Krüger-Nationalpark

Das Abenteuer ihres Lebens

Von Maicke Mackerodt · 03.12.2013
Kerstin Plehwe reiste für Microsoft um die Welt, gründete eine Firma und hatte privates Glück. Doch dann wurde alles anders: Sie erfüllte sich einen Kindheitstraum und machte eine Ausbildung als Rangerin in Südafrika.
Kerstin Plehwe: "Der Vogel, von dem ich mit am meisten gelernt habe, ist der Red-billed Oxpecker: Ein rotschnabeliger Vogel, sehr klein und der sitzt in der Regel auf Büffeln, wenn die gestört werden, was meistens ist durch den Angriff von Raubtieren, fliegen die auf und machen einen bestimmten Alarmruf. Wenn man das nicht erkennt, ist man in großer Gefahr, insbesondere wenn man zu Fuß im Busch unterwegs ist, das ist ein Signal, unbedingt die Waffe in die Hand zu nehmen."
Kerstin Plehwe mit der Waffe in der Hand im Krüger-Nationalpark. Schwer vorstellbar. Designerbrille, taubenblauer Blazer, gewinnendes Lächeln. Fast nichts erinnert in dem schicken Büro, direkt am Brandenburger Tor in Berlin, an ihre Rangerausbildung in Südafrika. Früher hat die zierliche 45-Jährige vor allem Menschen mit Macht beraten - Politikern im Wahlkampf Wege aufgezeigt, wie sie ihre Wähler am besten erreichen können.
"Die Tränen waren für mich ein großes Aufwachsignal"
Als ihr Bildschirmschoner die Geparden-Lady Intombi zeigt, hält die Managerin inne. Mit Anfang 40 interviewte sie eine blinde Unternehmerin, die als erste Frau der Welt mit einem Elefanten durch Indien geritten war - weil es ihr Kindheitstraum war. Als die junge Irin Kerstin Plehwe nach ihrem unerfüllten Traum fragte, brach diese schockiert in Tränen aus.
Kerstin Plehwe: "Sagen wir mal, die Tränen waren für mich ein großes Aufwachsignal, weil ich in meinem Erwachsenenleben - Karriere, Familie, Beruf - sehr diszipliniert, sehr zielorientiert war und immer so unterschwellig das Gefühl hatte: Für Träume ist da keine Zeit und auch gar kein Raum."
Als Kind hat sie fast drei Jahre in Südafrika gelebt. Der Vater arbeitete in Pretoria als Ingenieur bei Siemens, seine Tochter lernte an der deutschen Schule Afrikaans. Als die Familie wieder nach Deutschland zurückkehrte, wollte die Neunjährige bleiben und Rangerin in einem der größten Wildschutzgebiete der Welt werden, dem südafrikanischen Krüger-Nationalpark.
30 Jahre später erinnert sich die Managerin an ihre kindlichen Phantasien. Sie bucht eine fünfwöchige Rangerausbildung, kauft olivgrüne Treckingkleidung und stellt sich darauf ein, dass die Wildhüter-Ausbildung in einem offenen Camp stattfindet. Ihr Schlafplatz: ein kleines Zelt in der Wildnis. Einen Zaun gibt es nicht. Als ihr klar wird, dass ihr Elefanten und Löwen sehr nah kommen können, setzt sie ihr Testament auf.
Kerstin Plehwe: "Wie ich das aufgeschrieben hatte, haben sich ganz viele Prozesse in meinem Kopf geklärt. Wenn wir uns bewusst damit beschäftigen, da kehrt eine Ruhe ein, eine Klarheit für einen selber, die beruhigend ist. Eine Ruhe, die beruhigend ist, klingt komisch, aber eine Kraft, die einem Ruhe ins Leben bringt, weil man aufhört, den möglichen eigenen Tod zu verdrängen."
Im Camp schaltet die Porsche-Cabrio-Fahrerin ihren ständigen Begleiter, das Smartphone, ganz aus. Die einzige Frau im Team tröstet sich mit Shakiras Afrikalied Waka Waka. Denn die englischsprachige Ausbildung entpuppt sich als harte Schule mit einem nahezu rund um die Uhr- Lehrplan: Themen wie Führen in der Wildnis oder Fährten suchen in der Nacht gehören ebenso zur Abschlussprüfung wie das Erkennen von 200 verschiedenen Vögeln. Sie macht alles mit.
Nur Spinnen anzufassen oder trockenen Elefantenkot mit der bloßen Hand aufzubrechen, weigert sie sich, obwohl es dazu gehört. Und sie lernt die wichtigste Rangerregel: Whatever you do, don't run. Wer rennt, ist tot. Geduckt im Gras beobachtet sie eine Elefantenherde und sieht, dass die Leitkuh regelmäßig, ein paar Sekunden lang nichts tut, dabei aber offenbar Kontakt aufnimmt.
Kerstin Plehwe: "Logischerweise ein Kontakt, der nicht sichtbar ist, sondern der gefühlt wird von ihr. Diese Kontaktaufnahme funktioniert über große Entfernungen und sie hilft ihr, Probleme in der Herde zu erkennen. Ich hätte mir am liebsten vor die Stirn geschlagen: Mensch hier hast du echt was gelernt.
Jetzt, wenn ich in ein Meeting komme, lege ich mein Blackberry umgekehrt auf den Tisch, dass ich ihn nicht sehe und gucke meine Leute an, gehe einmal auf Tuchfühlung, wenn man so will, was ist für eine Energie im Raum, wem geht's wie und wo stehen wir gerade."
"Die Weisheit der Elefanten" als Buch
Mittlerweile hat Kerstin Plehwe über ihre Aha-Erlebnisse das Buch geschrieben - "Die Weisheit der Elefanten". Sie beschreibt, dass sie sich selbst besser kennengelernt hat, sich nicht mehr so getrieben fühlt und mehr auf ihre innere Stimme hört.
Kerstin Plehwe: "In den eher kopfgesteuerten Berufen sagt man: Na ja innere Stimme, das ist so ein Frauenzeug. Ist es gar nicht und sie hilft mir sehr – das habe ich aber auch erst durch die Erfahrung als Ranger wieder zurückerobert, dieses auf sich selber und seine innere Stimme verlassen können."
Die Rangerausbildung ist für die frühere Beraterin ein tiefer Lebenseinschnitt: Als einziger deutscher Kooperationspartner des Foundation Center in New York, baut sie mittlerweile in Berlin ein Informationscenter für Unternehmen mit sozialem Engagement auf.
Gemeinsam mit Rallyefahrerin Jutta Kleinschmidt oder Filmproduzentin Regina Ziegler vermittelt sie Bildungspatenschaften für Mädchen in Mumbai, die auf der Straße leben. Die Sammlerin von teuren Uhren ist verblüfft, dass sie nur ihren Mann, ihren Hund, gute Gespräche mit Freunden und ihr Team vermisst hat, aber nicht den Luxus von Fünf-Sterne-Hotels oder ihr schnelles Auto.
Kerstin Plehwe: "In Afrika habe ich festgestellt, selbst wenn ich was verlieren würde, würde mir nichts fehlen. Diese Erkenntnis war für mich vollkommen befreiend."