Künstlerkolonie

Auf der Suche nach Natur und Ursprünglichkeit

Die Aufnahme vom 23.05.2012 zeigt das vom Jugenstil-Künstler Heinrich Vogeler gestaltete Gesamtkunstwerk Barkenhoff in Worpswede (Kreis Osterholz). Der einstige Treffpunkt der Worpsweder Künstlergemeinschaft ist hier in seinem restaurierten Zustand zu sehen.
Der einstige Treffpunkt der Worpsweder Künstlergemeinschaft: das vom Jugenstil-Künstler Heinrich Vogeler gestaltete Gesamtkunstwerk Barkenhoff. © Ingo Wagner /dpa
Von Rainer Berthold Schossig |
Überwältigt vom starken Natureindruck der weiten und herben Landschaft waren die Maler Otto Modersohn und Fritz Mackensen als sie 1889 in das niedersächsische Moordorf Worpswede kamen. Wenige Jahre später waren die Moor-Maler der Künstlerkolonie und ihre lyrische Naturmalerei weithin bekannt.
"Mittwoch, 3. Juli 1889, kam ich mit Fritz Mackensen voller Erwartung hier an. Ich fand ein höchst originelles Dorf; der hügelige sandige Boden im Ort selbst, die großen bemoosten Strohdächer und nach allen Seiten, soweit man sehen konnte, alles so weit und so groß wie am Meer."
So beschrieb der junge Maler Otto Modersohn seinen ersten Besuch in Worpswede. Die entlegene, von Birken-Alleen durchzogene Geestlandschaft am Teufelsmoor fesselte die Maler, die eigentlich nur Ferien machen wollten. Noch der 87-jährige Fritz Mackensen erinnerte sich genau daran:
"Über den Wiesenflächen mit den gewundenen Wasserläufen, auf denen schwarze Segel ihre Bahnen zogen, weitete sich der Blick bis zu den blauen Geesthügeln. Über diesem farbigen Raum hatte der Himmel seine Wunder aufgezogen. Wolkengebilde, deren Reflexe alles auf der Erde in ein köstliches Lichtgeheimnis verwandelten und die Wasserläufe wie Diamanten aufblitzen ließen."
Auf der Suche nach Natur und Ursprünglichkeit verließen damals viele junge Künstler die Akademie, um in unberührter Landschaft zu malen. Zu den beiden Gründern stießen die Maler Hans am Ende, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler; und bald wurden die "Worpsweder", wie man sie nun nannte, zur ersten Gruppenausstellung in die Kunsthalle im nahen Bremen eingeladen. Die Reaktionen der Presse und des Publikums waren eher kritisch. Doch dies änderte sich, als die Worpsweder 1895 an einer Ausstellung im Münchener Glaspalast teilnahmen. Stolz zog Fritz Mackensen Bilanz:
"Der Erfolg war enorm. Man konnte geradezu von einem europäischen Ereignis reden! Worpswede war über Nacht zum Weltdorf geworden."
Die Originalität der Moor-Maler, ihr Reichtum an Farbnuancen, märchenhaft-lyrisch verwandelt und vergeistigt, treffen den Kern der Natur zielsicher, ja geradezu intim. Die ländliche Poesie ist es auch, die der jungen Paula Becker imponiert, als sie kurz vor der Jahrhundertwende nach Worpswede kommt:
"Über Nacht zum Weltdorf geworden"
"Worpswede, Worpswede, Worpswede - versunkene Glocke Stimmung! Birken Kiefern und alte Weiden, schönes braunes Moor, ...! Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, es ist ein Wunderland, ein Götterland."
So beginnen ihre ersten Tagebucheintragungen aus dem Künstlerdorf. Sie malt die spröde, weltferne Landschaft und portraitiert deren bäuerlich-herbe Bewohner, die Torfstecher und Armenhäusler. Heinrich Vogeler, der seinen Wohnsitz, den Barkenhoff, zu einem veritablen Jugendstil-Märchenschloss ausbaut, lockt weitere Künstler und Schriftsteller an. Seine Frau Martha schwärmt lange später noch von den Besuchen des Dichters Rainer Maria Rilke:
"Wir haben sehr schöne Abende gehabt; er hat gelesen, und es war ein ganz kleiner Kreis, Paula Modersohn, Otto Modersohn, Clara Westhoff. Wenn er in den Raum kam, war sofort eine feierliche Stimmung."
Doch die Idylle trügt: Nach der märchenhaften Doppelhochzeit Rilkes mit der Worpsweder Bildhauerin Clara Westhoff und Otto Modersohns mit Paula Becker brechen die Künstlerfreundschaften auseinander: Paula entdeckt auf ihren Parisreisen Bilder von Cézanne und Matisse, sie strebt zur Avantgarde-Kunst, stirbt jedoch viel zu früh. Und der verwitwete Modersohn wechselt ins benachbarte Fischerhude.
Heute ein beliebter Wallfahrtsort für Kunsttouristen
Auch Rilke verlässt das Moordorf und geht nach Paris. Der Erste Weltkrieg schüttelt das Dorf vollends durcheinander: Vogeler wird Pazifist, später Reformpädagoge und schließlich Kommunist; er emigriert in die junge Sowjetunion, wo er im Zweiten Weltkrieg elend verhungert. Derweil versinkt Worpswede in der Enge nationalsozialistischer Pseudokunst und innerer Resignation.
In der Nachkriegszeit besannen sich die Worpsweder nur langsam auf die bedeutende Geschichte des alten "Weltdorfes". Junge Künstler knüpften stilistisch nicht an die "Alten Worpsweder" an. Immerhin hat man in den letzten Jahren die Museumslandschaft modernisiert und neu geordnet. Heute ist die Malerkolonie Flaniermeile für Kunsthandwerk und ein beliebter Wallfahrtsort für Kunsttouristen.
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