Krümmel, Atomkraftwerke und Klimaschutz

Von Günter Hetzke |
Die Informationspolitik nach den jüngsten Störfällen ist zwar hochgradig dilettantisch und wenig vertrauenserweckend, wenn es aber um die Werbung geht, dann ist die Atomlobby richtig gut. Die Atomindustrie hat reichlich Geld in der Kasse und einen langen Atem.
Und so haben die Manager auch nach dem von der Gesellschaft geforderten und vereinbarten Atomausstieg keine Gelegenheit verpasst, um ihre Botschaft zu verkünden: Atomenergie ist gut für das Klima, weil hier während der laufenden Produktion keine Treibhausgase freigesetzt werden.

Der stete Tropfen höhlte den Meinungsstein und begann Früchte zu tragen. Die ablehnende Haltung der Mehrheit der Deutschen gegen diese Form der Energiegewinnung ging zusehends zurück. Die Botschaft kam an, zumal sie durchaus stimmt - zumindest in dieser arg verkürzten Fassung.

Denn grundsätzlich hat sie einen Haken: Sie verschweigt die Nebenwirkungen. Man stelle sich vor, das Bundesgesundheitsministerium würde eine Nichtraucherkampagne starten mit dem Hinweis, man möge doch keine Zigaretten mehr rauchen, sondern stattdessen, wenn man schon einem Laster frönen möchte, häufiger Alkohol trinken.

Natürlich eine Schnapsidee. Zwar werden die Lungenflügel frei, das Atmen fällt leichter, nur: Die Leber, die leidet. Und genau so verhält es sich mit der Werbebotschaft, die die Atomindustrie verbreitet. Sie konzentriert sich einzig auf die freien Atemwege und vergisst dabei die Leber zu erwähnen.

Der auf der einen Seite verringerte Ausstoß von Kohlendioxid, eines der Treibhausgase, die für die Erderwärmung verantwortlich gemacht werden, wird auf der anderen Seite teuer erkauft. Täglich und das noch Jahre lang wird strahlender Atommüll produziert, für den es bislang noch keine gesicherte Endlagerstätte gibt und dessen Beseitigung und Sicherung wir bedenkenlos vielen Generationen nach uns überlassen. Hauptsache, die Bilanzen stimmen hier und jetzt im Wettbewerb der Energieerzeuger.

Unterschlagen werden auch die Folgen eines Unglücks, die - wenn es denn mal richtig knallen sollte - nicht nur auf eine eng begrenzte Region Auswirkungen hätten. Wie schnell kleine Fehler passieren, in diesem Fall ohne weitreichende Konsequenzen, zeigte sich bei dem Störfall im Atomkraftwerk Krümmel. In der Leitwarte ist es möglicherweise zu laut gewesen, so dass die Verständigung unter den Verantwortlichen nicht funktionierte. Menschliches Versagen.

Deshalb steht auch der Verweis auf die ausgereifte Sicherheitstechnologie auf tönernen Füßen. Zumal es eine umfassende Sicherheit nicht gibt. Es hat sich auch niemand vorstellen können, dass ein Hochgeschwindigkeitszug gegen einen Brückenpfeiler prallt - und doch ist es passiert.

Je länger die Atomkraftwerke laufen, je älter sie werden, desto mehr Schwachstellen tauchen auf und müssen beseitigt werden - jeder Autofahrer kennt das Problem. Aus- und Nachbesserungen halten zwar den Betrieb noch aufrecht, erhöhen aber auch die Anfälligkeit. Die meldepflichtigen Ereignisse besonders in den älteren Atomkraftwerken nehmen zu, wie das Bundesamt für Strahlenschutz feststellt.

Und wenn es dann doch einmal zu einem gravierenden Zwischenfall kommen sollte, dann wird auch noch der Steuerzahler zur Kasse gebeten. Die Energieversorgungsunternehmen sind zwar gegen die Folgen eines Unglücks versichert, aber die Deckungssumme reicht bei einer großflächigen radioaktiven Verseuchung zur Schadensbeseitigung bei weitem nicht aus. Die Versicherungskosten dafür wären schlicht zu hoch und würden die Energieerzeugung aus Atomkraft unrentabel machen, wenn sie entsprechend angehoben würden.

Bei all diesen möglichen Gefahren und der hochsensiblen Technologie ist deshalb Offenheit und ein verantwortliches Handeln der Atomkraftwerksbetreiber das Mindeste, was die Öffentlichkeit verlangen kann. Aber wie sich bei den Pannen im AKW Krümmel gezeigt hat - und zwar wieder einmal gezeigt hat - ist es damit nicht weit her. Nur scheibchenweise kam die Wahrheit ans Licht, beinahe jeden Tag gab es neue Enthüllungen und Erkenntnisse und nur auf Grund von politischem Druck hat der Betreiber Vattenfall im Streit über die Aufklärung der Pannen eingelenkt und der Atomaufsicht die Befragung der am Zwischenfall beteiligten Mitarbeiter gestattet.

Wohlgemerkt: Sie haben eingelenkt und gestattet, nachdem sie sich vorher mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben und lieber eine interne Aufklärung der Vorgänge bevorzugt hätten. Die Manager wissen, auf welchem dünnen freundlich gestimmten Meinungseis sich die Atomenergie bewegt und wollten das mühsam aufgebaute Image retten, indem sie so viel wie möglich unter den Teppich kehren, statt offensiv mit den verantwortlichen Behörden zusammen zu arbeiten und ihnen Türen und Tore zu öffnen.

Anhand der Störfälle von Vattenfall werde jetzt wieder eine Kampagne gegen die Atomkraft gefahren, beklagen die Betreiber der AKW. Und liegen mit dieser Beschwerde völlig falsch. Die Einwände gegen die Nutzung der Atomenergie waren schon 2001 berechtigt, als der Atomausstieg besiegelt wurde und sie sind es auch heute noch.

Die einzige Kampagne war und ist der ausdauernde Werbezug der Atomindustrie, die sich als Retter der Klimakatastrophe hinstellen wollte - wobei sie eben nur den Blick auf die Lunge lenkte und die Leber geflissentlich übersah.