Künstler-Reisen

"Sie suchten nach Inspirationen"

In der Sonderausstellung "Nach Ägypten! Die Reisen von Max Slevogt und Paul Klee" werden im Albertinum in Dresden rund 140 Reisebilder der Maler Slevogt (1868-1932, orange Ausstellung) und Klee (1879-1940, graue Ausstellung) ausgestellt.
In der Sonderausstellung "Nach Ägypten! Die Reisen von Max Slevogt und Paul Klee" werden im Albertinum in Dresden rund 140 Reisebilder der Maler Slevogt und Klee ausgestellt. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Heike Biedermann im Gespräch mit Dieter Kassel |
Gleich zwei Ausstellungen beschäftigen sich zurzeit mit den Nordafrika-Reisen deutscher und auch anderer Künstler. Heike Biedermann, Kunsthistorikerin und Kuratorin, erklärt das Interesse von Künstlern wie Paul Klee und Max Slevogt.
Dieter Kassel: Im Jahr 1914 reiste Paul Klee zusammen mit anderen Malern nach Tunesien und im gleichen Jahr unternahm Max Slevogt eine Reise nach Ägypten. Dorthin nun wiederum fuhr dann Klee ungefähr 15 Jahre später auch. Gleich zwei Ausstellungen beschäftigen sich zurzeit im deutschen Sprachraum mit diesen Nordafrika-Reisen deutscher und auch anderer Künstler.
Die Tunis-Reise, die ist Thema einer Ausstellung in Bern, die schon eine Weile läuft, und die beiden Ägypten-Reisen von Slevogt und von Klee, die werden einander gegenübergestellt in einer Ausstellung in Dresden, die gerade eröffnet wird. Über künstlerisches Fernweh im Allgemeinen, aber natürlich auch über diese beiden Ägypten-Reisen im Besonderen wollen wir jetzt mit der Kunsthistorikerin Heike Biedermann reden. Sie ist auch Kuratorin der Dresdner Ausstellung. Einen schönen guten Tag, Frau Biedermann.
Heike Biedermann: Guten Tag.
Kassel: Es waren ja nicht nur die genannten Maler, die zu dieser Zeit, wenn wir mal bei der Zeit um 1914 ungefähr bleiben, große Reisen gemacht haben. Es war auch nicht immer nur Nordafrika. Pechstein und Nolde bereisten die Südsee. Was bewog eigentlich deutsche Künstler gerade damals dazu, die Ferne zu suchen?
Biedermann: Schon im 19. Jahrhundert reisten zahlreiche Künstler in den Orient, angeregt durch den Ägypten-Feldzug Napoleons. Anfang des Jahrhunderts entwickelte sich ein Orient-Fach und es wurden ethnografische und topografische Lebensformen dargestellt. Man interessierte sich für das Fremde, wo man das Unverfälschte und Ursprüngliche vermutete und suchte, und stellte es in farbenreichen Bildern dar.
In dieser Zeit gab es auch viele Ausgrabungen. 1912 wurde von Ludwig Borchardt die legendäre Büste der Nofretete in Amarna gefunden bei den dortigen Ausgrabungen, und diese Grabungen steigerten sich bis 1922, als das Grab des Pharaos Tut Anch Amun gefunden wurde. In diesem Kontext entwickelte sich auch eine verstärkte Hinwendung der Künstler zum Orient und speziell auch zu Ägypten, auf Ägypten.
Anders aber natürlich als im 19. Jahrhundert näherten sich die Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts Nordafrika. Ihnen ging es nicht mehr um die Darstellung von Lebensformen unter ethnologischen Gesichtspunkten, denn in großen Teilen hatte das ja auch schon die Fotografie übernommen, sondern sie suchten nach Inspirationen, wirklich nach neuen Lebensformen und nach Anregungen. Die europäische Zivilisation setzte ihnen ja enge Grenzen und man assoziierte natürlich auch mit den südlichen Gefilden etwa das nackt sein und das frei sein. Entsprechend reisten ja auch Künstler wie Emil Nolde in die Südsee oder noch früher natürlich die legendäre Reise von Paul Gauguin nach Tahiti.
Vorahnung des Ersten Weltkriegs?
Kassel: Wenn Sie gerade von den Beschränkungen gesprochen haben, die den Künstlern zum Teil zumindest in ihren eigenen Augen auferlegt wurden, wenn wir gerade ans Jahr 1914 denken, die Tunis-Reise von unter anderem Klee und fast gleichzeitig die Slevogt-Reise nach Ägypten, da denkt man natürlich heute, 100 Jahre nach dessen Ausbruch, auch an diese Vorahnung des Ersten Weltkriegs. Hatte das irgendwas damit zu tun? Waren diese Künstler vielleicht auch ihrer europäischen Heimat ein bisschen überdrüssig?
Biedermann: Kann man so, runtergebrochen auf die Biografien, vielleicht nicht sagen. Ganz eingebunden in ihr Schaffen suchten sie eigentlich neue Anregungen aus der Konsequenz ihres bildnerischen Schaffens heraus. Klee reiste mit Macke und Moilliet nach Tunis und näherte sich dort der Farbe beziehungsweise baute die Auseinandersetzung mit Farbkompositionen aus. Das hatte er übrigens vorher schon entwickelt und nahm diese Anregungen mit nachhause. Das ist auch typisch für seine Arbeitsweise, dass er das dann im Atelier weiter vorantrieb.
Bei Max Slevogt ist es dann auch eher zufällig, dass er 1914 nach Ägypten reiste. Die Fahrt war länger vorbereitet schon mit Freunden. Er ist nicht so ein reiselustiger Künstler gewesen wie Paul Klee und es bedurfte vielleicht auch einiger Überredungen und umfangreicher Vorbereitungen, dass er dann wirklich aufbrach nach Ägypten. Und dass es dann tatsächlich Ägypten wurde, ist vielleicht auch eher ein Zufall, denn seine Begeisterung galt eigentlich ganz allgemein dem Orient und dem Exotischen.
Es hätte auch – ich zitiere Emil Waldmann, einen zeithistorischen Kunsthistoriker – Mexiko oder Indien sein können. Hauptsächlich wichtig war südlich, heiße Gefilde, farbige Menschen, und das war wohl das wichtigste. Slevogt reizte das südliche Licht.
"Ein gewisses Gefühl der Sicherheit"
Kassel: Das bringt mich zu einer Frage, die weniger was mit den künstlerischen Einflüssen zu tun hat, sondern mit dem, was sowohl Slevogt als auch Klee dann bei ihren Ägypten-Reisen erlebt haben. Es liegen ungefähr 15 Jahre zwischen diesen Reisen. Klee war 1928/29 in Ägypten und in der Zeit ist ja viel passiert: nicht nur der Krieg, sondern das Ägypten, das Slevogt sah, war noch ein britisches Gebiet, ein Protektorat.
Biedermann: Britisches Protektorat.
Kassel: Das hatte sich ja geändert, bis Klee kam. Haben sich eigentlich die beiden oder einer von ihnen für die politischen Bedingungen, für die Bedingungen, die vor Ort wirklich aktuell herrschten, nicht für diese große Vergangenheit, wirklich interessiert?
Biedermann: Sie mussten halt zu Recht kommen. Ich glaube, interessiert haben sie sich nicht. Die Gegebenheiten wurden entsprechend ausgelegt. Für Slevogt war das eigentlich recht komfortabel. Er schätzte eigentlich auch die britische Polizei, die auf den Basaren für Ordnung sorgten, und er fokussierte sie unter ihrem farblichen Erscheinungsbild.
Er beschreibt zum Beispiel einen Gang über den Basar, prachtvolle Farben, das Gewimmel der Menschen und dazu die Uniformen der britischen Patrouillen. Das gab ihm vielleicht auch so ein gewisses Gefühl der Sicherheit, unter diesen Bedingungen zu reisen. Es war auch so, dass er ohne Schwierigkeiten unterstützt wurde von einheimischen Helfern, die gechartert wurden, um praktisch diese Mal-Expedition, diese Mal-Kampagne überhaupt durchführbar zu machen, später dann auch in der Wüste. Das musste ja auch organisiert sein.
Kassel: Wie war es mit Klee, der ja selber, anders als Slevogt, auf der Reise, soweit ich das verstanden habe, keine Kunstwerke geschaffen hat, sondern erst nach seiner Rückkehr? Hat sich Klee ein bisschen auch mit dem tatsächlichen zeitgenössischen Ägypten beschäftigt?
"Dieser ganze schreckliche Schweinestall"
Biedermann: Als Klee in Kairo ankam, war er zunächst auch enttäuscht. Er sah natürlich in der Gegenwart die Armut und den Schmutz und das Chaos. Das hat Slevogt übrigens auch gesehen. Er schreibt am Ende der Reise: "Dieser ganze schreckliche Schweinestall." So zitiert er das.
Und Klee war ja insbesondere interessiert am Altertum, und mit diesem Gedanken kommt er auch nach Ägypten und lässt sich dann doch zunächst gefangen nehmen von Licht und Luft, ähnlich wie Slevogt auch, und von dem Nil. Er entwickelt eine ganz intensive Bildsprache, aber er arbeitet dann nicht vor Ort, sondern er verarbeitet das Gesehene dann zuhause im Atelier. Das heißt also nicht, dass er vielleicht gar nichts gemacht hätte. Wir haben Zeichnungen, die vom Format her und vom Motivischen darauf hindeuten, dass er sie vor Ort geschaffen hat. Aber es ist nur eine kleine Gruppe.
Kassel: Wir reden heute hier im Deutschlandradio Kultur mit Heike Biedermann, Kunsthistorikerin und Kuratorin einer großen Ausstellung. "Nach Ägypten" heißt sie und sie stellt die beiden Ägypten-Reisen von Max Slevogt und Paul Klee einander gegenüber.
Lassen Sie uns, Frau Biedermann, doch versuchen, Bilder im Kopf entstehen zu lassen, denn ich stelle mir das, was Sie da machen in Dresden – nun wird es später auch noch in Düsseldorf zu sehen sein –, gar nicht so einfach vor, denn es ist ja schon klar geworden, die Reiserouten waren ähnlich, aber ansonsten sind diese beiden Männer ja sehr verschieden, haben völlig verschieden gearbeitet und völlig unterschiedliche Kunst gemacht. Wie stellen Sie das in der Ausstellung gegenüber?
Biedermann: Wir zeigen ihre Bilder nicht unmittelbar nebeneinander, aber sie können sich begegnen durch Blickachsen. Da haben wir großen Wert drauf gelegt, dass man gemeinsam die Bilder sehen kann. Man kommt beispielsweise in die Ausstellung und schaut auf ein Gemälde, "Kamel in rhythmischer Baumlandschaft" von Paul Klee von 1920, und sieht in dieser Blickachse auf Max Slevogts Bild "Sandsturm in der libyschen Wüste", wo auch zwei Kamele in verschränkter Ansicht zu sehen sind.
Beiden Künstlern haben wir unterschiedliche Randfarben zugeordnet: Klee ein kühles Blau-Grau und Slevogt einen warmen Orange-Ton, die sehr schön zusammen klingen und die Ausstellung nicht nur gliedern, sondern auch in einem entsprechenden warmen Licht im Kontrast zu kühleren Farben darstellen.
"Inspiriert von den Dingen, von Luft, Licht"
Kassel: Kann man vielleicht als kleines Fazit jetzt sagen, dass bei beiden oder vielleicht bei einem der beiden wirklich die Kunst, die sie nach ihrer jeweiligen Ägypten-Reise gemacht haben, ganz anders wäre, wenn es diese Reisen nicht gegeben hätte, oder geht Ihnen das zu weit?
Biedermann: Das kann man für Slevogt nicht sagen. Slevogt hat einfach folgerichtig vor Ort gemalt. Er war Impressionist, wendet seine bildnerischen Mittel an, ist inspiriert von den Dingen, von Luft, Licht und so weiter vor Ort, und als er nachhause kommt, arbeitet er genauso weiter.
Bei Paul Klee ist es dann doch so, dass es einschneidender war für sein Spätwerk. Das wirkt lebenslang nach. 1937 entwickelte er noch mal seinen markanten Spätstil, ausgehend von einer intensiven Beschäftigung mit Hieroglyphen, die sogenannten Balkenbilder.
Kassel: Heike Biedermann über die Reisen von Max Slevogt und Paul Klee nach Ägypten, die einander gegenübergestellt werden in der Ausstellung "Nach Ägypten". Die ist zu sehen in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die ist konkret im Albertinum zu sehen, und zwar dort bis zum 3. August, und danach zieht sie dann weiter nach Düsseldorf.
Die andere Ausstellung, die wir erwähnt haben, die ist in Bern noch bis zum 22. Juli zu sehen, diese Ausstellung zur Tunis-Reise von Klee und anderen Malern. Zu beiden Ausstellungen – das sei auch ausdrücklich noch empfohlen an dieser Stelle – gibt es auch wunderbare Kataloge. Frau Biedermann, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Biedermann: Vielen Dank auch meinerseits.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.