Kühl kalkulierte Romantik
Mit 70 Ölgemälden und über 100 Zeichnungen zeigt das Essener Folkwang-Museum eine der umfassendsten Ausstellungen zum Werk Caspar David Friedrichs (1774-1840). Dabei wird besonders auf Friedrichs Bilderfindung und Komposition hingewiesen. Der Titel "Die Erfindung der Romantik" macht dabei deutlich, dass Friedrichs Bilder hochartifizielle Produkte mit kalkulierter Wirkung sind.
Soviel Sehnsucht war lange nicht. Seufzer dringen von den Wänden, in allen Ecken wispert es - sind im Folkwang Museum doch Inkunabeln des kollektiven Bildergedächtnisses versammelt: der Wanderer, der beim Blick übers Nebelmeer schwer ins Grübeln kommt, oder die zwei Männer, die seit 1819 innig den Mond betrachten.
Schon am Eingang der Ausstellung hängen antithetisch zwei der berühmtesten Werke nebeneinander: das Segelschiff mit dem am Bug kauernden Pärchen, das die Silhouette einer fernen, idyllischen Stadt erblickt - daneben "Das Eismeer - gescheiterte Hoffnung": mit einem Schiff, das zwischen riesigen Schollen unterzugehen droht.
Düstere Ruinen und lichte Gebirgszüge, verschachtelte Kirchhöfe und weite Horizonte bilden einen einzigen Kosmos aus irdischer Pein und dem im Grunde religiösen Wunsch nach Erlösung. Das Verdienst der Ausstellungsmacher besteht zunächst einmal darin, diese Werke aus Hamburg, Berlin, Dresden, St. Petersburg und aus anderen Orten zusammengeführt zu haben:
"Das Schwierigste bei einer solchen Ausstellung ist immer der Beginn, dass Museen Leihgaben nur in Aussicht stellen, wenn auch bestimmte andere Häuser dazu bereit sind. Man muss also erst einmal einen Türöffner haben, einen Schlüssel - in diesem Fall war es glücklicherweise wieder einmal die gute Beziehung zur Eremitage. Nachdem uns von dort die 12 Bilder zugesagt waren, sind wir dann nach Dresden gegangen, wo das Museum umgebaut wird. Von dort bekamen wir sechs Werke, und dann ging es immer so weiter. Welche Bilder wir nicht bekommen haben: das 'Große Gehege', eines der späten Werke Friedrichs, und den 'Mönch am Meer' und die 'Abtei im Eichwald' aus Berlin. Die sind zurzeit noch in der Melancholie-Ausstellung zu sehen und wären ohnehin zu spät gekommen. Aber sie können auch nicht reisen."
So Initiator Hubertus Gaßner, vormals Direktor des Folkwang Museums, jetzt an der Spitze der Hamburger Kunsthalle, wo die opulente Schau ab Oktober zu sehen sein wird.
Auch der "Tetschener Altar" wurde zu dieser Bildermesse ausgeliehen - mit ihm sorgte Friedrich 1808 für Furore, weil er aufs Gebirge das Kreuz mit dem Heiland setzte und so Landschaftsmalerei und Andachtsbild miteinander verband.
Friedrichs Werke waren oft umstritten: er hatte sich gegen den Vorwurf zu wehren, ein schwer erträglicher Mystiker zu sein - und gegen das Publikumsverlangen nach Biedermeiersinn und profanem Realismus in der Malerei zu verteidigen. Auch unter Kitschverdacht standen seine stimmungsvollen Szenen, und nicht jeder mochte sich mit patriotischen Symbolen anfreunden. Sind es wirklich Bilder für unsere Zeit oder eher rückwärts gewandte Fluchträume für Zivilisationsgeschädigte?
"Gerade wenn man jetzt durch die Ausstellung geht, spürt man die Gegenwärtigkeit dieser Werke. Gestern sagte eine Museumsdirektorin, die zu Besuch war, man habe das Gefühl, durch die Ausstellung zu schweben. Ich glaube, das ist typisch für Caspar David Friedrich. Er spricht immer wieder ernste, melancholische Themen an, macht es aber in einer Weise, dass man auch darüber noch beglückt ist. Das ist sein künstlerisches Vermögen. Wir wollen ihn aber auch als den großen Bilderfinder zeigen, weil er genau wusste, wie er in seinen Bildern Gefühle erzeugen konnte, von denen wir denken, dass sie ganz unmittelbar auf uns fließen. Es sind aber hochartifizielle Produkte, und das macht den Künstler sehr modern."
Der Maler erscheint in Essen nicht als diffuser Schwärmer, sondern als Konstrukteur, der kühl kalkulieren musste, um den Sinn und die suggestive Wirkung seiner Gemälde herzustellen. So ist wohl auch der Titel "Die Erfindung der Romantik" zu verstehen.
Aus teils jahrealten Skizzenbüchern entnahm Friedrich brauchbare Motive und übertrug diese Versatzstücke - Felsbrocken, Bäume und altes Gemäuer - auf die Leinwand und montierte sie zu fiktiven Landschaften.
Heutige Betrachter, denen alles so selbstverständlich erscheint, muss man auf die Kühnheit der Kompositionen hinweisen - allein schon darauf, dass auf den Bildern kaum Handlung stattfindet, die Figuren in sich versunken sind; sie sinnieren und reflektieren angesichts der Naturspektakel und laden den Betrachter dazu ein, ihnen nachzueifern.
In einem Raum sind die wichtigsten Bilder mit den Rückenfiguren versammelt, neben dem "Wanderer über dem Nebelmeer" erscheint die "Frau am Fenster", ebenfalls dabei ist das späte allegorische Gemälde "Lebensstufen", in das sich Friedrich als alter Mann selbst mit einbrachte.
"Neu an Caspar David Friedrich ist zum Beispiel, dass wir in seine Bilder nur selten hineingehen können. Wenn er seine Rückenfiguren vor die Landschaft setzt, so stehen wir mit ihnen auch davor. Der 'Wanderer über dem Nebelmeer' schaut in ein unbegehbares Tal. Das Nachtbild mit dem Regenbogen zeigt einen Wanderer, der am Abgrund steht. Wir können uns nicht in diese Bilder hineinbegeben, sie vermitteln uns aber beim Sehen ein neues Erlebnis."
Er konzipierte die Bildfläche mit geometrischer Präzision, mit Lineal und Stift:
"Das Faszinierende an diesen Bildern ist, dass sie oft sehr karg gestaltet sind, mit nur wenigen Figuren und Einzelheiten wie z.B. einer Bergkuppe auskommen. Was er malt, ist immer sehr sparsam eingesetzt. Es ist aber so arrangiert, dass wir das Gefühl haben, dass hier im Zusammenspiel von atmosphärischer Empfindung einerseits und strenger Konstruktion andererseits eine Synthese erreicht wird, wie wir sie auch gern in unserem eigenen Leben haben wollen: dass wir etwas Ordnung in das Gefühlschaos bringen können."
Die Genauigkeit wird im Museum auf fast schon ironische Weise vorgeführt, durch die streng achsensymmetrische Platzierung von Motiven - ob es sich um ein Kruzifix handelt, um eine Eiche oder ein Schiff. "Caspar David besser verstehen", so könnte der Untertitel dieser Ausstellung lauten. Der Wunsch, die Anatomie der gezeichneten und gemalten Welten Friedrichs zu analysieren, wurde konsequent umgesetzt.
Der Besucher kann sich in der gar nicht so leicht zu überschauenden, vielschichtigen Ausstellung aber auch ganz einfach auf eine Begegnung mit einzelnen Inkunabeln freuen. Schließlich ist im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die Aura solcher Originalkunstwerke erheblich gewachsen, und eine derartige Dichte von Friedrichs raffiniert gebauten Kabinettstücken wird so schnell nicht wieder möglich sein.
Service:
Die Ausstellung "Caspar David Friedrich - Die Erfindung der Romantik" ist vom 5. Mai bis 20. August 2006 im Folkwang Museum Essen zu sehen. Im Anschluss wird sie vom 7. Oktober 2006 bis 28. Januar 2007 in der Hamburger Kunsthalle gezeigt.
Schon am Eingang der Ausstellung hängen antithetisch zwei der berühmtesten Werke nebeneinander: das Segelschiff mit dem am Bug kauernden Pärchen, das die Silhouette einer fernen, idyllischen Stadt erblickt - daneben "Das Eismeer - gescheiterte Hoffnung": mit einem Schiff, das zwischen riesigen Schollen unterzugehen droht.
Düstere Ruinen und lichte Gebirgszüge, verschachtelte Kirchhöfe und weite Horizonte bilden einen einzigen Kosmos aus irdischer Pein und dem im Grunde religiösen Wunsch nach Erlösung. Das Verdienst der Ausstellungsmacher besteht zunächst einmal darin, diese Werke aus Hamburg, Berlin, Dresden, St. Petersburg und aus anderen Orten zusammengeführt zu haben:
"Das Schwierigste bei einer solchen Ausstellung ist immer der Beginn, dass Museen Leihgaben nur in Aussicht stellen, wenn auch bestimmte andere Häuser dazu bereit sind. Man muss also erst einmal einen Türöffner haben, einen Schlüssel - in diesem Fall war es glücklicherweise wieder einmal die gute Beziehung zur Eremitage. Nachdem uns von dort die 12 Bilder zugesagt waren, sind wir dann nach Dresden gegangen, wo das Museum umgebaut wird. Von dort bekamen wir sechs Werke, und dann ging es immer so weiter. Welche Bilder wir nicht bekommen haben: das 'Große Gehege', eines der späten Werke Friedrichs, und den 'Mönch am Meer' und die 'Abtei im Eichwald' aus Berlin. Die sind zurzeit noch in der Melancholie-Ausstellung zu sehen und wären ohnehin zu spät gekommen. Aber sie können auch nicht reisen."
So Initiator Hubertus Gaßner, vormals Direktor des Folkwang Museums, jetzt an der Spitze der Hamburger Kunsthalle, wo die opulente Schau ab Oktober zu sehen sein wird.
Auch der "Tetschener Altar" wurde zu dieser Bildermesse ausgeliehen - mit ihm sorgte Friedrich 1808 für Furore, weil er aufs Gebirge das Kreuz mit dem Heiland setzte und so Landschaftsmalerei und Andachtsbild miteinander verband.
Friedrichs Werke waren oft umstritten: er hatte sich gegen den Vorwurf zu wehren, ein schwer erträglicher Mystiker zu sein - und gegen das Publikumsverlangen nach Biedermeiersinn und profanem Realismus in der Malerei zu verteidigen. Auch unter Kitschverdacht standen seine stimmungsvollen Szenen, und nicht jeder mochte sich mit patriotischen Symbolen anfreunden. Sind es wirklich Bilder für unsere Zeit oder eher rückwärts gewandte Fluchträume für Zivilisationsgeschädigte?
"Gerade wenn man jetzt durch die Ausstellung geht, spürt man die Gegenwärtigkeit dieser Werke. Gestern sagte eine Museumsdirektorin, die zu Besuch war, man habe das Gefühl, durch die Ausstellung zu schweben. Ich glaube, das ist typisch für Caspar David Friedrich. Er spricht immer wieder ernste, melancholische Themen an, macht es aber in einer Weise, dass man auch darüber noch beglückt ist. Das ist sein künstlerisches Vermögen. Wir wollen ihn aber auch als den großen Bilderfinder zeigen, weil er genau wusste, wie er in seinen Bildern Gefühle erzeugen konnte, von denen wir denken, dass sie ganz unmittelbar auf uns fließen. Es sind aber hochartifizielle Produkte, und das macht den Künstler sehr modern."
Der Maler erscheint in Essen nicht als diffuser Schwärmer, sondern als Konstrukteur, der kühl kalkulieren musste, um den Sinn und die suggestive Wirkung seiner Gemälde herzustellen. So ist wohl auch der Titel "Die Erfindung der Romantik" zu verstehen.
Aus teils jahrealten Skizzenbüchern entnahm Friedrich brauchbare Motive und übertrug diese Versatzstücke - Felsbrocken, Bäume und altes Gemäuer - auf die Leinwand und montierte sie zu fiktiven Landschaften.
Heutige Betrachter, denen alles so selbstverständlich erscheint, muss man auf die Kühnheit der Kompositionen hinweisen - allein schon darauf, dass auf den Bildern kaum Handlung stattfindet, die Figuren in sich versunken sind; sie sinnieren und reflektieren angesichts der Naturspektakel und laden den Betrachter dazu ein, ihnen nachzueifern.
In einem Raum sind die wichtigsten Bilder mit den Rückenfiguren versammelt, neben dem "Wanderer über dem Nebelmeer" erscheint die "Frau am Fenster", ebenfalls dabei ist das späte allegorische Gemälde "Lebensstufen", in das sich Friedrich als alter Mann selbst mit einbrachte.
"Neu an Caspar David Friedrich ist zum Beispiel, dass wir in seine Bilder nur selten hineingehen können. Wenn er seine Rückenfiguren vor die Landschaft setzt, so stehen wir mit ihnen auch davor. Der 'Wanderer über dem Nebelmeer' schaut in ein unbegehbares Tal. Das Nachtbild mit dem Regenbogen zeigt einen Wanderer, der am Abgrund steht. Wir können uns nicht in diese Bilder hineinbegeben, sie vermitteln uns aber beim Sehen ein neues Erlebnis."
Er konzipierte die Bildfläche mit geometrischer Präzision, mit Lineal und Stift:
"Das Faszinierende an diesen Bildern ist, dass sie oft sehr karg gestaltet sind, mit nur wenigen Figuren und Einzelheiten wie z.B. einer Bergkuppe auskommen. Was er malt, ist immer sehr sparsam eingesetzt. Es ist aber so arrangiert, dass wir das Gefühl haben, dass hier im Zusammenspiel von atmosphärischer Empfindung einerseits und strenger Konstruktion andererseits eine Synthese erreicht wird, wie wir sie auch gern in unserem eigenen Leben haben wollen: dass wir etwas Ordnung in das Gefühlschaos bringen können."
Die Genauigkeit wird im Museum auf fast schon ironische Weise vorgeführt, durch die streng achsensymmetrische Platzierung von Motiven - ob es sich um ein Kruzifix handelt, um eine Eiche oder ein Schiff. "Caspar David besser verstehen", so könnte der Untertitel dieser Ausstellung lauten. Der Wunsch, die Anatomie der gezeichneten und gemalten Welten Friedrichs zu analysieren, wurde konsequent umgesetzt.
Der Besucher kann sich in der gar nicht so leicht zu überschauenden, vielschichtigen Ausstellung aber auch ganz einfach auf eine Begegnung mit einzelnen Inkunabeln freuen. Schließlich ist im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die Aura solcher Originalkunstwerke erheblich gewachsen, und eine derartige Dichte von Friedrichs raffiniert gebauten Kabinettstücken wird so schnell nicht wieder möglich sein.
Service:
Die Ausstellung "Caspar David Friedrich - Die Erfindung der Romantik" ist vom 5. Mai bis 20. August 2006 im Folkwang Museum Essen zu sehen. Im Anschluss wird sie vom 7. Oktober 2006 bis 28. Januar 2007 in der Hamburger Kunsthalle gezeigt.