Kuckuckskind zwischen Buchdeckeln

Von Petra Marchewka |
Ob Finanzkrise oder Klimakatastrophe – die Situation des Planeten und seiner Bewohner bedrückt. Da stimmte es durchaus zuversichtlich, als ein paar junge Hamburger Künstler vor einem Jahr das „Hoffnung Magazin“ auf den Markt brachten. Es ist ein mit Nadel und Faden selbst gebundenes Heft, das die Unikate von Collagen, Zeichnungen und Drucke enthält.
Vorne, auf weißem Deckblatt, schwarz geschrieben: Hoffnung. Darunter, bunt, in ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungslettern: Weltschmerz.

Halbdurchsichtiges Pergament, von Hand geschnitten und an den Kanten etwas schief, dann, auf einem Stück Zeitung aus Polen, ganz winzige rote Buchstaben: ein kleines Gedicht.

„Das Gedicht lautet Weltschmerz. ‚Fachowe Meister’.....“ liest vor.

Jan Liedtke ist einer der beiden Macher des „Hoffnung Magazins“.

Jan Liedtke: „Es handelt sich um Germanismen in der polnischen Sprache, ich bin ursprünglich Pole, aber hier aufgewachsen, deswegen hat mich das so interessiert.“

Liedtke stammt aus einer polnischen Künstlerfamilie und studiert hier in Hamburg Kommunikationsdesign. Das künstlerische Abseits interessiert den 23-jährigen mit dem schmalen Gesicht und dem Drei-Tage-Bart besonders. So wie sein Gedicht „Weltschmerz“.

Jan Liedtke: „Das Lustige, oder Traurige, wie man will, ist: Unterm Strich hat sich herausgestellt, dass die meisten Wörter sich auf den Krieg beziehen, also sich während des Ersten oder Zweiten Weltkriegs entwickelt haben oder dort in Polen bekannt wurden und sich dort auch etabliert haben, und die zweite Sparte ist vom Bau, also Wörter wie ‚Meister’ oder ‚Fachowe’ oder Ähnliches. Krieg und Arbeit, Baustelle, Meister.....“

Wieder ein Pergament, dann, blau auf einem vergilbten, handgeschnittenen Stück Tageszeitung: asiatische Schriftzeichen.

Tilman Walther: „Das ist Allen Navier, eine chinesische Kalligraphie, allerdings hat er alle Rundungen raus genommen, das Ganze ist ein völlig statisches Objekt geworden, sieht fast aus wie Runen, das ist die chinesische Übersetzung für ‚Menschensterben’. Auf einer alten Zeitung, die er gefunden hat unter dem Linolfußboden von einer Wohnung, die er ausgeräumt hat. Die sind aus den 50ern. Wer weiß, was sich auf diesen Seiten alles abgespielt hat.“

Tilman Walther ist die andere Hälfte des Hoffnung-Duetts, Student an der Hamburger Kunsthochschule, gelernter Fotolaborant. Er hat sich die schwarze Kapuze seines Pullis bis in die Stirn gezogen und freut sich über die vielen Gedankenräume, die sein Magazin eröffnet – dem Leser ebenso wie den Machern.

Tilman Walther: „Wir sind jetzt so eine Generation, die von der Schule kam und wo es immer hieß, ja, man kriegt später, egal was man macht, keinen Job, (...) für mich war das unglaublich befreiend zu wissen, okay, die Chancen sind extrem schlecht, aber das gibt mir auch die Möglichkeiten, alles zu machen, was ich will, weil ich nicht irgendwas hinterherlaufen muss, was der sichere Weg in die Zukunft ist. Das ist glaube ich meine Hoffnung: (...) Uns steht alles offen.“

Kein „Hoffnung Magazin“ sieht aus wie das andere, jedes der mit Nadel und Faden zusammengehaltenen Exemplare enthält Unikate und ist selbst ein Unikat – verborgen wie ein Kuckuckskind zwischen den Buchdeckeln alter Bildbände vom Flohmarkt. Jan Liedtke und Tilman Walther haben rund sechs Monate daran gearbeitet.

Jan Liedtke: „Ich glaube es kam wirklich aus so einer Art Hoffnung, so wie das Magazin auch heißt. Es bedrückt einen ja eigentlich, wenn man in den Laden geht und die ganzen Magazine sieht, die einen einfach nur abstoßen, die Inhalte sind traurig bis grotesk, und man denkt, man muss da irgendwie antworten, man kann das so nicht stehen lassen.“

Tilman Walther: „Da sind wir auch wirklich nicht die einzigen, die aktiv werden an einem Punkt, wo sie denken: Wenn ich will, dass es was gibt, was mir gefällt, dann muss ich’s einfach selber machen, sonst verliere ich auch das Recht, anderes zu kritisieren.“

Ein ganzes Netzwerk sei aus der Arbeit am „Hoffnung Magazin“ inzwischen hervorgegangen, erzählen die beiden Initiatoren. Texter, Maler, Musiker aus Hamburg, Leipzig und Berlin entwickeln gemeinsam künstlerische Projekte als Ausdruck einer Sehnsucht.

Tilman Walther: „Ich glaube schon, dass eine Sehnsucht besteht nach was Greifbarerem. (…) Das ‚Hoffnung Magazin‘ ist wirklich nur eins. (...) Daraus entstanden zum Beispiel – sieht man auch im Impressum, ist dieser Verlag, Kokus-Lidtke-Walther-Verlag. Dann: Derselbe Sebastian Kokus hat auch ein kleines Plattenlabel, (...) jedes Jahr kommt ein Sampler auf Kassette raus, die werden dann verpackt und dann im großen Stil in Bussen und Bahnen vergessen. (…) Ich glaube schon, dass es auch ein politisches Statement ist, dass wir in einem gewissen Maße kulturell autark sind. Dass wir es a selber produzieren und dass wir b unser Netzwerk vergrößern und daraus immer wieder was Neues wächst. Das ist so als würde man das Feld umpflügen und neu was düngen, es ist nie verbraucht. Es läuft, und so, wie’s läuft, macht’s mich glücklich.“