Künstlerfahrt

Glücklich im Staub hockende Maler

Von Eva Hepper · 29.04.2014
Drei Künstler reisen vor 100 Jahren nach Tunis: Paul Klee und seine Malerfreunde August Macke und Louis Moilliet halten ihre Eindrücke in Aquarellen, Skizzen, Tagebuchnotizen und Fotografien fest.
Scharf ist sie nicht, doch als Zeugnis hat die kleine Fotografie unschätzbaren Wert. Sie zeigt zwei im Staub hockende Männer, Paul Klee und August Macke mit ihren Malutensilien. Fotografiert wurde die Szene von Louis Moilliet, dem dritten Mitglied dieser Künstlergemeinschaft, die im April 1914 zu einer Studienreise nach Tunis aufgebrochen war.
Knapp zwei Wochen später befanden sich die drei Maler wieder auf der Heimreise. Im Gepäck hatten sie über 100 Aquarelle und Zeichnungen sowie die Gewissheit einer besonderen künstlerischen Erfahrung. Klee notierte in sein Tagebuch: "Die Farbe hat mich ... Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler."
Vor allem solche Aussagen und die Rezeption der in Afrika entstandenen Werke verliehen der Tunisreise den Nimbus eines kunsthistorischen Schlüsselereignisses. 2014 jährt es sich zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass wartet das Berner Zentrum Paul Klee mit einer Ausstellung und einem fulminanten Begleitband auf. Dieser versammelt sämtliche Tuniser Aquarelle und Zeichnungen Klees, Mackes und Moilliets, ihre Postkarten und Tagebucheinträge, dazu Mackes Fotoalbum sowie Texte zum aktuellen Forschungsstand.
Der Orient ist auch in Südeuropa
Warum eigentlich Tunis, wie das gesamte Land damals genannt wurde? Ernst-Gerhard Güse geht in seinem einführenden Text der Orientfaszination der Europäer nach. Seit der Übersetzung der Geschichtensammlung "Tausendundeine Nacht" (1704-1717), dem Ägyptenfeldzug Napoleons (1798/99) und zeitgleich zur kolonialen Machtpolitik setzten sich Schriftsteller und Künstler mit dem sagenhaften Morgenland auseinander, das nach damaligem Verständnis durchaus auch im Süden Europas lag. So standen die Tunisreisenden von 1914 in der Tradition von Ingres, Delacroix, Fromentin und anderen.
Im Mittelpunkt der Publikation stehen die Werke Paul Klees und August Mackes. Über viele Seiten hinweg lässt sich verfolgen, wie Klee den Bildraum zunehmend als abstraktes Flächenmuster komponiert und Macke die Farbe zu Licht verwandelt. Dass beide Maler in Tunis einen wahren Schaffensrausch erleben, zeigt sich hier eindrücklich. Lediglich Moilliet, der die Reise nicht das erste Mal macht, hält sich zurück. Doch auch von ihm werden wichtige Werke aus verschiedenen Perioden gezeigt und kommentiert.
Mit Humor verreisen
Wunderbar ist die Lektüre der Tagebücher Klees. Weil der Künstler sie im Nachhinein überarbeitete, sind sie zwar nicht das "Journal intime", für das man sie lange Zeit hielt. Doch bilden sie immer noch die wichtigste Quelle, um Reisestationen und -erfahrungen nachzuvollziehen. Mit umwerfendem Humor vermitteln sie ein lebendiges, bisweilen burleskes Bild der Reise und setzen so einen Kontrapunkt zu ihrer kunsthistorischen Erforschung.
Mackes Album mit 40 Fotografien beschließt dieses schöne Buch. Von der bevorstehenden Zeitenwende ahnten die glücklich im Staub hockenden Künstler nichts. Kein halbes Jahr später fiel Macke im Ersten Weltkrieg. Klee und Moilliet hingegen schöpften noch jahrelang aus den Erfahrungen der Tunisreise.

Paul Klee Zentrum Bern (Hg.): "Die Tunisreise 1914"
Paul Klee, August Macke, Louis Moilliet
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2014
336 Seiten, 29,80 Euro