Künstliche Wesen in den Religionen

Golem, Avatar und Androiden

07:42 Minuten
Filmszene aus "Der Golem, wie er in die Welt kam" von 1920. Darin zu sehen ist Paul Wegener als Golem, wie er sich über eine liegende Frau beugt.
Zum Leben erweckt durch ein Zauberwort: Paul Wegener als Mann aus Lehm in einer Filmszene aus "Der Golem, wie er in die Welt kam" von 1920. © Imago / Ronald Grant Archive / Mary Evans
Von Christian Berndt · 15.01.2023
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Künstliche Intelligenz und Maschinenmenschen sind keine Erfindung moderner Wissenschaft. Schon die griechische Mythologie erzählt von menschgemachten Wesen. Heute finden sich solche religiös inspirierten Figuren in Science-Fiction-Filmen.
Der Golem ist entfesselt und droht, das gesamte Ghetto zu zerstören. Dabei hatte Rabbi Löw den Golem erschaffen, damit er die jüdische Gemeinde vor der Vertreibung schützt. Paul Wegener erzählt 1920 in seinem Film "Der Golem, wie er in die Welt kam" eine Geschichte, die auf der mittelalterlichen Legende eines künstlich erschaffenen Menschen beruht.

Die Sage wird zum Roman, dann zum Film

Im 19. Jahrhundert wurde diese Sage mit der historischen Figur des Prager Rabbiners Judah Löw aus dem 16. Jahrhundert verbunden und zum Romanstoff verarbeitet. In Wegeners Film baut Rabbi Löw aus Lehm eine massige Gestalt, die er durch Magie zum Leben erweckt.

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"Die Zeit ist da, wo die Beschwörung glücken muss", sagt der Rabbi im Film. "Astaroth, dem furchtbaren Geist, muss ich das Leben spendende Wort entreißen, das den Golem belebt, zur Rettung meines Volkes." Der Geist erscheint und enthüllt jenes Wort, das Rabbi Löw dann auf einen Zettel schreibt und dem Golem anheftet – der erwacht daraufhin zum Leben.
Buchstaben spielen in der Golem-Legende eine zentrale Rolle, denn nach jüdischer Überlieferung existierte die Schrift schon vor der Erschaffung der Welt. Der Ursprung der Golem-Legende reicht bis zur Erzählung von der Erschaffung Adams in der hebräischen Bibel zurück. In Psalm 139,16 heißt es: "Deine Augen sahen mich, da ich noch golem war." Golem ist der hebräische Ausdruck für einen noch unfertigen Menschen.

Lebensechte Statuen galten als beseelt

Aber auch in der griechischen Mythologie gab es Ideen von künstlichen Geschöpfen. Der Göttersohn Hephaistos schuf aus Gold und Bronze Dienerinnen und Krieger und aus Lehm die für Unheil sorgende Pandora. Befördert wurden die antiken Mythen über von Menschenhand konstruierte Wesen nicht zuletzt durch die hohe Kunst der Bildhauerei. Der Baumeister Dädalus soll Statuen gefertigt haben, die so lebensecht wirkten, dass man sie für beseelt hielt.
Auch im Christentum spekulierte man über künstliche Menschen. Einer der bedeutendsten christlichen Denker seiner Zeit, der Kirchenlehrer Albertus Magnus, soll im 13. Jahrhundert einen künstlichen Diener gebaut haben.

"Es ist von unterschiedlichen berühmten Leuten vorgegeben worden, dass sie eherne Köpfe machen können, welche haben reden können. Albertus Magnus soll hierin künstlicher als seine Vorgänger gewesen sein und einen ganzen Menschen von solcher Art verfertigt haben."

Eberhard David Hauber, lutherischer Theologe und Kartenhistoriker (1695 - 1765)

So berichtete im 18. Jahrhundert Eberhard David Hauber über jenes künstliche Geschöpf, das er „Android“ nannte. Diese Geschichte steht im Kontext der Vorwürfe gegen Albertus Magnus, er habe mit Alchemie die Grenzen des in der Wissenschaft Erlaubten übertreten. Für die Kirche war Wissenschaft als Selbstzweck verdächtig: Sie sollte nur der Vergewisserung der christlichen Lehre dienen.

Menschen wie Automaten bauen

Auch der berühmt-berüchtigte Arzt Paracelsus glaubte im 16. Jahrhundert, mit Hilfe der Alchemie einen sogenannten „Homunkulus“ erzeugen zu können. Sein Rezept: männlichen Samen, Blut und Urin vermischen und 40 Tage einlegen: „Nach dieser Zeit wird es einem Menschen einigermaßen gleich sehen, doch durchsichtig, ohne einen Corpus. Wenn es danach 40 Wochen mit menschlichem Blut ernährt wird, wird ein recht lebendig menschlich Kind daraus.“
In der Aufklärung hielt man solche alchemistischen Ideen für Humbug. Als im 18. Jahrhundert eine regelrechte Automatenmanie einsetzte und man bewegliche Figuren wie Schach- oder Flötenspieler in Menschengestalt baute, vertraten Philosophen wie Julien Offray de la Mettrie die Vorstellung, dass der Mensch wie eine Maschine nach mechanisch-physikalischen Gesetzen funktioniere und es deshalb möglich sein müsse, nach diesen Prinzipien einen sprechenden Androiden nachzubauen.
Filmszene aus der Frankenstein-Verfilmung von 1931: Colin Clive und Dwight Frye als Dr. Henry Frankenstein und Fritz bei der Erschaffung des künstlichen Wesens durch Elektrizität im Labor.
Colin Clive und Dwight Frye als Dr. Henry Frankenstein und Fritz in der Frankenstein-Verfilmung von 1931.© Imago / Mary Evans
Aber auch für die Autoren der Romantik wie E.T.A. Hoffmann oder Mary Shelley waren künstliche Menschen ein Thema. In Shelleys Roman „Frankenstein“ von 1817 – verfilmt 1931 – konstruiert ein Wissenschaftler aus Leichenteilen ein Wesen, das er mithilfe von Elektrizität zum Leben erweckt.
Frankenstein will durch seine Schöpfung das Elixier des Lebens finden. Das Motiv des Romans ist die Hybris des Menschen, mit Gott konkurrieren zu wollen: „It's alive! Now I know how it feels to be god!“, ruft der Wissenschaftler.

Ambivalenz des technischen Fortschritts

Ähnlich ist es mit der Golem-Legende. Laut der mittelalterlichen Überlieferung war die Erweckung des Golem ein gemeinschaftsstiftendes Ritual, bei dem die Gemeinde in Ekstase Buchstaben rezitierte. In der Version der Geschichte, die im 19. Jahrhundert entsteht, wird der Golem zu einer Figur, in der sich die Ambivalenz des technischen Fortschritts in der Moderne bündelt.
Das ist auch Thema in der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts, wo die Androiden zwar als Arbeitssklaven dienen, aber sich immer wieder gegen ihre Herren auflehnen. Sie bleiben eine Bedrohung, werden jedoch auch immer menschenähnlicher – was zur Frage führt, was das Menschsein eigentlich ausmacht.

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Wie in "Blade Runner" von 1982: Dort ist ein spezieller Test notwendig, um untergetauchte Replikanten zu erkennen. Es sind Replikanten, die in "Blade Runner" eine Menschlichkeit bewahren, die der Mensch verloren hat: Einer von ihnen wird mit Kreuzigungsstigmata an den Händen sogar in Nähe zu Jesus gerückt.

Der Terminator: ein moderner Christophorus

Erlöserfiguren können in der Science-Fiction durchaus künstlich sein. In James Camerons „Terminator 2“ von 1991 wird ein Android in die Vergangenheit geschickt, um John Connor, den künftigen Retter der Menschheit, zu beschützen.
Der Terminator ist – so der Philosoph Peter Sloterdijk – ein moderner Christophorus: Er beschützt den Heilsbringer Connor, der mit den Initialen JC als Jesus-Figur markiert ist.

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Und in "Matrix" von 1999 wird Hacker Neo zum Messias, der die Menschheit aus ihrer Scheinexistenz führen soll.
Der Weg führt über diesen Dialog: „Sind Sie das Orakel? – Du weißt, wieso Morpheus dich zu mir gebracht hat. Meinst du, du bist der Auserwählte? – Ich weiß es nicht. – Ich verrate dir ein kleines Geheimnis: Auserwählt zu sein ist genauso wie verliebt sein. Niemand kann dir sagen, dass du es bist. Du weißt es einfach, es fließt durch dich hindurch.“

Ferngesteuerte Retter der Menschheit

In "Avatar" von 2009 kommt der Erlöser als ferngesteuerter Avatar – ein Begriff aus dem Hinduismus, der einen in Menschen- oder Tiergestalt auf die Welt hinabgestiegenen Gott beschreibt. Im Film wird der Geist des Ex-Marines Sully in der künstlichen Hülle eines Avatars auf den Mond Pandora geschickt. Er soll dort das Volk der Na'vi infiltrieren, um ihre Unterwerfung vorzubereiten.
Filmszene mit Sam Worthington als Nani in Avatar (2009).
Sam Worthington in Avatar 2009.© Imago / Cinema Publishers Collection / 20th Century Fox Hollywood
Aber das Naturvolk erkennt in Sully eine Gottheit, und der Bekehrte wird zum auserwählten Retter der Na'vi. In der Science-Fiction können Avatare und Androiden zur Bedrohung werden – hier lebt das religiöse Motiv der blasphemischen Auflehnung gegen Gott weiter – oder zum Messias.
Denn wenn sich der Mensch in seiner Hybris von dem gelöst hat, was seinen wahren Kern ausmacht, kann nur noch sein eigenes Geschöpf den Menschen vor sich selbst retten – zumindest im Film.

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