. Duelle während einer Geburt, beim finalen Sex, sogar in der Luft an Fallschirmen und schließlich als Django (= Edel-Schmutz-Western von Sergio Corbucci von 1969, mit Franco Nero in der Titelrolle, der zum Schluss auf dem Friedhof, mit buchstäblich "blut-toten Fingern", die Bösen kreuzweise ins Jenseits befördert...): Eine urige wie pointierte Zitaten-Show. Von Jean-Pierre Melville ("Der eiskalte Engel") über die Rache-Western eines Sergio Leone ("Spiel mir das Lied vom Tod") über den willensstarken Underdog-Spezi "Rocky" über die Schieß-Thriller-Tänze eines John Woo ("The Killer"), gemixt von Django bis Tarantino; es kracht so mit Voll-Erinnerungen, verblüffenden Neu-Dazu-Taten, unterhaltsamer Rock ´n´ Roll-Choreographie.

Das ist Genre-Entertainment in Reinkultur, das macht Spaß, besitzt die nötige Kracher-Distanz, den Anarcho-Charme der totalen Übertreibung. Und ist letztlich, Gipfel des Zynismus, bei dieser "genüsslichen" Dauer-Ballerei, sogar ein cleveres Plädoyer gegen die Waffenlobby in den USA! Beeindruckend bei dieser cool-schrägen Faszination auch die drei Haupt-Mitwirkenden: Monica Belluci ("Der Zauber von Maléna") zeigt als stillende Muttertier-Nutte Herz und Scherz; Paul Giamatti, kürzlich erst als Softie in dem Wein- und Kumpel-Abenteuerfilm "Sideways" erste Sahne, mimt den amtlichen Attentäter-Schurken mit wunderbar-schelmenhaft-sadistischer Bösartigkeit, während der 42-jährige Beinahe-Neu-Bond Clive Owen aus England (zuletzt "Children Of Men", davor z.B. "Sin City") als zynisch-schwarzhumoriger Solo-Engel (mit "netter Wut" auf unzivilisierte Mitbürger wie z.B. auf eine unflätig ihren kleinen Sohn öffentlich attackierende Mutter) aber so etwas von ironischer Coolness und großartiger Typen-Spannung atmet, dass es einen kaum im Sessel hält. Ein Karotten-Held der Superlative. Also: "Shoot ´em up", das ist ein herrlich-ungehöriges Ironie-Meisterwerk des Tabu brechenden, faszinierend-zweideutigen, sehr unterhaltsamen Action-Kinos.

Ein fliehendes Pferd
Deutschland 2006, Regie: Rainer Kaufmann, Hauptdarsteller: Ulrich Noethen, Ulrich Tukur, Katja Riemann, ab 12 Jahren

Der Film von Rainer Kaufmann, basiert auf der 1978 veröffentlichten gleichnamigen Novelle von Martin Walser, die bereits 1986 von Regisseur Peter Beauvais für das Fernsehen verfilmt wurde. Regisseur Rainer Kaufmann wurde hierzulande durch TV-Filme ("Dann eben mit Gewalt", 1993, Europäischer Fernsehpreis; "Einer meiner ältesten Freunde", 1994, Max Ophüls-Preis) ebenso bekannt wie durch die Kinofilme "Stadtgespräch", 1995, sowie die Ingrid-Noll-Verfilmungen "Die Apothekerin", 1997, und "Kalt ist der Abendhauch", 2000.

Hier nun ist Spießer-Treff und -Gefasel der Um-die-40-Jährigen am Bodensee annonciert. "Komödienstadl auf Intellektuell": Mit dem Ehepaar Helmut und Sabine. Man hat "nicht mehr viel miteinander", aber das ist halt so. Eine in Routine erstarrte Beziehung. Er, der verklemmte Lehrer, "hat sich eingerichtet", will vor allem seine Ruhe und viel Lesen. Sie wirkt sowohl gelangweilt wie angespannt-lebenshungrig. Klaus, der alte Schulfreund, taucht zufällig auf. Marke "Überrumpler", Lebemann; immer lärmend wie aktiv, hektisch, besserwisserisch, sich einmischend. Provozierend. An seiner Seite: Die attraktive Helene.

Gemeinsam mischt, piekst man sich gegenseitig an und auf. Stichwort: Was, wie ist künftig "das bessere Leben"? Wo wollte ich einmal hin? Wo bin ich letztlich angekommen? Oder umgekehrt. Der deutsche Film gibt sich wieder mal angestrengt-locker oder: Das große Gähnen. Die totale Langeweile. Der permanente Ärger. Über das Papier-Gequatsche der Beteiligten. Über das dämliche, weil unglaubhafte Getue. Über die vorhersehbaren Motive, Situationen, "Ergebnisse". Man kabbelt sich pseudo, ebenso geht man auf erotische Tuchfühlung; nichts von Reiz, Charme, Atmosphäre, gar "Chabrol"-Spannung zu spüren. Dazu: Eine plärrende beleidigende Musik-Begleitung (Annette Focks).

Es ist ein komödiantisches Graus, diese peinlich-emotionslose Analyse-Lustigkeit von paarischem Nichts. Mit den bemüht ihren Text aufsagenden Ulrich Noethen, Katja Riemann (= hält sich zurück, war schon viel schlimmer) sowie der (gewollt) aufdringlich-nervende Ulrich Tukur und - neu – Petra Schmidt-Schaller. Der Film nervt nur, ist belanglos bzw. bietet nur Langeweile pur. Mit nur behaupteten wie lächerlich wirkenden Gefühlen. "Männer und Frauen...", die alte-ewige Geschichte. Loriot, wo bist du?
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