Künstlerische Innenansichten aus China
"Umweg über China" - Der seltsame Titel des zehntägigen Festivals beschreibt gleichzeitig das gedankliche Zentrum eines Eröffnungssymposiums, das sich mit den Berührungen von chinesischen und europäischen Denkstrukturen beschäftigte. Danach beschreibt der Begriff "Umweg" die Suche nach dem anderen Ort, dem Außenstandpunkt, von dem aus Sinn erhellend europäische Prozesse betrachtet werden können.
Ein Blick auf das Gesamtprogramm des Festivals beweist jedoch, dass dieser Titel nur Teile des Angebots einbezieht, handelt es sich doch in den meisten Programmpunkten um chinesische Innensichten, um die durchaus anregende Darstellung des Lebens der Menschen im Riesenreich.
Da liegen auch die Vorzüge der Programmauswahl: Wir erfahren auf sinnliche Weise etwas von den Existenzproblemen der Menschen, ihren Hoffnungen und ihren Nöten. Deshalb wurden auch keine "staatserhaltenden" Großinszenierungen der staatlichen Theaterszene ausgewählt, sondern gesellschaftskritischere, formal innovativere Produktionen von Spitzengruppen des unabhängigen Theaters wie dem "Living dance Studio" Peking und dem Drama Studio Hui Gu. Auffällig auch die Weite und Vielfalt der vorgestellten Genres und Kunstgattungen: die Fotoserie neben der Videoinstallation, Dokumentar- und Spielfilm neben Tanztheater und Schauspieltheater.
Allen Sparten aber ist gemeinsam der kritische Blick auf die Defizite und Zerreißproben der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft und ihre Widerspiegelung im Existenzkampf der einfachen Menschen.
In einer Videoinstallation von Wang Janwei kommen Verletzungen des Menschenrechts und soziale Härten ins Blickfeld. In einem rot ausgeschlagenen Kasten kann der Betrachter auf drei Bildschirmen Filmausschnitte zum gleichen Gegenstand verfolgen. Die Bauern, die - um ihre ärmlichen Hütten heizen zu können -, im Wald Holz gestohlen haben, werden nun in entwürdigender Weise auf der Polizeistation verhört und geschlagen. Die schicksalsergebene Teilnahmslosigkeit des einen Bauern, dessen Gesicht schon deutliche Schwellungen aufweist, werde ich ewig im Gedächtnis behalten.
Dicht neben dieser Installation eine Filmleinwand, auf der in einer filmischen Endlosschleife das primitive Nachtlager von Wanderarbeitern gezeigt wird. Das Schicksal der 150-200 Millionen Lohnsklaven, für die es weder auf dem Lande noch in der Stadt eine feste Arbeit und Rechtsschutz gibt, kommt zur sinnlichen Anschauung.
Ein früher Film des auch in Europa bekannten Filmregisseurs Jia Zhangke - im vorigen Jahr Hauptpreisträger beim Festival in Venedig - bringt das Problem der Generation der Einzelkinder zur Sprache - bekanntlich war die Einkindehe eine regierungsamtliche Forderung. Der Film erzählt von der Zukunftsunfähigkeit dieser Kinder. Ein Fresko von Antriebslosigkeit, Langeweile und Trostlosigkeit entsteht. Die Trostlosigkeit der Figuren kehrt wieder in der Trostlosigkeit der Stadtlandschaften. Eine im Niemandsland endende Autobahn wird zur Metapher.
Der wichtigste künstlerische Beitrag des Schauspieltheaters: die Inszenierung des weiblichen Regieshootingstars Cao Kefei, der vielseitigsten Künstlerin der unabhängigen Kunstszene. Die Spielfassung ihrer Inszenierung "Together" ist eine Collage. Ein subtil poetischer Text des Gegenwartsdichters Duo Duo von der Lebensbeichte einer Schauspielerin in mittlerem Alter wird verknüpft mit Aussagen von Frauen des Alltags - von der Hochschuldozentin bis zur Putzfrau. Stellt sich die Hauptdarstellerin die Frage, was Liebe ist, erzählen hinten auf der Filmleinwand die Figuren des Alltags von ihren Lebenserfahrungen und ihren Vorstellungen von erfüllter Ehe. Im lakonischen, unsentimentalen Spiel der Laien hat die Aufführung ihre Stärke - weniger in der für meine Begriffe zu theatralischen Gestaltung der Hauptdarstellerin.
Insgesamt liegt das Besondere dieses Festivals nicht im hochgestochen Artifiziellen, sondern in der Glaubhaftigkeit der Realitätsvermittlung.
Sie können Volker Trauths Live-Kritik des Festivals für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.
Da liegen auch die Vorzüge der Programmauswahl: Wir erfahren auf sinnliche Weise etwas von den Existenzproblemen der Menschen, ihren Hoffnungen und ihren Nöten. Deshalb wurden auch keine "staatserhaltenden" Großinszenierungen der staatlichen Theaterszene ausgewählt, sondern gesellschaftskritischere, formal innovativere Produktionen von Spitzengruppen des unabhängigen Theaters wie dem "Living dance Studio" Peking und dem Drama Studio Hui Gu. Auffällig auch die Weite und Vielfalt der vorgestellten Genres und Kunstgattungen: die Fotoserie neben der Videoinstallation, Dokumentar- und Spielfilm neben Tanztheater und Schauspieltheater.
Allen Sparten aber ist gemeinsam der kritische Blick auf die Defizite und Zerreißproben der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft und ihre Widerspiegelung im Existenzkampf der einfachen Menschen.
In einer Videoinstallation von Wang Janwei kommen Verletzungen des Menschenrechts und soziale Härten ins Blickfeld. In einem rot ausgeschlagenen Kasten kann der Betrachter auf drei Bildschirmen Filmausschnitte zum gleichen Gegenstand verfolgen. Die Bauern, die - um ihre ärmlichen Hütten heizen zu können -, im Wald Holz gestohlen haben, werden nun in entwürdigender Weise auf der Polizeistation verhört und geschlagen. Die schicksalsergebene Teilnahmslosigkeit des einen Bauern, dessen Gesicht schon deutliche Schwellungen aufweist, werde ich ewig im Gedächtnis behalten.
Dicht neben dieser Installation eine Filmleinwand, auf der in einer filmischen Endlosschleife das primitive Nachtlager von Wanderarbeitern gezeigt wird. Das Schicksal der 150-200 Millionen Lohnsklaven, für die es weder auf dem Lande noch in der Stadt eine feste Arbeit und Rechtsschutz gibt, kommt zur sinnlichen Anschauung.
Ein früher Film des auch in Europa bekannten Filmregisseurs Jia Zhangke - im vorigen Jahr Hauptpreisträger beim Festival in Venedig - bringt das Problem der Generation der Einzelkinder zur Sprache - bekanntlich war die Einkindehe eine regierungsamtliche Forderung. Der Film erzählt von der Zukunftsunfähigkeit dieser Kinder. Ein Fresko von Antriebslosigkeit, Langeweile und Trostlosigkeit entsteht. Die Trostlosigkeit der Figuren kehrt wieder in der Trostlosigkeit der Stadtlandschaften. Eine im Niemandsland endende Autobahn wird zur Metapher.
Der wichtigste künstlerische Beitrag des Schauspieltheaters: die Inszenierung des weiblichen Regieshootingstars Cao Kefei, der vielseitigsten Künstlerin der unabhängigen Kunstszene. Die Spielfassung ihrer Inszenierung "Together" ist eine Collage. Ein subtil poetischer Text des Gegenwartsdichters Duo Duo von der Lebensbeichte einer Schauspielerin in mittlerem Alter wird verknüpft mit Aussagen von Frauen des Alltags - von der Hochschuldozentin bis zur Putzfrau. Stellt sich die Hauptdarstellerin die Frage, was Liebe ist, erzählen hinten auf der Filmleinwand die Figuren des Alltags von ihren Lebenserfahrungen und ihren Vorstellungen von erfüllter Ehe. Im lakonischen, unsentimentalen Spiel der Laien hat die Aufführung ihre Stärke - weniger in der für meine Begriffe zu theatralischen Gestaltung der Hauptdarstellerin.
Insgesamt liegt das Besondere dieses Festivals nicht im hochgestochen Artifiziellen, sondern in der Glaubhaftigkeit der Realitätsvermittlung.
Sie können Volker Trauths Live-Kritik des Festivals für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.