"Kruso"-Verfilmung im Ersten

Verwurstete DDR-Geschichte

Kruso (Albrecht Schuch) am Frühstückstisch
Kruso (Albrecht Schuch) am Frühstückstisch © MDR/UFA Fiction/Lukas Salna
Von Matthias Dell · 26.09.2018
Die Insel Hiddensee zu DDR-Zeiten: Der Protagonist Edgar Bendler findet hier Eingang in eine merkwürdige Parallelgesellschaft. Lutz Seilers Roman "Kruso" wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die TV-Verfilmung ist allerdings klischiert.
Es geht gleich zur Sache in Thomas Stubers Literaturverfilmung "Kruso". Die Möwen kreischen, und die Reiseleiterin auf der Fähre nach Hiddensee erklärt:
– "Sehr beliebt – und zurecht – ist der Blick vom Dornbusch über die gesamte Insel."
Als ein erstaunlich mutiger DDR-Bürger sich zu Wort meldet:
– "Kann man von da aus auch Dänemark sehen?
– "Bei klarem Wetter, ja.
– "Wissen Sie auch, wie viele es versucht haben, in diesem Jahr rüberzukommen …"
– "Hör auf!"
– "… und dabei erwischt wurden oder es geschafft haben?"
So viel Nachfragen kann natürlich nicht gut gehen, weil: Es ist ja noch DDR, Sommer 1989, wie eine Einblendung kurz zuvor informiert hat. Also walten die Genossen von der Fährleitung ihres Amtes, humorlos:
– "Ihren Meldeschein und Quartiernachweise."

Fieser Staat, widerborstige Bürger

Die empörte Reaktion des tapferen Bürgers ist dagegen fast schon wieder komisch:
– "Wir sind Tagestouristen!"
Als ob das was geholfen hätte. Aber die heutige Zeitgeschichtsverwurstung des Fernsehens weiß natürlich besser, dass die DDR ihre mutigen Bürger nicht überlebt hat.
Die Szene steht nicht in Lutz Seilers Buch. Sie ist Ausdruck der Konvention, in die Regisseur Stuber den Roman über eine jugendlich-unkonventionelle Parallelwelt auf der Insel überführt. Im deutschen Zeitgeschichtsfilm braucht es, wenn es um die DDR geht, klare Gegensätze: hier der fiese Staat, da die widerborstigen Bürger.
Salzlach (Pit Bukowski) schmeißt Ed (Jonathan Berlin) aus dem Gastraum
Salzlach (Pit Bukowski) schmeißt Ed (Jonathan Berlin) aus dem Gastraum© MDR/UFA Fiction/Lukas Salna
Jana Brandt, die Fernsehspielchefin des für die "Kruso"-Verfilmung zuständigen MDR, schreibt in einer Produktionsnotiz über diese Traditionslinie: "Das filmische Erzählen ostdeutscher Geschichte gehört zur DNA des Mitteldeutschen Rundfunks: Dafür stehen 'Der Turm', 'Bornholmer Straße', 'Nackt unter Wölfen' oder 'Weissensee'."
Heißt: "Kruso" ist nichts anderes als "Der Turm" auf Hiddensee oder "Weissensee" auf einer Insel. Das Personal bleibt das gleiche, nur die Hintergründe wechseln. Stubers Film schweift dementsprechend oft über Strand und Meer.

Von Sprachgewalt keine Spur

"Lutz Seilers sprachgewaltigen Roman einem großen Filmpublikum zugänglich zu machen, ist eine besondere Herausforderung", führt die Redakteurin Brandt weiter aus. An dieser Herausforderung gemessen ist der Film gescheitert. Von Sprachgewalt keine Spur, das poetische Schwelgen des Romans wird reduziert auf die Informationen, die sich zu einem Plot verdichten lassen: Hiddensee ist im Film "Kruso" die ausblutende DDR im kleinen. Auf dem Weg dahin wird, wie im deutschen Jugendlichen-Film üblich, mal gejauchzt und dann ist man wieder betrübt zu melancholisch daueranwesender Filmmusik.
"Man" ist vor allem der verzagt guckende Jonathan Berlin, der den Protagonisten Edgar Bendler spielt.

Klischeehafter Film

Als Bonusmaterial zum "Kruso"-Film hat die ARD im Internet ein ungeduldig zusammengeschnittenes Interview mit dem Musiker Flake bereitgestellt. Einem Bandkollegen von Aljoscha Rompe, nach dessen Vorbild Lutz Seiler seinen Kruso entworfen haben will. Flake erzählt über den Klausner, das Lokal, in dem "Kruso" spielt:
"Und dann sind wir zum Klausner zum Frühstücken gegangen und da haben wir dann den ganzen Tag verbracht, und unsere Ohrringe da einfach mit hingestellt, die Schachtel, und die sind uns aus den Händen gerissen worden, weil Modeschmuck war in der DDR faktisch nicht existent, und mit dem Silberdraht und diesen Blättchen, die aussahen wie Blättchen oder mit Perlen, sah das auf n ersten Blick auch gut aus, und 15 Mark für ein Paar war für damalige Ost-Verhältnisse auch preiswert."
Und jedes Detail an dieser Geschichte klingt nach einer spannenderen, interessanteren Auskunft über das Leben in der DDR, als Stubers klischeehafter Film sie bietet. Bei dem fragt man sich am Ende nur:
– "Was soll das hier?"
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