Künstlerische Entdeckung der eigenen Biografie
Ein Schwerpunkt der Jüdischen Kulturtage heißt "Begegnungen". Im Kurzfilm "Shadow" treffen der jüdische Max und die muslimische Gül aufeinander. Im Theaterstück "Ein anderes Leben" erzählen jüdische Auswanderinnen aus der Sowjetunion.
"Wir haben uns viel unterhalten über unsere beiden Kulturen, über unsere beiden Familien. Ich denke, bei dieser Gelegenheit habe ich sehr, sehr viel über ihr Umfeld verstanden und was es bedeutet, Muslimin zu sein."
Max ist Jude und geht in die 11. Klasse eines Düsseldorfer Gymnasiums. Erst während der Dreharbeiten zum Film "Shadows" hat er Gül kennengelernt. Sie ist Muslimin, besucht die 10. Klasse einer Hauptschule und unterhält sich nun zum ersten Mal mit einem Juden. 15
"Was für mich so interessant war, dass über Moslems und über Juden – ja, dass das so andere Mentalitäten sind. Ich wollte wissen, was sie vorhaben. Weil ja meist die Moslems sehr streng und hart 'rübergebracht werden. Und die Juden auch auf ihre Art hart und streng in ihrer Religion 'rübergebracht werden."
In ruhigen Einstellungen zeigt der Film Max und Gül während langer Spaziergänge durch die Stadt. Sie unterhalten sich über ihre beiden Kulturen, ihre Religionen und über Vorurteile. Alle Szenen zeigen sie im Winter – und stets im Dunkeln. So sollen diese Treffen wie eine Verschwörung wirken, - oder wie eine soziale Fiktion: nämlich die eines friedlichen Miteinanders von Juden und Muslimen. So erfährt Gül, dass es kompromisslose und recht liberal denkende Juden gibt. Zumal, wenn es um die Verständigung mit Muslimen geht. Ihr Fazit: Genauso erlebt sie es in ihrem Bekannten- und Freundeskreis.
"Ich habe so beide Sichten gesehen. Es gibt halt die Lockeren und die eher Strengeren. Und die Strengeren sind da sich sicher: Das geht nicht! Und bei den Lockeren, würde ich sagen, ist es egal ob Jude oder Deutscher, alles ist Mensch und alle sind gleich."
"Man darf sich bei uns Gott nicht vorstellen. Aber auch nicht malen, das ist bei uns verboten. Vielleicht ist es auch gar kein Mensch, vielleicht ist er überhaupt was anderes, was man noch gar nicht kennt. Man betet zu etwas, von dem man gar nicht weiß, was es ist. Das ist schon krass."
Und prompt bekam sie nach der Premiere des Filmes enormen Stress mit ihren Verwandten.
"'Wie, man weiß es nicht?' Kamen die alle auch zu mir: 'Du Jude, was redest du da? Gottlose und so.' Das sind dann wieder diese typischen Türken. 'Ne, wie, was redest du da? Die nimmt das nicht ernst!' Obwohl, das ist meine Sichtweise, die habe ich dargestellt und das haben die sich nicht einzumischen."
"Du Jude" als Schimpfwort für einen, der als Verräter abgestraft werden soll. Das sei so üblich und werde, davon ist Gül überzeugt, ganz gedankenlos gesagt. Ein verkappter Antisemitismus? Der Film geht darauf leider nicht näher ein. Auch Max lässt dieses Thema offen, - zumindest ist in den gezeigten Sequenzen keine Reaktion von ihm zu sehen. Von ihm erfahren wir indes, dass er nach dem Abitur ein Soziales Jahr machen will, dann aber müsse er studieren. "Typisch jüdisch" diese Forderung seiner Mutter, so sein Kommentar.
"Dass man dem Kind stark vorschreibt, was es zu tun und zu lassen hat. Und dass man ihm seinen Lebensweg vorschreibt. Nicht nur bis zum 18. Lebensjahr, sondern dass man es eigentlich das ganze Leben lang macht."
Starre Verhaltensregeln, die Max auf keinen Fall an seine Kinder weitergeben will:
"Ich meine, ich habe nicht mehr nur zu Juden Kontakt. Sondern in erster Linie habe ich mit Nichtjuden Kontakt. Und deshalb wäre es sinnlos, meinem Kind immer genau die gleiche Kultur vermitteln zu wollen und ihnen zu befehlen, dass sie das zu befolgen haben."
"Shadows", ein Kurzfilm über das Leben zweier Schüler aus Düsseldorf, deren Eltern bereits nach Deutschland eingewandert waren.
Was aber denken und fühlen all jene, die als Kinder oder Jugendliche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Deutschland eine neue Heimat suchten? Verstehen sie sich als Russen, Deutsche oder Juden?
Fragen, denen sich das biografisch angelegte Theaterstück mit dem programmatischen Titel "Ein anderes Leben" stellt. Im Mittelpunkt: drei junge Frauen. Sie kamen aus Estland und der Ukraine. Ganz alleine wie Erika Rubinstein, die unbedingt im Westen studieren wollte. Oder zusammen mit Mutter und Großmutter - wie Vera Gerol.
"Zur Auswahl standen Israel, Deutschland, Amerika und Australien. Und sie hat sich ganz aus materiellen Gründen für meine Zukunft entschieden. In Israel damals sollten alle 15 und 16-Jährigen die Armee leisten. Auch die Mädchen. Weil ich habe mehrmals gefragt, warum wir nicht nach Israel ausgewandert sind. Und das kam als ein Argument."
Als Darstellerinnen ihres Lebens lassen die drei Frauen dann auf der Bühne ihr Erinnerungen an die "alten Heimat" Revue passieren. Zentral auch hier: ihr Jüdisch-Sein.
"Die Fragen nach meiner eigenen Identität hatte ich immer gehabt, auch von klein an, aber sehr stark: Was ich bin? Was ist dieser Sinn des Lebens?"
"Die anderen haben mir zu verstehen gegeben, dass ich anders bin. In dem sie schon mal gesagt hätten, 'dreckige Juden' oder so. Die anderen haben mir gesagt, du bist keine Russin, du bist nicht eine von uns. So dachte ich: okay, dann bin ich was Besonderes, was Bessere, habe ich mir gleich gesagt. Ja, das ist die Schlussfolgerung, die ich gezogen habe."
"Ich bin mit 13 ausgewandert. Die Nichtjuden sagten: Juden raus. Und die Juden sagten: Gott sei dank, wir können raus!"
"Weil, nur Juden hatten die Möglichkeit auszuwandern. Für Juden war es erlaubt, schon in den 70ern auszuwandern."
Was auffällt: Alle drei Frauen erinnern sich ohne Verbitterung. Auch an ihre Ankunft im Auffanglager und später an die Wohnheime.
"Die ersten Wochen in Deutschland, das war genial, das war spannend, das war wie im Märchen."
In ihren jüdischen Gemeinden fanden sie Halt und Unterstützung. Erika Rubinstein boten sie Lebenshilfe im Alltag. Sie leitet heute ein Dolmetscher-Büro und arbeitet für das Filmfestival "Jüdische Welt". Die beiden anderen Frauen fanden dort Partner für ihre Suche nach einer neuen jüdischen Identität. Anna Vilents (sie studierte Kunst) und die Betriebswirtin Valeria Gerol widmen sich seit 2007 dem Studium der Kabbala.
Seitdem Valeria Gerol schwanger ist, setzt sie sich auch mit ihren jüdischen Wertvorstellungen erneut auseinander.
"Diese Weltgeschichte, das ist das, worüber ich mir Gedanken mache, wie mein Kind in dieser Welt zurechtkommt. Was ich ihm geben kann, was ich schon an Erfahrungen habe. Ob es diese Erfahrung überhaupt braucht? Ich möchte ihm eine globale Sichtweise geben. Und Judentum alleine gibt diese Sichtweise nicht. Das heißt, das ist nur ein Teil von dem, was ich ihm geben möchte."
Max ist Jude und geht in die 11. Klasse eines Düsseldorfer Gymnasiums. Erst während der Dreharbeiten zum Film "Shadows" hat er Gül kennengelernt. Sie ist Muslimin, besucht die 10. Klasse einer Hauptschule und unterhält sich nun zum ersten Mal mit einem Juden. 15
"Was für mich so interessant war, dass über Moslems und über Juden – ja, dass das so andere Mentalitäten sind. Ich wollte wissen, was sie vorhaben. Weil ja meist die Moslems sehr streng und hart 'rübergebracht werden. Und die Juden auch auf ihre Art hart und streng in ihrer Religion 'rübergebracht werden."
In ruhigen Einstellungen zeigt der Film Max und Gül während langer Spaziergänge durch die Stadt. Sie unterhalten sich über ihre beiden Kulturen, ihre Religionen und über Vorurteile. Alle Szenen zeigen sie im Winter – und stets im Dunkeln. So sollen diese Treffen wie eine Verschwörung wirken, - oder wie eine soziale Fiktion: nämlich die eines friedlichen Miteinanders von Juden und Muslimen. So erfährt Gül, dass es kompromisslose und recht liberal denkende Juden gibt. Zumal, wenn es um die Verständigung mit Muslimen geht. Ihr Fazit: Genauso erlebt sie es in ihrem Bekannten- und Freundeskreis.
"Ich habe so beide Sichten gesehen. Es gibt halt die Lockeren und die eher Strengeren. Und die Strengeren sind da sich sicher: Das geht nicht! Und bei den Lockeren, würde ich sagen, ist es egal ob Jude oder Deutscher, alles ist Mensch und alle sind gleich."
"Man darf sich bei uns Gott nicht vorstellen. Aber auch nicht malen, das ist bei uns verboten. Vielleicht ist es auch gar kein Mensch, vielleicht ist er überhaupt was anderes, was man noch gar nicht kennt. Man betet zu etwas, von dem man gar nicht weiß, was es ist. Das ist schon krass."
Und prompt bekam sie nach der Premiere des Filmes enormen Stress mit ihren Verwandten.
"'Wie, man weiß es nicht?' Kamen die alle auch zu mir: 'Du Jude, was redest du da? Gottlose und so.' Das sind dann wieder diese typischen Türken. 'Ne, wie, was redest du da? Die nimmt das nicht ernst!' Obwohl, das ist meine Sichtweise, die habe ich dargestellt und das haben die sich nicht einzumischen."
"Du Jude" als Schimpfwort für einen, der als Verräter abgestraft werden soll. Das sei so üblich und werde, davon ist Gül überzeugt, ganz gedankenlos gesagt. Ein verkappter Antisemitismus? Der Film geht darauf leider nicht näher ein. Auch Max lässt dieses Thema offen, - zumindest ist in den gezeigten Sequenzen keine Reaktion von ihm zu sehen. Von ihm erfahren wir indes, dass er nach dem Abitur ein Soziales Jahr machen will, dann aber müsse er studieren. "Typisch jüdisch" diese Forderung seiner Mutter, so sein Kommentar.
"Dass man dem Kind stark vorschreibt, was es zu tun und zu lassen hat. Und dass man ihm seinen Lebensweg vorschreibt. Nicht nur bis zum 18. Lebensjahr, sondern dass man es eigentlich das ganze Leben lang macht."
Starre Verhaltensregeln, die Max auf keinen Fall an seine Kinder weitergeben will:
"Ich meine, ich habe nicht mehr nur zu Juden Kontakt. Sondern in erster Linie habe ich mit Nichtjuden Kontakt. Und deshalb wäre es sinnlos, meinem Kind immer genau die gleiche Kultur vermitteln zu wollen und ihnen zu befehlen, dass sie das zu befolgen haben."
"Shadows", ein Kurzfilm über das Leben zweier Schüler aus Düsseldorf, deren Eltern bereits nach Deutschland eingewandert waren.
Was aber denken und fühlen all jene, die als Kinder oder Jugendliche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Deutschland eine neue Heimat suchten? Verstehen sie sich als Russen, Deutsche oder Juden?
Fragen, denen sich das biografisch angelegte Theaterstück mit dem programmatischen Titel "Ein anderes Leben" stellt. Im Mittelpunkt: drei junge Frauen. Sie kamen aus Estland und der Ukraine. Ganz alleine wie Erika Rubinstein, die unbedingt im Westen studieren wollte. Oder zusammen mit Mutter und Großmutter - wie Vera Gerol.
"Zur Auswahl standen Israel, Deutschland, Amerika und Australien. Und sie hat sich ganz aus materiellen Gründen für meine Zukunft entschieden. In Israel damals sollten alle 15 und 16-Jährigen die Armee leisten. Auch die Mädchen. Weil ich habe mehrmals gefragt, warum wir nicht nach Israel ausgewandert sind. Und das kam als ein Argument."
Als Darstellerinnen ihres Lebens lassen die drei Frauen dann auf der Bühne ihr Erinnerungen an die "alten Heimat" Revue passieren. Zentral auch hier: ihr Jüdisch-Sein.
"Die Fragen nach meiner eigenen Identität hatte ich immer gehabt, auch von klein an, aber sehr stark: Was ich bin? Was ist dieser Sinn des Lebens?"
"Die anderen haben mir zu verstehen gegeben, dass ich anders bin. In dem sie schon mal gesagt hätten, 'dreckige Juden' oder so. Die anderen haben mir gesagt, du bist keine Russin, du bist nicht eine von uns. So dachte ich: okay, dann bin ich was Besonderes, was Bessere, habe ich mir gleich gesagt. Ja, das ist die Schlussfolgerung, die ich gezogen habe."
"Ich bin mit 13 ausgewandert. Die Nichtjuden sagten: Juden raus. Und die Juden sagten: Gott sei dank, wir können raus!"
"Weil, nur Juden hatten die Möglichkeit auszuwandern. Für Juden war es erlaubt, schon in den 70ern auszuwandern."
Was auffällt: Alle drei Frauen erinnern sich ohne Verbitterung. Auch an ihre Ankunft im Auffanglager und später an die Wohnheime.
"Die ersten Wochen in Deutschland, das war genial, das war spannend, das war wie im Märchen."
In ihren jüdischen Gemeinden fanden sie Halt und Unterstützung. Erika Rubinstein boten sie Lebenshilfe im Alltag. Sie leitet heute ein Dolmetscher-Büro und arbeitet für das Filmfestival "Jüdische Welt". Die beiden anderen Frauen fanden dort Partner für ihre Suche nach einer neuen jüdischen Identität. Anna Vilents (sie studierte Kunst) und die Betriebswirtin Valeria Gerol widmen sich seit 2007 dem Studium der Kabbala.
Seitdem Valeria Gerol schwanger ist, setzt sie sich auch mit ihren jüdischen Wertvorstellungen erneut auseinander.
"Diese Weltgeschichte, das ist das, worüber ich mir Gedanken mache, wie mein Kind in dieser Welt zurechtkommt. Was ich ihm geben kann, was ich schon an Erfahrungen habe. Ob es diese Erfahrung überhaupt braucht? Ich möchte ihm eine globale Sichtweise geben. Und Judentum alleine gibt diese Sichtweise nicht. Das heißt, das ist nur ein Teil von dem, was ich ihm geben möchte."