Kritischer Blick auf den amerikanischen Traum

Von Anette Schneider · 09.10.2007
Die Ausstellung "american beauties" zeigt US-amerikanische Lebenswelten von den 1920er bis 1990er Jahren. Festgehalten wurden sie von solch stilbildenden Berühmtheiten der Fotografie wie Larry Clark, David Hockney und Nan Goldin. Die Schau ist im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.
Es sind ziemlich skurrile Typen, die Lisette Model in den 40er Jahren beim Durchstreifen New Yorks mit der Kamera festhält. Meist alte Männer und Frauen in verrückter Kleidung und schrullig-selbstsicherem Auftreten - ein etwas anderes Nordamerika, unangepasst und liebenswürdig. Die Fotografin gilt mit diesen Bildern als Begründerin der Street-Fotografy.

Drumherum sieht man Wohlstand im sonnigen Kalifornien, drogensüchtige Jugendliche oder den harten Alltag eines jungen Models. Insgesamt sieben sehr widersprüchliche Ansichten der USA präsentiert die Ausstellung. Sie stammen von David Hockney und Larry Clark, Lisette Model und Nan Goldin. Außerdem von Wim Wenders, Karl Struss und der Künstlergruppe art club 2000.

So unterschiedlich diese Künstler die Wirklichkeit wahrnehmen, arbeiten sie in einer Hinsicht alle gleich, nämlich seriell: Jedem dieser Blicke auf das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" liegt eine zum Teil umfangreiche Fotoserie zugrunde. Und anders als normalerweise in Museumsausstellungen üblich, sieht man hier endlich einmal die Arbeiten in Gänze. Denn, so Ingo Taubhorn, Kurator des Hauses der Fotografie:
" Fotografie funktioniert für mich nur in ganz wenigen Teilen als Einzelbild. Und wenn man heute Einzelbilder von großen Künstlern wie z.B. Thomas Struth oder Andreas Gursky oder auch Ruff sieht, dann sind diese Bilder, die als Einzelbilder im Gedächtnis verhaftet sind, sind aber innerhalb einer Serie gebunden. "Tulsa" von Larry Clark, in einer Auflage von hundert Exemplaren mit 50 Exponaten, in einer Box herausgebracht, ist von vielen Kollegen immer zerstückelt präsentiert worden. Es gibt einige Ikonen innerhalb dieses Portfolios, aber was wir hier tun, ist das vollständige Portfolio in der Reihenfolge, so wie es Larry Clark wollte, hier auszustellen. "
Dies ist ein ebensolcher Genuss wie die durchdachte Hängung der Arbeiten in fünf großen Kabinetten. Die Ausstellung beginnt mit der jüngsten Serie: 1993 inszenierte sich die junge siebenköpfige Künstlergruppe "art club 2000" an unterschiedlichen Orten New Yorks im Einheitslook von GAP, einem der größten US-amerikanischen Textilunternehmen: Sie hängen gelangweilt in Bars herum, hocken nach dem Shopping erschöpft in ihrem Loft, flanieren durch die Straßen - und tragen stets das dafür von der Firma vorgesehene modische Outfit. Alle sehen also gleich aus. Die Uniformität reicht bis in die Gesten - und damit ins Denken.
Eine Tristesse ganz anderen Kalibers folgt im nächsten Raum: Larry Clark schuf zwischen 1961 und 1971 eine Schwarz-Weiß-Serie über Jugendliche in Tulsa, einer Kleinstadt in Oklahoma. Clark, der selbst dort aufwuchs, zeigt das öde Leben einer Clique zwischen Langeweile, Sex und Drogen. Zwei Bilder aus der Serie wurden berühmt - der Rest von 48 Fotos ist kaum bekannt. Nun kann man endlich alle sehen und entdecken, welch ausgeklügelte Dramaturgie der Arbeit zugrunde liegt, wie Clark die Geschichte vorantreibt, und durch den Blickwinkel der Kamera die innere Befindlichkeit der Jugendlichen spiegelt: Zeigt er sie zu Beginn noch auf der Straße, verengt sich der Fokus immer mehr, bis er aus den kleinen Zimmern und klaustrophobisch-engen Fluren nicht mehr herauskommt, zwischen deren Wänden sich die Jugendlichen gegenseitig Heroinspritzen setzen.
" Und das natürlich in einer Schonungslosigkeit, die zu dem damaligen Zeitpunkt die Welt schockiert hat. Weil alles, was wir unter "american way of life" oder american dream begreifen, sowohl wir als außenstehende Europäer, aber auch die US-amerikanische Gesellschaft, stand dem total konträr gegenüber. "
Konfrontiert wird die Arbeit mit einer Serie von Wim Wenders, der in den 70ern jeden USA-Mythos ungebrochen pathetisch festhält: weite Landschaft, faszinierendes Licht, Motels und Häuseransichten wie von Edward Hopper.

Es folgt die Serie von Lisette Model, und danach prallen wieder zwei unterschiedliche Lebenswelten aufeinander: Nan Goldin und David Hockney. Hockney, der Fotografie ursprünglich nur als Gedächtnisstütze für seine Gemälde nutzte, hält Momente des reichen und damit stets sonnigen Kaliforniens fest: das Spiel von Licht und Schatten in einem Swimmingpool, dekorative Pflanzen, Blicke in die Riesenräume kalifornischer Strandvillen, seinen nackten Freund.

Von Nan Goldin, die ohne Larry Clark nicht denkbar wäre, wird eine Auftragsarbeit über die Fremdbestimmtheit eines jungen Starmodels gezeigt: mal heftig geschminkt für den Catwalk, dann wieder blass und völlig erschöpft rauchend erlebt man eine 16-Jährige, die durch das Geschäft mit dem schönen Schein zerrieben wird.

Die Ausstellung endet mit Aufnahmen von Karl Struss aus den 1920er Jahren: Er zeigt New York, wie wir es lieben: die Faszination der Queens Bridge, der Wolkenkratzer, der Skyline. Doch hier, am Ende des Rundgangs, kann man das nostalgisch-schöne Bild der Metropole nicht mehr ungebrochen genießen: Nun wird es überlagert von all den Ansichten hässlicher und brutaler, hoffnungsloser und trister, hemmungslos ökonomischer und vermeintlich schöner Wirklichkeit, wie sie die nachfolgenden Fotografen festhielten.


Service:
Die Ausstellung "american beauties" ist im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen vom 10. Oktober 2007 bis 6. Januar 2008 zu sehen.