Künstler und Alchemist

Von Oliver Seppelfricke |
Unter den deutschen Gegenwartskünstlern zählt Sigmar Polke zu den höchstdotierten derzeit: Seine Werke erzielen Preise von einigen Millionen Euro. Das Kunsthaus Zürich präsentiert nun unter dem Titel "Werke und Tage" jüngere Arbeiten Polkes, in denen er sich mit Alchemie und Abstraktion auseinandersetzt.
Da waren sie also alle gekommen. Die vielen Journalisten aus den vielen Ländern, um seine neuen Bilder zu sehen. Und: um mit ihm zu sprechen. Doch Sigmar Polke gab, wie fast immer, kein einziges Interview. Kein Wunder. Kann er sich doch vor Interviewanfragen nicht mehr retten, seit er - zusammen mit Kollege Gerhard Richter - der höchstplatzierte deutsche Gegenwartskünstler ist im weltweiten Kunstmarkt.

Polkes Werke erzielen Preise von bis zu mehreren Millonen Euro. Polkes Werke sind hip. Zum einen, weil der Künstler seit nunmehr 30 Jahren eine gleichbleibend hohe Qualität schafft. Zum anderen, weil er ein Thema gefunden hat, das ein großes Thema unserer Mediengesellschaft ist: die Ersetzung von "wirklichen" Realitäten durch die "Realitäten" der Medien. Polke hat dies sehr früh schon erkannt. Bice Curiger, die Kuratorin der Schau im Züricher Kunsthaus:

"Ganz früh, gleichzeitig mit der amerikanischen Pop-Art, führt er den Rasterpunkt ein. Er macht damit klar, dass es ihm um die Konditionierung des modernen Menschen geht in der Wahrnehmung. Wie wir von diesen Massenmedien gedrillt werden, Sachen so zu sehen, wie wir sie sehen sollen. Das ist ein Leitmotiv in seiner Kunst.

Das Interessante aber ist, dass diese Rasterpunkte alle von Hand gemalt sind. Er führt damit eine Verlangsamung ein. Eine Verlangsamung beim Machen, die eine gewisse Sprengkraft hat in der Moderne, wo alles auf Beschleunigung aus ist. Und es ist auch eine Verlangsamung der Aufmerksamkeit beim Malen. Und es erfordert vielleicht auch diese Verlangsamung beim Hineinschauen."

Sigmar Polke kam 1941 in Schlesien zur Welt. Doch die Eltern emigrierten am Kriegsende nach Berlin, vor dem Mauerbau ging es nach Düsseldorf. 1961 kam Polke an die dortige Kunstakademie. Sein Vater war Schmied gewesen und Sigmar Polke lernte zunächst Glasmalerei. Einen Beruf zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Wissenschaft. Die speziellen Farben für die Glasmalerei musste Polke selbst anmischen. Aus Blei und giftigen, mittlerweile verbotenen Farben. Polke setzt sie in den Bildern der letzten Jahre wieder ein. Eine Rückkehr, die ihm den Ruf des "Alchemisten" einbrachte. Bice Kuriger, die Kuratorin der Schau:

"Einerseits ist es für ihn eine Möglichkeit, die Grenzen der Moderne aufzubrechen, in weitere Zeitdimensionen zurückzuverweisen, auf Naturgeschichte, auf Geistesgeschichte, Wissenschaftsgeschichte. Gleichzeitig ist es ein Trick, um seine Künstlerrolle anders zu definieren. Plötzlich wird er etwas zwischen Schöpfer und Medium. Er guckt mit uns in die Phänomene. Er lässt den Materialien ein Eigenleben. Die Moderne dagegen verwendet die Materialien funktionell. Er aber lässt das Wunder zu, er lässt ihnen ein Eigenleben zu, er lässt ihnen Dimensionen von Bedeutungen zu, die sich erst mit der Zeit erschließen."

Das Kunsthaus Zürich zeigt insgesamt 70 Werke, die Hälfte stammt aus den letzten fünf Jahren. Sie wurden eigens für diese Ausstellung geschaffen und sind nun zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Sie zeigen einen anderen Polke als den Rasterbild- und Schüttbildmaler. Es sind großformatige Bilder, bis zu 4 mal 6 Meter groß, in denen sich Polke mit großen Themen beschäftigt: der Himmel, die Kosmologie, Szenen aus der deutschen Geschichte wie Erster Weltkrieg und Wissenschaftsgeschichte, oder der menschliche Forschergeist, verkörpert zum Beispiel in Hermes Trismegistos, dem antiken Mystiker. Eine Schau zum Lernen und Staunen!

Bice Kuriger: "Hermes Trismegistos und überhaupt die Alchemie mit den ganz starken Motiven, die eben immer wieder vorkommen, das ist ihm schon wichtig. Aber wie so oft bei Polke sind diese Motive natürlich schillernd eingesetzt. In dem Moment, wo man wirklich beginnt, quasi literarisierend zu werden und eine Interpretation zu stark auf ein Motiv auszurichten, dann entfernt man sich wieder. Genauso wie diese Oberflächen, wenn man auf- und abgeht vor einem Bild, schillern. Manchmal kippt es in eine andere Farbe."

Eine Bildlegende bei Sigmar Polke kann lauten: "Bleimennige-Untermalung, Öl, violettes Pigment auf Leinwand". Oder: "Violettes Pigment, gehaucht, gepustet, gekämmt und poliert auf Kunststoffspiegel". Polke liebt das Spiel der Materialien, das Eigenleben der Materie. Oftmals setzt sich ein Maluntergrund durch die chemische Reaktion erst nach Jahren gegen die Deckfarbe durch und schafft so Effekte, wie sie Polke schon in früheren Jahren erschuf, als er das lichtempfindliche Sekret der Purpurschnecke auf Fotopapier tröpfelte.

Manchmal ist Polke auch einfach nur lustig: So wenn er verschiedene Stoffbahnen auf eine Leinwand spannt, "wandverkleidung.com" heißt das ganze. Man sieht: Ein Künstler, dessen Ideen unerschöpflich ist und dessen Wert am Kunstmarkt nur zu steigen scheint. Anzeichen dafür: Es gibt kaum Verkäufer von Polke-Bildern!

"Die Auktionen, das ist natürlich eine faszinierende Tatsache. Dass eigentlich sehr wenige Werke in Auktionen erscheinen, heißt, dass die Leute, die einen Polke besitzen, auch für sehr viel Geld den noch nicht loswerden wollen. Das zeigt eigentlich nur, dass man denkt, dass das Potential noch nicht ausgeschöpft ist."

Service:

Die Ausstellung "Werke und Tage" mit Arbeiten von Sigmar Polke ist vom 8. April bis 19. Juni 2005 im Kunsthaus Zürich zu sehen.