Künstlerische Bilanz des Wandels

Von Jochen Stöckmann · 17.09.2009
Der Fall der Mauer vor nun bald 20 Jahren hat die Stadt Berlin tiefgreifend verändert. In der Ausstellung "Berlin 89/09" zeigen nun Künstler, wie sie den Veränderungsprozess beobachtet und in künstlerische Entwürfe umgesetzt haben.
Vor nachtblauem Himmel dreht sich der neonleuchtende Mercedesstern auf Berlins Europa-Center, dazu ist "Wind of Change" zu hören, dieser sanft säuselnde Anpfiff der "Scorpions" für ein Wechselspiel in Politik, Kultur und überhaupt. Dann gleitet die Kamera am Hochhaus herab, zoomt schließlich auf eine Gruppe von Indios, die sich ihr Geld als Straßenmusikanten erbetteln - indem sie den Rocksong auf Panflöten nachspielen. Mit seiner Video-Installation demonstriert Wolfgang Tillmans, der Fotograf, wie auf fast unmerkliche Art visuelle Eindrücke und akustische Berieselung Stadträume und damit auch Alltagserfahrungen prägen können.

Großformatfotos von Doug Hall dagegen, der Anfang der Neunziger Innenräume einstiger DDR-Regierungsgebäude dokumentierte, künden sehr direkt von Großmannssucht, was die Dimensionen der Versammlungssäle und Konferenzzimmer angeht, und von kleinbürgerlichem, um nicht zu sagen: spießigem Geschmack, was Mobiliar und Design betrifft.

Karsten Konrad schließlich widmet sich Außenansichten, platziert Modelle des sogenannten "Ahornblatt" und vom DDR-Außenministerium auf dem Boden der Berlinischen Galerie. Tatsächlich sind beide Gebäude längst abgerissen, der Künstler beschwört mit retrospektiven Architekturfantasien so etwas wie Phantombilder. Dieser Erinnerungsschmerz spielte für West-Künstler wie Norbert Kottmann damals keine Rolle:

Norbert Kottmann: "Ich habe in Düsseldorf gewohnt - und Düsseldorf war eine in sich fertige Stadt, zugebaute Stadt. Und wenn man dann nach Berlin fuhr als Künstler, war immer - gerade in der Wendezeit 1989 diese leerstehenden Fabrikhallen, diese Brachflächen - die Möglichkeit, dort sich auszubreiten, gigantisch."

Diese Räume galt es zu besetzen, zumindest ideell: Den Tatlinturm aus sowjetischer Revolutionszeit wollte Kottmann auf dem Potsdamer Platz sehen, die legendäre Blockhütte des amerikanischen Reformphilosophen Thoreau schlug Tobias Hauser für den Leipziger Platz vor. Was sich dort tatsächlich tat, hat Arwed Messmer mit Fotografien festgehalten, in denen Abriss und Aufbau untrennbar ineinander verschmelzen - als Folge extremer Langzeitbelichtung. Kurator Heinz Stahlhut:

"Das ist auch ein Gewinn dieser Ausstellung, dass man sich bewusst wird, dass Künstler nicht einfach nur die historischen Verhältnisse abschildern, sondern dass sie mit der Wahl des Mediums allein schon bereits darüber reflektieren, inwieweit das Medium ein Bild formt, das in diesem Werk vermittelt wird."

Auffällig ist die Vielzahl der Installationen: Barhocker aus der Lido-Bar am Kurfürstendamm vor einem abstrakten Gemälde oder die Kombination eines Resopaltresens mit Überwachungskameras aus DDR-Zeiten, die 2002 als "Automatenbar" in Berlin-Mitte von sich reden machte:

Heinz Stahlhut: "Die Barstühle von John Armleder bieten sich natürlich an, weil sie eine der wenigen Arbeiten sind, die sich mit den Veränderungen in Westberlin beschäftigen, an dem ja der Mauerfall auch nicht spurlos vorbeigegangen ist. Und die Automaten-Bar von Fred Rubin, damit klingt an, dass Künstler Bars einrichten, dass sie Clubs eröffnen."

So kann künstlerische Spurensuche zu durchaus lukrativen Geschäftsmodellen führen. Auch das gehört zur jüngsten Geschichte Berlins - und hat Bernd Trasberger zu einem giftgrünem Menetekel veranlasst. "Gentrify" steht in Neonschrift an der Wand, auf einem Verkehrsschild, das einen Umweg empfiehlt: Siedelt erst einmal Kultur in alten Häusern, ist der kommerzielle Profit durch Erhöhung der Mieten sicher.

Aber das sind Schlagworte, plakative Parolen. Und deshalb lässt Bettina Sefkow die Sektkorken auch nicht in elitären Szenetreffs knallen, sondern in der Menge vorm Brandenburger Tor. Ihre Fotografien der Hinterlassenschaften solcher Volks- und Nationalfeste zeigen fein ziselierte Drahtverschlüsse, ganz individuell geformte "Ornamente aus der Masse".

Und auch Raffael Rheinsberg zeigt mit seiner Installation "Brigade", einer Kolonne durch langen Gebrauch zu DDR-Zeiten fast schon charakteristisch abgenutzter Schneeschieber, was Spurensuche sein könnte: ein mikroskopischer Blick auf belanglose, erst durch künstlerischen Zugriff zum Sprechen gebrachte Details. Eben das, was Kurator Guido Fassbender mit dieser Ausstellung auch im Sinn hatte:

"Dass viele Arbeiten einer Geschichtsschreibung - vermittelt auch durch die Medien - konkret widersprechen und auch auf einen Mangel hinweisen oder man ein Bild der Bevölkerung eher trifft als das, was sich offiziell zeigt - und wie vielleicht Berlin sich auch gerne darstellen will."

Service:
Die Ausstellung "Berlin 89/09 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie" ist vom 18.9.2009 bis 31.1.2010 in der Berlinischen Galerie zu sehen.