Eine Ausstellung mit Werken von Christiane Löhr im Haus am Waldsee in Berlin findet voraussichtlich im Juni statt. Der dazugehörige Katalog ist bereits jetzt beim Verlag Hatje Cantz erschienen.
Die Architektur der Disteln und Kletten
05:24 Minuten
Die Künstlerin Christiane Löhr hat ein Auge für das, was wir häufig übersehen: Disteln, Fruchtkelche, Samenstände, Kletten. Aus ihnen formt sie kleine Skulpturen. Sie ist dabei mehr Mathematikerin als Naturfreundin.
Ein Raum voller Disteln, Samen und Kletten, die aber nicht schnöde auf dem Boden liegen, sondern zu klar definierten Gebilden geformt sind. Einige erinnern an Kuppeln, andere an Kelche und manche an einen Teppich. Das Atelier der Künstlerin Christiane Löhr wirkt wie ein Naturparadies mitten im Großstadtdschungel. Doch ihre Arbeiten folgen streng geometrischen Formen, sind alles andere als naturverliebte Zufallsprodukte.
"Das sind Arbeiten, die aus wenigen Pflanzenstengeln bestehen. Es sind sehr oft Gräser. Wenn ich arbeite, dann stecke ich sie oft auf Knete, schiebe sie hin und her, teste aus. Sehr oft geht es auch um diese Dehnung, um den Bogen, um eine Spannung. Also die Spannung, die tatsächlich eine Kuppel in der Architektur hat."
Alles hat eine Ordnung, ihre Werke folgen mehr den Regeln der Mathematik als denen der Poesie. Christiane Löhr ist Bildhauerin, sieht sich in der Linie der Land- und Minimal Art verpflichtet, verortet sich bei Künstlern wie Donald Judd und Tony Cragg.
Vom Pferd auf die Klette gekommen
Ihre Liebe zu den natürlichen Materialien war ein Prozess. Schon als Kind hat sie ihre Umgebung genau beobachtet, Steine umgedreht, Ameisen bewundert. Durch Zufall gewinnt sie als 18-Jährige bei einer Tombola ein Pferd. Die Stute ist trächtig. Christiane Löhr wird das Fohlen 24 Jahre behalten und durch das Tier noch mehr im Grünen sein.
"Ich musste bei meinem Pferd halt ständig die Kletten aus der Mähne bürsten. Irgendwann, während meines Kunststudiums, hatte ich dieses Material in der Hand, und der Impuls kam halt einfach, damit was zu probieren. Die Klette hat ja diese Eigenschaft, dass sie sich zusammenballt – und deswegen konnte ich das Material nicht sammeln, mit ins Atelier nehmen, sondern diese Arbeiten sind wirklich vor Ort entstanden, also neben den Pflanzen. Wahrscheinlich noch mit meinem schlafenden Pferd daneben."
Die Arbeiten sind so zusagen in der Hand gewachsen. Eines der frühen Werke: ein Klettenteppich, der nun im Regal im Atelier über die Bretter hinausragt. Ein Klettenkelch von der Wand ist auf den Teppich gefallen, mit ihm zu einem neuen Kunstwerk verschmolzen. Kleine, äußerst fragile Arrangements, viele unter Glaskästen, die sie vor einer falschen Handbewegung schützen. Draußen wollen sich diese Kleinstteile der Natur verflüchtigen, hier drinnen werden sie eingehaust.
Werke aus flüchtigen Kleinstteilen der Natur
Vielleicht kommt sie deshalb gerade jetzt so gut an, in einer Zeit, die zwangsweise leiser geworden ist. In einer Zeit in der der grelle Kunstmarkt zum Stillstand gekommen ist. Eine Kunst, die Christiane Löhr selbst riskant nennt, die aber dennoch wie gemacht scheint, uns gegen die Härten des Lebens zu schützen. Die Pflanzen, Blüten und Samen sammelt sie, wo immer sie ist.
"Meine Augen kleben tatsächlich immer am Boden. Sogar wenn ich Auto fahre, muss ich automatisch immer am Randstreifen gucken, was da wächst. Es ist wirklich so etwas in mir, wo ich manchmal denke, dass das noch von den Jägern und Sammlern in mir geblieben ist. Ich entdecke die Sachen überall, tatsächlich auch in Städten, in großen Metropolen oder vielleicht im Central Park in New York."
Wo Natur und Architektur sich berühren
Christiane Löhr streift nicht stundenlang durch den Wald, sondern es sind vor allem die Gebiete außerhalb der intakten Natur, also an der Peripherie, wo sich Natur und Architektur reiben, die es ihr angetan haben.
"Das sind die ganz seltsamen Orte, wo ich sehr, sehr viel finde. Ja, das sind oft so stachelige, also etwas spröde Dinge, auch oft Pflanzen, die gewisse Tricks haben, um zu überleben. Oft sind das wirklich diese Wegpflanzen."
Ihre Arbeiten werden gerne in Schubladen gepackt, romantisch verklärt und in die Gattung "Arte Povera" gesteckt: Kunst, die auch mit Mitteln, Materialen auskommt, die einfach sind. Aber Christiane Löhr ist ein eigenes Universum. Sie ist eine Raumdeuterin, eine Bildhauerin, die kleine, präzise Werke schafft.
Der Blick auf kleine Universen
Wer sie genau sehen will, muss auch schon mal in die Knie gehen. Besonders in Japan, dem Land der Bonsais und klaren Formensprache, finden viele Zugang zu ihrer Kunst.
"Die Geduld, mit der Kleinheit umzugehen, ist bei den Japanern einfach da. Ich habe sehr oft beobachtet, wie die Menschen durch meine Ausstellungen gehen. Sie schauen geduldig. Sie knien sich hin, gucken minutenlang, rufen dann ihre Freunde, reden drüber. Also eine ganz andere Herangehensweise, als wir halt haben."
In Deutschland hingegen lautet die erste Frage häufig: Wie lange halten denn die Pusteblumengebilde, die Klettengefäße und Pflanzenkuppeln?
"Und ich sag halt immer: 100 Jahre auf jeden Fall."