Künstlicher Muskel gegen schlechte Schwingungen

Von Christoph Kersting |
Die Adaptronik ist eine noch junge Wissenschaft, die sich mit sogenannten smart materials, intelligenten Werkstoffen also beschäftigt. Intelligent, weil sich diese Stoffe an veränderte Bedingungen anpassen können und zum Beispiel störende Schwingungen in Fahrzeugen ausschalten. Über die neuesten Trends und Entwicklungen in der Adaptronik diskutierten in dieser Woche Wissenschaftler aus aller Welt auf dem Kongress "Actuator" in Bremen.
Chao Xie ist heute mit dem Fahrrad da. Zwar ist der Ingenieur vom Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung durchaus ein sportlicher Typ, doch das Zweirad hat er aus anderen Gründen in die Bremer Messehallen mitgebracht.

"Das Besondere an dem Fahrrad ist die Tretkurbel. In die Tretkurbel haben wir zwei piezoelektrische Elemente integriert, damit die Belastung auch wirklich gemessen werden kann, wo sie auch entsteht. Zum Beispiel wäre es für einen Leistungssportler wichtig zu wissen, welche tatsächliche Leistung er tatsächlich in das System eingebracht hat, um seine Trainingsleistung anzupassen."

Die Fähigkeit der Piezokeramiken, Druckbelastung zu messen, lässt sich laut Chao Xie auch auf andere Anwendungen übertragen. Als Bestandteil von Autobauteilen etwa können die Piezoelemente Überbelastungen und mögliche Schäden erkennen und melden. Der Bremer Ingenieur nennt ein konkretes Beispiel: die stark belastete Radaufhängung bei Geländewagen oder Zügen.

"Wenn man jetzt diese Piezoelemente in dem Bauteil integriert hat, dann verfügt dieses Bauteil über eine gewisse Intelligenz. Und wenn dieses Bauteil dann merkt, dass es überlastet ist, dann kann es über das Fahrzeugdiagnosesystem eine Meldung geben, dass das Bauteil noch mal überprüft werden soll."

Piezokeramiken funktionieren nach einem einfachen physikalischen Prinzip: Die in ihnen enthaltenen Quarzkristalle geben elektrische Energie ab, sobald mechanische Kräfte auf sie einwirken. Der Adaptronikexperte Dieter Sporn vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung in Würzburg vergleicht die Piezokeramik mit einem Beispiel aus der Natur:

"Der Mensch reagiert ja über eine geregelte Kette: Die Nerven nehmen einen Umweltreiz auf und leiten ein Signal weiter an einen Regler, das ist unser Gehirn, und das Gehirn gibt dann an einen Muskel ein Signal, um irgendeine Reaktion auszuführen."

Der Piezoeffekt funktioniert aber auch in umgekehrter Richtung. Erhalten die Piezokristalle also keinen mechanischen, sondern einen elektrischen Impuls von außen, verändern sie ihre Form und können als Aktuatoren äußeren Kräften entgegen wirken: Vibrationen zum Beispiel.

Diesen Effekt demonstriert Matthias Kurch vom Darmstädter Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit gleich neben dem intelligenten Fahrrad. Der Ingenieur hat eine elektrische Autoluftpumpe aufgestellt, daneben steht ein Glas Wasser auf einer Art Tablett:

"Was wir jetzt hören, ist ein Kompressor. Wir haben als Beispiel einfach eine 12-Volt-Autoluftpumpe genommen. Und dieser Kompressor trägt Schwingungen in den Untergrund ein. Was wir nun sehen, ist, dass ein Wasserglas, das auf dieser Unterlage steht auf dem aktiven Lager, anfängt zu schwingen."

Mit einem blauen Schalter startet Matthias Kurch nun das aktive Lager, das mit Piezoelementen ausgestattet ist:

"Mit diesem blauen Knopf kann man das aktive Lager einschalten, und wir sehen: Die Regelung beginnt sich zu adaptieren. Der Aktuator wird angesteuert durch diese Regelung, und wir bekommen eine Entkopplung der Unterlage und des Wasserglases. Jetzt sehen wir, dass das Wasserglas entsprechend ruhig steht, die Oberfläche sich nicht mehr bewegt. Die Schwingung ist komplett weg."

Wo Schwingungen und Vibrationen entstehen, da wird es auch schnell laut: Wer Auto fährt, im Flugzeug sitzt oder mit dem Schiff reist, weiß das. Darum ist die Lärmminderung in Verkehrsmitteln ein wichtiger Forschungsschwerpunkt in der Adaptronik. Den Lärm in Straßenbahnen zu mindern ist zum Beispiel Ziel des EU-Projekts "Inmar", dessen Fäden am Darmstädter Fraunhofer-Institut zusammen laufen.

Unter anderem verantwortlich für den Krach sind Klimaanlagen auf dem Straßenbahndach. Durch ein zwischen Dach und Klimaanlage installiertes piezoelektrisches System nun konnten die Ingenieure die Schwingung deutlich mindern und so die Lärmbelastung in der Bahn um 15 Dezibel senken.

Noch seien viele der neuen Systeme wie etwa die Schwingungs- und Lärmminderung in Straßenbahnen zu teuer, sagt Matthias Kurch. Doch in spätestens zwei Jahren soll die Technik marktreif sein.