Künstlerproteste in Brasilien

Mehr Kultur und Bildung statt noch mehr Waffen!

05:17 Minuten
Demonstranten nehmen an einem landesweiten Bildungsstreik in Brasilia teil. Blick von oben auf eine Masse von Demonstranten. Sie schwenken Fahnen und halten Transparente hoch.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat den Waffenbesitz erleichtert. Das Gewaltproblem des Landes lasse sich eher durch mehr Geld für Bildung und Kultur lösen, finden viele Brasilianer – wie tausende Demonstranten in Brasilia im Mai 2019. © Eraldo Peres / AP / dpa
Von Azadê Peşmen  · 21.05.2019
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Bereits vor der Wahl Jair Bolsonaros war der Widerstand in der Kulturszene groß. Daran hat sich, seit er im Amt ist, nichts geändert. Besonders kritisieren die Künstler die Kürzungen im Bildungsbereich und die Freigabe von Waffen.
Bei der Frage, was sie von der aktuellen Regierung unter Jair Bolsonaro halten, werden die Künstler erstmal einsilbig. Es dauert aber nicht lange und zumindest Ronald Iurie, Künstlername Sheick, antwortet wie aus der Pistole geschossen:
"Scheiße. Eine ganz große Scheiße. Was soll man von einem Land erwarten, in dem derjenige, der das Amt des Präsidenten antritt, in öffentlichen Erklärungen explizit rassistisch ist, bestimmten religiösen Praktiken gegenüber intolerant ist, der den Kulturetat streicht und stattdessen in Waffen investiert?"

Waffen statt Kulturprojekte für Jugendliche

Jair Bolsonaro hat bisher zwei Dekrete erlassen, die den Waffenbesitz erleichtern - in einem Land, das ohnehin mit Gewalt zu kämpfen hat. Dazu zählt nicht nur Polizeigewalt, sondern auch Schusswechsel zwischen Zivilisten. Bolsonaro löst damit ein zentrales Versprechen aus seinem Wahlkampf ein. Mehr Waffen gleich mehr Sicherheit – so lautet seine Rechnung.
"Er muss nicht in Waffen investieren, weißt du, was der Abrüstung hilft und die meisten Jugendlichen aus der Kriminalität rausholt? Kultur!", erklärt der Tänzer Sheick und ist damit nicht der einzige Künstler, der die Politik Jair Bolsonaros kritisiert.

Verantwortung ernst nehmen

Der Schriftsteller Luiz Ruffato ist bekannt dafür, dass er in seinen Romanen gesellschaftskritische Themen behandelt. Aber auch öffentlich äußert er sich kritisch.
Der Schriftsteller Luiz Ruffato am 14.03.2012 bei der Präsentation eines Buches "Sao Paulo" in Sao Paulo, Brasilien
Der Schriftsteller Luiz Ruffato sieht sich in der Pflicht, gegen den kulturfeindlichen Kurs der Regierung Stellung zu beziehen© Fabio Guinalz/Fotoarena/imago
In Deutschland ist Ruffato vor allem für seine Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse 2013 bekannt, mit der er das Postkarten-Image Brasiliens dekonstruierte und auf die aktuellen Probleme des Landes aufmerksam machte, wie die Soziale Ungleichheit und Rassismus. Heute habe sich das alles nur noch mehr verschlechtert, sagt er.
"Die Tatsache, dass wir in Brasilien eine sehr ernste politische und wirtschaftliche Situation erleben, verpflichtet einen als Künstler, sich politisch zu positionieren. Das wiederum bringt dich gezwungenermaßen zum Arbeiten, in meinem Fall, als Schriftsteller. Also ich fühle mich auf der einen Seite gelähmt aufgrund der, man kann schon fast sagen Depression, die uns hier erfasst hat, auf der anderen Seite fühle ich mich verpflichtet dazu, weiterzuschreiben."

Engagement gegen zu wenig Geld für die Bildung

Viele Künstler machen wie der Schriftsteller weiter, beziehen öffentlich Stellung und verbreiten ihre Positionen vor allem über ihre Kanäle in den sozialen Medien. Die größte Sorge, die Luiz Ruffato derzeit umtreibt, ist nicht unbedingt die aktuelle Kulturpolitik des amtierenden brasilianischen Präsidenten, sondern vor allem das Bildungsministerium.
"Es hat natürlich Auswirkungen, es gibt keine Finanzierung für Festivals, für Veranstaltungen, an denen man teilnehmen könnte. Es geht aber nicht nur um das Kulturministerium, das Chaos, das derzeit im Bildungsministerium herrscht, ist viel schlimmer."
Mit der Ankündigung, den Etat für öffentliche Universitäten massiv zu kürzen, hat das Bildungsministerium landesweit Proteste ausgelöst, die in den Brasilianischen Großstädten mehrere Zehntausend Menschen auf die Straße brachte.
Viele Künstler und Künstlerinnen, wie die Schauspielerin Bruna Linz Meyer oder der Musiker Marcelo D2 unterstützten die Proteste und rufen ihre Follower auf, sich daran zu beteiligen. Auch die Sängerin Daniela Mercury:
"Die Straße gehört heute uns. Damit wir uns als Volk behaupten, um zu zeigen, dass es keine starke Gesellschaft ohne Wissen, Bildung und natürlich nicht ohne freie Schulen gibt. Ein Land braucht eine Vielfalt unterschiedlicher Meinungen, das bereichert uns in jeglicher Hinsicht. In einem demokratischen Land gibt es keine Bildung ohne Dialog und ohne Konfrontationen."

Düstere Vorahnung noch übertroffen

Auch vor der Wahl Bolsonaros war der Widerstand in der Kulturszene groß. Daran hat sich, seit er im Amt ist, nichts geändert. Kunst-und Kulturschaffende hören nicht auf, Kritik an seiner Politik zu üben und diese auch öffentlich zu machen. Luiz Ruffato blickt pessimistisch in die Zukunft:
"Ich würde natürlich auch gerne unsere Unterhaltung mit etwas Positivem abschließen, etwas, das uns darauf hoffen lässt, dass sich die Situation zum Besseren entwickelt. Aber wir haben einen demokratisch gewählten Präsidenten, der uns jeden Tag aufs Neue zeigt, dass er sehr schlecht regiert. Nicht mal wir, die ihn nicht mögen, hätten gedacht, dass er das so schlecht machen würde.
Entweder wir haben eine vierjährige Amtszeit Bolsonaros, die das Land danach mit Sicherheit in einem desolaten Zustand lässt. Oder er bringt sein Mandat nicht zu Ende und das Militär übernimmt. Mit anderen Worten: Es gibt kaum etwas, dass uns positiv in die nähere Zukunft blicken lässt."
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