Kühl räsonnierend und impulsiv zugleich

Die Geschichte um die Hure, Soldatin und siebenmalige Ehefrau lässt die Epoche des 17. Jahrhunderts aufleben. In der mächtigen Bildsprache des Barock erzählt sie von Lust und Leid, vom Leben und Überleben im Dreißigjährigen Krieg.
"Da flogen die Schimpfworte hin und her, den Worten folgten die Nasenstüber und von den Knüffen kam es zum Raufen und Ringen, wobei mir mein Gegner mit der Hand in den Schlitz fuhr, um mich bei jenem Ding zu packen, das ich doch gar nicht besaß."

Sie ist wohl die erste Ich-Erzählerin der deutschen Literatur, die "Landstörzerin", sprich Landstreicherin Courage. Um in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht unter die Räder zu kommen, verkleidet sie sich als Mann, und wer ihren Stolz verletzt, den bekämpft sie mit allen Mitteln. Das kriegt zum ersten Mal der Kerl zu spüren, der versucht, hinter den Männerkleidern ihrem wahren Geschlecht auf die Spur zu kommen.

"Der hinterhältige Griff war zwar vergeblich, aber er ärgerte mich mehr, als wenn er nicht leer ausgegangen wäre, und desto zorniger, fast blindwütig wurde ich, nahm all meine Kraft und Wendigkeit zusammen und wehrte mich mit Kratzen, Beißen, Schlagen und Treten derart, dass ich meinen Feind zu Fall brachte und ihm das Gesicht so zurichtete, dass es einer Teufelsfratze eher als einem Menschenantlitz glich."

Schon als junges Mädchen wirft sie sich wie ein Soldat in wilde Gefechte. Auf ständiger Suche nach Beute schickt Grimmelshausen sie auf alle Schlachtfelder Europas, und wie es sich für die Heldin eines Schelmenromans gehört, zieht sie nicht nur verbal kräftig vom Leder.

"Mitten im Getümmel nahm ich einen gegnerischen Major direkt vor dessen Einheit … gefangen … Und als ihn einer von seinen Leuten heraushauen wollte und mir zu diesem Zweck eine Pistole auf den Kopf losfeuerte, dass mir Hut und Federn davonstoben, gab ich es diesem mit dem Säbel so zurück, dass er ohne Kopf noch ein paar Schritte neben mir ritt, was merkwürdig und abscheulich zugleich aussah."

An Mut und Draufgängertum nimmt sie es mit jedem Kerl auf, auch am heimischen Herd. Dort prügelt sie sich schon mal um die Oberherrschaft in der Ehe. Aber sie kennt noch ganz andere Waffen: Verführungskraft, Schmeichelei und Witz vor allem, lange bevor der zum Markenzeichen einer ganzen Epoche, der Aufklärung, wurde.

"'Liebster!', antwortete ich und gab ihm einen herzhaften Kuss … so wie ich weiß, dass die Frau nicht aus dem Haupt des Mannes, sondern aus seiner Seite genommen wurde, hoffe ich, dass auch mein Herzallerliebster die Herkunft im Auge behält und mich nicht, als wäre ich aus seiner Fußsohle genommen, für seinen Fußabtreter hält, sondern für seine Gemahlin."

Natürlich kann man einen solch furiosen Lebensbericht mit dem Repertoire der Darstellungskunst gewaltig ausstaffieren. Eine Orgel könnte eine Stimme sein, die alles in diesem Leben zum Theater macht: die Gräuel des Krieges, Tod und Teufel und dazwischen eine Frau, der übel mitgespielt wird.

Nichts davon unternimmt Barbara Nüsse. Ruhig und besonnen liest sie, mit einer Stimme, die rau ist und weich zugleich, und je länger man ihr zuhört, desto deutlicher wird: Erst der minimalistische Ton holt eine wüste, entlegene Szenerie in die Gegenwart, er macht aus einer farbigen Genrefigur einen Menschen von heute. Amoralisch, schamlos und vollkommen unsentimental, so steht die Courage vor uns.
"Es ging mit uns, wie wenn ein Taubenzüchter einen Tauber und eine Taube zusammensperrt, damit sie sich paaren, und die beiden sich anfangs lange abmühen, bis sie schließlich handelseinig werden."

Sie ist schon jenseits der 60 und kein bisschen müde, als Grimmelshausens Heldin ihre Lebensbeichte ablegt. Früher war sie mit Simplicius alias Simplicissimus liiert, bis der ihr mit einem derben Streich den Laufpass gab. Das hat sie nie vergessen. Noch weniger aber, dass er sie in seinem Buch vor aller Welt schlecht gemacht hat. Dafür revanchiert sie sich - mit ihrem Buch. Rache ist süß: Wann immer Grimmelshausen die Courage gegen den Titelhelden seines Vorgängerromans rhetorisch in den Ring steigen lässt, nimmt Nüsses Stimme lustvoll Fahrt auf.

"II, 13, 02,39 Ich sage das nicht, damit sich ein ehrbarer Christenmensch an mir ein Beispiel nehme ... sondern damit Simplicius, dem allein ich diese meine Lebensbeschreibung widme, erkenne, was für eine Dame er an mir geliebt und gehabt hat. Und hör nur weiter zu, Simplex! Dann wirst du erfahren, dass ich Dir den Streich, den du mir im Sauerbrunnen gespielt hast, nicht nur doppelt und dreifach, sondern so heimgezahlt habe, dass dir für ein Pfund, das du hergegeben hast, ein ganzer Zentner zurückerstattet wurde."

Kühl räsonnierend und impulsiv zugleich - dass eine Kunstfigur des Barock uns so lebensprall vor Augen stünde, hätte man nicht gedacht. Mit diesem Hörbuch ist sie – für immer jung – angekommen im Hier und Jetzt.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courage
Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser. Gelesen von Barbara Nüsse Eichborn, Frankfurt am Main 2010
4 CDs, 303 Minuten, 19,95 Euro