Kuba nach Fidel Castro

Kubas Intellektuelle und der zähe Wandel

Von Peter B. Schumann · 11.04.2014
Früher diente der Kongress des kubanischen Schriftsteller- und Künstlerverbands oft dazu, die kulturpolitischen Leitlinien der Regierung abzusegnen. Dieses Mal wird dort auch über die Probleme der Künstler gesprochen.
"Ich muss mich wohl getäuscht haben, denn eigentlich sollten meine Worte ein Bild von Toleranz und Evolution der gegenwärtigen kubanischen Regierung vermitteln."
So schrieb Roberto Carcassés in einem Blog auf der Webseite seiner Band Interactivo. Der 41-Jährige ist einer der bekanntesten Fusion-Musiker Kubas. Er hatte sich erlaubt, den Text eines Songs zu verändern, mit dem er bei einer live im Fernsehen übertragenen Kundgebung auftrat. Auf ihr wurde die Freilassung von fünf Kubanern verlangt, die seit 15 Jahren wegen Spionage in Gefängnissen der USA einsitzen. Bei diesem hoch politischen Akt forderte Roberto Carcassés auch mehr Freiheit auf der Insel.
"Freier Zugang zur Information, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Direktwahl des Präsidenten. Schluss mit der äußeren und der inneren Blockade. Weder Aktivisten noch Dissidenten: gleiche Rechte für alle Kubaner."
Die Antwort folgte prompt am nächsten Tag: Das Kulturministerium erteilte Auftrittsverbot, weil "diese Art von Erklärungen sich nicht mit der Linie der Kubanischen Revolution" vertrage. Nun mischte sich Silvio Rodríguez ein, der Hofsänger des offiziellen Kubas, und schrieb in seinem Blog:
"Als kubanischer Bürger hat Robertico das Recht zu sagen, was er denkt. Es ist nur bedauerlich, dass er dies in einem Akt für unsere antiterroristischen Helden getan hat. Ich finde es aber auch schrecklich, dass unser Anliegen für die Fünf als Vorwand für einen repressiven Akt dient."
Reformpolitik hat einiges in Bewegung gebracht
Das Kulturministerium hob die Sanktion auf, und Roberto Carcassés konnte bei einem Konzert von Silvio Rodríguez wieder in Erscheinung treten. Vor ein paar Jahren wäre beides undenkbar gewesen. Doch die Reformpolitik von Raúl Castro, so zögerlich sie sein mag, hat einiges in Bewegung gebracht. Sie bietet immerhin vielen Kubanern neue Arbeits- und Reisemöglichkeiten, und sie war die Voraussetzung dafür, dass sogar die Europäische Union sich dem Inselstaat wieder annähern will.
Die Veränderungen verlaufen jedoch heute genauso wie früher in Kuba: widersprüchlich, gerade in der Kultur. Leonardo Padura, einer der bedeutendsten Schriftsteller, kann es sich leisten, in seinen Romanen ein desolates Bild von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu zeichnen und selbst Diskussionen über die Freiheit des Individuums zu führen. Wie gelingt ihm das?
"Das hängt wohl damit zusammen, dass ich keine Politik mache. Meine Bücher kann man zwar politisch lesen, aber ich betätige mich nicht politisch... Ich äußere mich als Einzelner, nicht im Namen einer Gruppe, einer Richtung, eines Projektes, sondern als Individuum, das eine Verpflichtung für seine Gesellschaft besitzt."
Ausdruck eines neuen Bewusstseins
Wenn es einen kulturellen Wandlungsprozess gibt, dann ist er weniger die Folge einer toleranteren Politik als Ausdruck eines neuen Bewusstseins der jüngeren Generation, der heute 20- bis 40-Jährigen, der sogenannten Nachgeborenen. Die meisten von ihnen suchen unabhängig von Partei und Institutionen ihren eigenen Weg. Am deutlichsten wird das im Filmbereich. Fernando Pérez, einer der wichtigsten Regisseure der Gründergeneration des kubanischen Kinos:
"Die Revolution muss sich verändern, das dogmatische, bürokratische, zentralistische, erstarrte Denken aufgeben und sich der Erneuerung stellen. Und wir müssen uns jetzt verändern, das ist revolutionär. So denkt auch die neue Generation. Genauso wenig wie ich glaubt sie nicht mehr an Ideologien, weder an politische noch an philosophische oder religiöse, denn sie wurden alle zu Doktrinen."
Auch kritische Filme werden gedreht
Für die alten Doktrinäre stellt bereits der Begriff unabhängig ein Problem dar, denn sie fürchten um ihr Machtmonopol. Der technische Fortschritt hat jedoch längst die Insel erreicht. Deshalb fertigen die meisten Filmemacher, auch Fernando Pérez, mit digitaler Technik ihre Werke. Und deshalb werden heute in Kuba nicht nur viel mehr, sondern oft auch kritische Filme gedreht - und zwar unabhängig vom staatlichen Filminstitut ICAIC.
Dort hat man zwar die Zeichen der Zeit erkannt und eine Kommission zur Neustrukturierung berufen, allerdings ohne die Cineasten zu fragen. Auf einer spontan organisierten Versammlung forderten sie die Mitbestimmung ein, die jahrzehntelang üblich war. Und sie verlangten außerdem:
"Wenn wir das kubanische Kino weiterentwickeln wollen, dann müssen wir aufhören, nur vom Film und vom Filminstitut zu sprechen, und anfangen, über die kubanische Audiovision zu reden, die das unabhängige Kino einschließt. Wir fordern die Anerkennung per Dekret des unabhängigen audiovisuellen Sektors und der unabhängigen Produzenten."
Darüber wird an diesem Wochenende auch der Kongress des Schriftsteller- und Künstlerverbands diskutieren. Da die politischen Mühlen in Kuba besonders langsam zu mahlen pflegen, wenn es unbequeme Fragen zu lösen gilt, haben die Vertreter des unabhängigen Films ihrerseits eine Kommission berufen. Dieses permanent tagende Observatorium soll den weiteren Prozess überwachen.
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