Künstlerische Liebe zur Schrift
Selbst der Bundestag hat sich bereits mit seinem Werk befasst. Mit nur zwei Stimmen Mehrheit wurde das Kunstwerk "Der Bevölkerung" von Hans Haacke im Lichthof des Reichstags akzeptiert. Jetzt ist die Videoaufzeichnung der Bundestagsdebatte Teil einer großen Retrospektive zum 70. Geburtstag des Künstlers.
Im G von Bevölkerung sprießt ein Ahorn, das Ö ist unter Brombeerranken begraben: Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlungen im Deutschen Bundestag, hat im Sommer mit ausdrücklicher Genehmigung Hans Haackes schon zur Gartenschere gegriffen, damit der Schriftzug "Der Bevölkerung" überhaupt noch von der Besuchergalerie aus zu lesen ist. Für Kaernbach ist dieses Werk das avantgardistischste im gesamten Gebäude, denn es entwickelt sich immer weiter. Auch künftige Bundestagsabgeordnete dürfen Erde aus ihrem Wahlkreis um die Neonbuchstaben schütten. Einer aus Franken hat sogar ein Apfelbäumchen samt Pflanzkorb in dem Kunstwerk platziert, weil seine Region von Apfelplantagen lebt. Solche "Erdeinbringungen" von Abgeordneten mit ihrer Besuchergruppe beobachtet Andreas Kaernbach zwei bis dreimal pro Woche.
"Und das ist insofern sehr schön und spannend, weil sich mit dieser Erde, die aus dem Wahlkreis gebracht wird, dann ja sehr oft eine Geschichte verbindet. Es ist nicht irgendeine Erde, sondern es ist Erde aus historisch bedeutenden Orten des Wahlkreises, infrastrukturell, also wirtschaftlich bedeutenden Orten, es kommt Erde mit Geschichte, mit echten Bezügen zu dem jeweiligen Wahlkreis."
Heimaterde, Volk: Von den Nationalsozialisten pervertierte Begriffe. Der Schriftzug "Der Bevölkerung" antwortet auf die unter Wilhelm II. am Reichstagsgebäude angebrachte Inschrift "Dem deutschen Volke". Diese Inschrift nämlich schließt Einwanderer aus, findet Hans Haacke. Auch er hat das Wort "Volk" benutzt: In einem Wettbewerbsentwurf für den Hof der Leipziger Nikolaikirche, wo 1989 die Bevölkerung der DDR skandierte: Wir sind das Volk. Haacke wollte eine Leuchtschrift aus blauen Neonröhren anbringen "Wir (alle) sind das Volk". "Alle" in Klammern, weil manche Bürger in Deutschland ausgegrenzt oder sogar ermordet werden.
"Und deswegen habe ich den Zusatz dazu gebracht: Wir alle sind das Volk. Also alle, die auf dem Territorium der Bundesrepublik leben."
Der unscheinbare Herr in Jeans und Pullover, mit Halbglatze und kurz geschorenem grauen Bart, liebt die Schrift. Durch die Retrospektive in Berlin und Hamburg müssen Besucher sich geradezu durchlesen. Schwarze Schrift auf weißem Grund ist auch Haackes jüngstes Werk am Eingang zur Akademie der Künste in Berlin: Die Namen und Todesdaten von 48 Personen überziehen die Glasfront, teilen sie auf halber Höhe wie ein Epitaph, eine Grabinschrift. Geboren in Vietnam, Ghana oder Rumänien, lesen wir. Überfahren in Dresden, erstochen in Berlin, erschlagen in Saal in Mecklenburg-Vorpommern – weil sie nicht deutsch aussahen. Titel der extra für die Ausstellung gefertigten Arbeit: Kein schöner Land. Haacke lebt in Amerika, wo er 1965 während eines Stipendiums in New York seine Frau Linda kennen gelernt hatte.
Der hinterste Raum in der Akademie der Künste rekonstruiert Haackes jüngste Einzelausstellung dort vor einem Jahr: State of the Union hieß sie, und Haacke hat da mit der Nationalflagge, dem Sternenbanner, alles Mögliche angestellt. Hat es zum Beispiel einem Mann als Sack über den Kopf gezogen wie einem Guantanamo-Häftling. Das Foto schaffte es in den "New Yorker" und wurde so landesweit bekannt, doch Hans Haacke schafft es in kein Museum in Amerika.
Er kann dort nur in kleinen Galerien ausstellen. Seit 1971 eine Ausstellung im Guggenheim-Museum platzte, weil eine seiner Arbeiten die Machenschaften New Yorker Immobilienhaie kritisierte. Die Schwarz-Weiß-Fotos hängen nun hier in Berlin, auf den ersten Blick unspektakulär. So nüchtern wie die Informationstafeln über den Sammler und Stifter Peter Ludwig in den Hamburger Deichtorhallen: In "Der Pralinenmeister" zeigte Haacke 1981 die Verbindungen zwischen Ludwigs Investitionen als Schokoladenfabrikant und seinem Engagement als Kunstförderer.
"Zum Beispiel hat Peter Ludwig bei einer Documenta schon 1977 die Präsenz von akademischen Malern aus der damaligen DDR durchgesetzt, zugleich aber in der DDR die Errichtung von Fabriken, die Ludwig gehört haben, durchgebracht. Die aber eigentlich einer Produktion in einem Billiglohnland nahe gekommen sind, wenn man das jetzt sagt."
Robert Fleck, der Kurator der Deichtorhallen-Ausstellung, war damals 24 und baute die große Westkunst-Schau in Köln mit auf, deren Hauptleihgeber Peter Ludwig war. Auch Haackes "Der Pralinenmeister" war ursprünglich für diese Leistungsschau moderner Kunst gedacht. Musste dann aber kurzfristig in eine kleine Galerie umziehen, um den Großsponsor nicht zu verprellen.
"Und uns fiel alles herunter, als wir sahen, wie Herr Ludwig, den jeder in der europäischen Kunstwelt kannte, als man auf ganz einfach gestalteten Tafeln die ganzen wirtschaftlichen Verflechtungen von Ludwig, aber auch von seiner Sammlung auf einmal wahrnahm. Und man sah natürlich den Rest der großen Ausstellung auch völlig anders."
Schon vor fünf Jahren wollten die Deichtorhallen solch einen Haacke für ihre Sammelausstellung "Art and Economy". Doch der Künstler gab kein Werk heraus, weil das Siemens Arts Program der Geldgeber war.
"Ich möchte nicht der PR-Soldat für Konzerne sein. Solange der Name Siemens dabei ist, gleichgültig wie sie das drapieren, kommt es doch aufs selbe raus. Und nur deswegen hat doch Siemens daran gedacht, in so eine Stiftung Geld rein zu stecken. Das tun die doch nicht aus Großzügigkeit."
Haackes Documenta-Plakate zum Thema Kultursponsoring zitieren den ehemaligen Deutsche-Bank-Manager Hilmar Kopper: "Wer das Geld gibt, kontrolliert" oder Raymond d’Argenio von Mobil Oil: "Diese Programme bringen uns so viel Akzeptanz, dass wir bei wichtigen Fragen grob werden können". Auf nationalsozialistisch anmutenden Fahnen listete der Künstler 1991 die Deutsche Industrie im Irak, von AEG bis Thyssen. Und das hat damals auf dem Münchner Königsplatz sicher noch stärker gewirkt als jetzt in den Hamburger Deichtorhallen. Zumindest gibt es die Fahnen noch und nicht bloß Fotos von der Aktion. Die meisten Haacke-Werke, so der Berliner Kurator Matthias Flügge, sind eben flüchtig.
"Die entstehen zu bestimmten Anlässen im öffentlichen Raum, werden ne Weile gezeigt und verschwinden dann wieder. Ein so großes und langzeitig wirkendes Werk wie das im Reichstagsgebäude. Das ist eine Sache, die eher weniger vorkommt in Haackes Werk."
Und der 70-Jährige ahnt, dass dies von ihm bleiben wird. Während das von ihm angeprangerte Kultursponsoring für die meisten jüngeren Künstler längst selbstverständlich ist.
"Die Chance, dass wir mit unserer Kritik Gehör finden, die schwindet immer mehr. Ja ja, das ist das Schicksal alter Männer. Aber die Jungen müssen’s ausbaden."
Service: Die Ausstellung "wirklich. werke 1959 – 2006" in den Hamburger Deichtorhallen ist vom 17. November 2006 bis zum 4. Februar 2007 zu sehen.
In der Akademie der Künste wird die Ausstellung vom 18. November 2006 bis zum 14. Januar 2007 gezeigt.
"Und das ist insofern sehr schön und spannend, weil sich mit dieser Erde, die aus dem Wahlkreis gebracht wird, dann ja sehr oft eine Geschichte verbindet. Es ist nicht irgendeine Erde, sondern es ist Erde aus historisch bedeutenden Orten des Wahlkreises, infrastrukturell, also wirtschaftlich bedeutenden Orten, es kommt Erde mit Geschichte, mit echten Bezügen zu dem jeweiligen Wahlkreis."
Heimaterde, Volk: Von den Nationalsozialisten pervertierte Begriffe. Der Schriftzug "Der Bevölkerung" antwortet auf die unter Wilhelm II. am Reichstagsgebäude angebrachte Inschrift "Dem deutschen Volke". Diese Inschrift nämlich schließt Einwanderer aus, findet Hans Haacke. Auch er hat das Wort "Volk" benutzt: In einem Wettbewerbsentwurf für den Hof der Leipziger Nikolaikirche, wo 1989 die Bevölkerung der DDR skandierte: Wir sind das Volk. Haacke wollte eine Leuchtschrift aus blauen Neonröhren anbringen "Wir (alle) sind das Volk". "Alle" in Klammern, weil manche Bürger in Deutschland ausgegrenzt oder sogar ermordet werden.
"Und deswegen habe ich den Zusatz dazu gebracht: Wir alle sind das Volk. Also alle, die auf dem Territorium der Bundesrepublik leben."
Der unscheinbare Herr in Jeans und Pullover, mit Halbglatze und kurz geschorenem grauen Bart, liebt die Schrift. Durch die Retrospektive in Berlin und Hamburg müssen Besucher sich geradezu durchlesen. Schwarze Schrift auf weißem Grund ist auch Haackes jüngstes Werk am Eingang zur Akademie der Künste in Berlin: Die Namen und Todesdaten von 48 Personen überziehen die Glasfront, teilen sie auf halber Höhe wie ein Epitaph, eine Grabinschrift. Geboren in Vietnam, Ghana oder Rumänien, lesen wir. Überfahren in Dresden, erstochen in Berlin, erschlagen in Saal in Mecklenburg-Vorpommern – weil sie nicht deutsch aussahen. Titel der extra für die Ausstellung gefertigten Arbeit: Kein schöner Land. Haacke lebt in Amerika, wo er 1965 während eines Stipendiums in New York seine Frau Linda kennen gelernt hatte.
Der hinterste Raum in der Akademie der Künste rekonstruiert Haackes jüngste Einzelausstellung dort vor einem Jahr: State of the Union hieß sie, und Haacke hat da mit der Nationalflagge, dem Sternenbanner, alles Mögliche angestellt. Hat es zum Beispiel einem Mann als Sack über den Kopf gezogen wie einem Guantanamo-Häftling. Das Foto schaffte es in den "New Yorker" und wurde so landesweit bekannt, doch Hans Haacke schafft es in kein Museum in Amerika.
Er kann dort nur in kleinen Galerien ausstellen. Seit 1971 eine Ausstellung im Guggenheim-Museum platzte, weil eine seiner Arbeiten die Machenschaften New Yorker Immobilienhaie kritisierte. Die Schwarz-Weiß-Fotos hängen nun hier in Berlin, auf den ersten Blick unspektakulär. So nüchtern wie die Informationstafeln über den Sammler und Stifter Peter Ludwig in den Hamburger Deichtorhallen: In "Der Pralinenmeister" zeigte Haacke 1981 die Verbindungen zwischen Ludwigs Investitionen als Schokoladenfabrikant und seinem Engagement als Kunstförderer.
"Zum Beispiel hat Peter Ludwig bei einer Documenta schon 1977 die Präsenz von akademischen Malern aus der damaligen DDR durchgesetzt, zugleich aber in der DDR die Errichtung von Fabriken, die Ludwig gehört haben, durchgebracht. Die aber eigentlich einer Produktion in einem Billiglohnland nahe gekommen sind, wenn man das jetzt sagt."
Robert Fleck, der Kurator der Deichtorhallen-Ausstellung, war damals 24 und baute die große Westkunst-Schau in Köln mit auf, deren Hauptleihgeber Peter Ludwig war. Auch Haackes "Der Pralinenmeister" war ursprünglich für diese Leistungsschau moderner Kunst gedacht. Musste dann aber kurzfristig in eine kleine Galerie umziehen, um den Großsponsor nicht zu verprellen.
"Und uns fiel alles herunter, als wir sahen, wie Herr Ludwig, den jeder in der europäischen Kunstwelt kannte, als man auf ganz einfach gestalteten Tafeln die ganzen wirtschaftlichen Verflechtungen von Ludwig, aber auch von seiner Sammlung auf einmal wahrnahm. Und man sah natürlich den Rest der großen Ausstellung auch völlig anders."
Schon vor fünf Jahren wollten die Deichtorhallen solch einen Haacke für ihre Sammelausstellung "Art and Economy". Doch der Künstler gab kein Werk heraus, weil das Siemens Arts Program der Geldgeber war.
"Ich möchte nicht der PR-Soldat für Konzerne sein. Solange der Name Siemens dabei ist, gleichgültig wie sie das drapieren, kommt es doch aufs selbe raus. Und nur deswegen hat doch Siemens daran gedacht, in so eine Stiftung Geld rein zu stecken. Das tun die doch nicht aus Großzügigkeit."
Haackes Documenta-Plakate zum Thema Kultursponsoring zitieren den ehemaligen Deutsche-Bank-Manager Hilmar Kopper: "Wer das Geld gibt, kontrolliert" oder Raymond d’Argenio von Mobil Oil: "Diese Programme bringen uns so viel Akzeptanz, dass wir bei wichtigen Fragen grob werden können". Auf nationalsozialistisch anmutenden Fahnen listete der Künstler 1991 die Deutsche Industrie im Irak, von AEG bis Thyssen. Und das hat damals auf dem Münchner Königsplatz sicher noch stärker gewirkt als jetzt in den Hamburger Deichtorhallen. Zumindest gibt es die Fahnen noch und nicht bloß Fotos von der Aktion. Die meisten Haacke-Werke, so der Berliner Kurator Matthias Flügge, sind eben flüchtig.
"Die entstehen zu bestimmten Anlässen im öffentlichen Raum, werden ne Weile gezeigt und verschwinden dann wieder. Ein so großes und langzeitig wirkendes Werk wie das im Reichstagsgebäude. Das ist eine Sache, die eher weniger vorkommt in Haackes Werk."
Und der 70-Jährige ahnt, dass dies von ihm bleiben wird. Während das von ihm angeprangerte Kultursponsoring für die meisten jüngeren Künstler längst selbstverständlich ist.
"Die Chance, dass wir mit unserer Kritik Gehör finden, die schwindet immer mehr. Ja ja, das ist das Schicksal alter Männer. Aber die Jungen müssen’s ausbaden."
Service: Die Ausstellung "wirklich. werke 1959 – 2006" in den Hamburger Deichtorhallen ist vom 17. November 2006 bis zum 4. Februar 2007 zu sehen.
In der Akademie der Künste wird die Ausstellung vom 18. November 2006 bis zum 14. Januar 2007 gezeigt.