Kronos Quartett

Folksongs mit einem Touch Avantgarde

David Harrington, John Sherba, Hank Dutt and Sunny Jungin Yang (v.l.), Mitglieder des US-amerikanischen "Kronos Quartet" während eines Konzerts in Danzig / Polen am 27.7.2016
Quartett mit Hang zum Exotischen: David Harrington, John Sherba, Hank Dutt und Sunny Jungin Yang (v.l.) vom US-amerikanischen "Kronos Quartet". © picture alliance / dpa / epa / Roman Jocher
Von Fanny Tanck · 28.06.2017
Traditionelle Songs aus England, den USA oder Frankreich bringt das US-amerikanische Kronos Quartett neu zu Gehör. Auf seinem Album "Folk Songs" interpretieren renommierte Stimmen des Genres wie Natalie Merchant die alten Lieder neu. Man wählte, was ihnen auf den Leib geschrieben schien, und arrangierte die Streicher dazu.
David Harrington ist erster Geiger und Gründungsmitglied des Kronos Quartetts. Optisch erinnert er an einen Oberstufenlehrer kurz vor der Pensionierung. Graue Locken, Jeans, Schlabberhemd, ruhige freundliche Stimme - ein Mann, dem man seine 34 Musikpreise und mehr als 60 Platteneinspielungen nicht unbedingt anmerkt. Langeweile oder Überdruss scheinen ihm fremd zu sein. Was den Geist seines Quartetts wachhält? Die Erkundung von Neuland. Dazu zählen ganz aktuell auch neun "Folk Songs", wie er sagt:
"All diese Songs sind NEU für mich, das hier ist tatsächlich NEUE Musik für uns."
Ein überraschendes Bekenntnis, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Song-Sammlung vorrangig um englischsprachige Traditionals handelt. Doch ein Quartett mit Hang zum Exotischen, Avantgardistischen, mit Horizonten, die sich bekanntermaßen von China über Afrika bis ins tiefste Sibirien spannen können, ist das eigene kulturelle Erbe eben nicht immer das naheliegende.
David Harrington: "Als Musiker benutzen wir unsere Ohren. Und die leiten uns in viele verschiedene Richtungen, zu vielen verschiedenen Orten. Ich wollte immer, dass mein Instrument und wir als Kronos Quartett all diese Richtungen gehen können, jeglichen Ort bewohnen, der uns gefällt."

Reise ins alte Amerika

Wie so oft reist das Kronos Quartett nicht allein durch seine Musik-Orte. Vier der prägnantesten Folk-Stimmen unserer Zeit, darunter die Grande Dame des Folkpop, Natalie Merchant sowie die zunehmend gefragte Roots-Musikerin Rhiannon Giddens, geben den alten, zumeist tragischen Geschichten aus England, Schottland, Irland, den USA und Frankreich ein neues Gesicht.
"Alle vier Sänger haben einen sehr persönlichen Zugang zu ihrer Stimme, ihrem Sound, ihrer Diktion, der Bedeutung der Worte, wenn sie sich in ihrer eigenen Erfahrung spiegeln - sowieso finde ich Sänger unglaublich faszinierend."
So waren es auch die Sänger, nicht das Quartett, die die Auswahl der Songs bestimmten. Man wählte, was ihnen auf den Leib geschrieben schien und arrangierte die Streicher entsprechend. Hierzu nahm das Kronos Quartett musikhistorisches Fachwissen einiger Freunde in Anspruch. "Musikübersetzer" nennt David Harrington diese Freunde. Die Transkriptionen sollten vor allem natürlich klingen und wurden deshalb von Komponisten geschrieben, die sich in den jeweiligen Musiktraditionen zu Hause fühlen.

Amerikanische Landschaftsmusik

Ursprünglich karge Akkordteppiche werden in subtile, zum Teil energische Klanggespräche verwandelt. Man hört Toncollagen, die oftmals ergänzen, was die Sänger verschweigen. Sie erzählen von dem, was zwischen den Zeilen steht oder sie verkehren scheinbar Feststehendes in offene Fragen. Etwa wenn der "Ramblin' Boy" in seinem jugendlichen Leichtsinn behauptet: "Mir kann nichts etwas anhaben. Ich bin jung und die Welt ist weit." "Wirklich?" scheint das Quartett am Ende zu fragen. "Wir werden sehen."
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