Kritische Beobachtungen aus einer unruhigen Region
In einem „politischen Streifzug“, einer Mischung aus anschaulichem Reisebericht und einfühlsamer Analyse, führt uns Volker Perthes durch sechs Länder und Gebiete. Er beschreibt widersprüchliche Entwicklungen, den Einfluss der Religion, die Bedeutung von Traditionen, die Diskussion um Terrorismus und Gewalt, aber auch die politische und kulturelle Vielfalt einer unruhigen Region.
Ohne in einen beliebigen Plauderton abzugleiten, schildert der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin seine Eindrücke.
Dem Schlagwort vom Kampf der Kulturen hält er in seiner Einführung entgegen:
„Gerade im Streit über Terrorismus und Gewalt, über das Verhältnis zu den USA und Europa oder über Demokratie und Menschenrechte aber wird deutlich, dass es falsch ist, von einem Konflikt der Kulturen oder der Zivilisationen zu sprechen. Zutreffender wäre es, von einem Konflikt innerhalb der Kultur oder von einer Konfliktlinie in der arabisch-muslimischen Zivilisation zu sprechen, die sich quer durch diese Welt zieht und nicht etwa den ‚Islam‘ gegen ‚den Westen’ positioniert oder abgrenzt.“
Perthes berichtet von Stimmungen, erklärt Strukturen und Hintergründe. Ob in Ägypten, Saudi-Arabien, Kurdistan, Israel und Palästina oder im Iran – der Autor wahrt die Distanz des Wissenschaftlers, zeichnet gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse nach. Es ist sind vor allem Debatten in politischen, intellektuellen und kulturellen Eliten, die er aufnimmt.
Sein Buch enthält einige mit feuilletonistischer Leichtigkeit geschriebene Passagen etwa über Kairo und Teheran. Was er aus diesen Metropolen und über ihre Anziehungskraft schildert, vermittelt eine Vorstellung von komplizierten Verhältnissen und eher oberflächlicher Stabilität.
Eindringlich ist sein Bericht aus den Kurdengebieten im nördlichen Irak. Perthes bezieht dazu knapp die Situation der Kurden in den Nachbarländern mit ein: in Syrien, im Iran, in der Türkei. Er skizziert die Situation im irakischen Kurdistan mit seiner schwachen wirtschaftlichen Basis. Auch nach der Befreiung vom Regime Saddam Husseins komme für Kurden die Rückkehr zu einem zentralistischen Staat nicht in Frage:
„Terroristische Gewalt, Bürgerkriegsgefahr und schleppender wirtschaftlicher Wiederaufbau tragen allesamt dazu bei, die Kurden in ihrem Wunsch zu bestärken, sich vom Rest des Irak zu trennen. Es hat daher eine gewisse Logik, wenn kurdische Politiker sich um den Aufbau von Strukturen bemühen, die in einem föderalen Irak genauso überleben können wie in faktischer oder expliziter Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans.“
Die von den Vereinigten Staaten geführte militärische Intervention im Irak, schreibt Perthes, habe die geopolitischen Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten durcheinander gewirbelt. An die Stelle langjähriger Stagnation sei an vielen Stellen eine Unruhe getreten, die mit neuen Risiken behaftet sei, aber auch neue Chancen biete.
Ägypten und mehr noch Saudi-Arabien, die sich als regionale Führungsmächte verstünden, seien schwer erschüttert worden. Dies gelte unter etwas anderen Vorzeichen ebenso für den Iran. Westliches Drängen auf Demokratisierung und Modernisierung finde nur begrenzten Widerhall, löse Abwehrreflexe der herrschenden Regime aus, deren Zugeständnisse eher taktischer Natur seien. Das politische System Ägyptens etwa charakterisiert Perthes als „pluralistischen Autoritarismus“.
Perthes spekuliert nicht, seine Notizen und Interpretationen unterliegen nicht tagesaktuellem Verfall. Als er sein Manuskript abschloss, amtierte noch Ariel Scharon als Ministerpräsident mit guten Aussichten auf einen Erfolg in den Parlamentswahlen. Doch Anfang dieses Jahres fiel er nach einem schweren Schlaganfall ins Koma.
Diese für die israelische Politik einschneidende Zäsur berührt die Erläuterungen zum israelisch-palästinensischen Verhältnis, zu den Bemühungen um einen politischen Ausgleich allenfalls marginal; denn Perthes beschäftigt sich mit den längerfristigen Auswirkungen der gewalttätigen Konflikte in den vergangenen Jahren sowohl auf die israelische Gesellschaft und ihren Zusammenhalt als auch auf die Konsequenzen in den Palästinensergebieten. In der israelischen Debatte sei die demografische Entwicklung zum wichtigsten Argument für einen eigenen Staat der Palästinenser geworden:
„Nur durch die Trennung von den besetzten Gebieten und eine Zweistaatlichkeit lässt sich der zionistische Traum eines jüdischen Staates, der demokratisch ist, aufrechterhalten.“
Viel stärker als Israel habe der vierjährige Krieg seit September 2000 die palästinensischen Gebiete betroffen, in den menschlichen wie in den materiellen Verlusten. Der Aufbau eines unabhängigen, souveränen palästinensischen Gemeinwesens sei unterbrochen worden, die Palästinenser hätten „eine Art Staatszerfall ohne Staat“ erlebt:
„Die fünfzehn Jahre von Friedensprozess und Krieg haben die palästinensische Gesellschaft verändert. Sie ist politisch desillusioniert, die Gewaltbereitschaft hat zugenommen, die islamischen Tendenzen haben sich verstärkt, und es hat sich eine erstaunliche Bereitschaft herausgebildet, abzuwarten und durchzuhalten.“
Volker Perthes hat, trotz einiger Längen in der Wiedergabe von Gesprächen, ein leserfreundliches Buch vorgelegt, klar und verständlich geschrieben. Sein Ton ist wohltuend gelassen. Er wertet behutsam, ist ein ebenso aufgeschlossener wie kritischer Beobachter. Ein informatives Lesebuch über eine Region, aus der uns vor allem beunruhigende Nachrichten erreichen.
Volker Perthes: Orientalische Promenaden – Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch
Siedler Verlag, München 2006
Dem Schlagwort vom Kampf der Kulturen hält er in seiner Einführung entgegen:
„Gerade im Streit über Terrorismus und Gewalt, über das Verhältnis zu den USA und Europa oder über Demokratie und Menschenrechte aber wird deutlich, dass es falsch ist, von einem Konflikt der Kulturen oder der Zivilisationen zu sprechen. Zutreffender wäre es, von einem Konflikt innerhalb der Kultur oder von einer Konfliktlinie in der arabisch-muslimischen Zivilisation zu sprechen, die sich quer durch diese Welt zieht und nicht etwa den ‚Islam‘ gegen ‚den Westen’ positioniert oder abgrenzt.“
Perthes berichtet von Stimmungen, erklärt Strukturen und Hintergründe. Ob in Ägypten, Saudi-Arabien, Kurdistan, Israel und Palästina oder im Iran – der Autor wahrt die Distanz des Wissenschaftlers, zeichnet gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse nach. Es ist sind vor allem Debatten in politischen, intellektuellen und kulturellen Eliten, die er aufnimmt.
Sein Buch enthält einige mit feuilletonistischer Leichtigkeit geschriebene Passagen etwa über Kairo und Teheran. Was er aus diesen Metropolen und über ihre Anziehungskraft schildert, vermittelt eine Vorstellung von komplizierten Verhältnissen und eher oberflächlicher Stabilität.
Eindringlich ist sein Bericht aus den Kurdengebieten im nördlichen Irak. Perthes bezieht dazu knapp die Situation der Kurden in den Nachbarländern mit ein: in Syrien, im Iran, in der Türkei. Er skizziert die Situation im irakischen Kurdistan mit seiner schwachen wirtschaftlichen Basis. Auch nach der Befreiung vom Regime Saddam Husseins komme für Kurden die Rückkehr zu einem zentralistischen Staat nicht in Frage:
„Terroristische Gewalt, Bürgerkriegsgefahr und schleppender wirtschaftlicher Wiederaufbau tragen allesamt dazu bei, die Kurden in ihrem Wunsch zu bestärken, sich vom Rest des Irak zu trennen. Es hat daher eine gewisse Logik, wenn kurdische Politiker sich um den Aufbau von Strukturen bemühen, die in einem föderalen Irak genauso überleben können wie in faktischer oder expliziter Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans.“
Die von den Vereinigten Staaten geführte militärische Intervention im Irak, schreibt Perthes, habe die geopolitischen Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten durcheinander gewirbelt. An die Stelle langjähriger Stagnation sei an vielen Stellen eine Unruhe getreten, die mit neuen Risiken behaftet sei, aber auch neue Chancen biete.
Ägypten und mehr noch Saudi-Arabien, die sich als regionale Führungsmächte verstünden, seien schwer erschüttert worden. Dies gelte unter etwas anderen Vorzeichen ebenso für den Iran. Westliches Drängen auf Demokratisierung und Modernisierung finde nur begrenzten Widerhall, löse Abwehrreflexe der herrschenden Regime aus, deren Zugeständnisse eher taktischer Natur seien. Das politische System Ägyptens etwa charakterisiert Perthes als „pluralistischen Autoritarismus“.
Perthes spekuliert nicht, seine Notizen und Interpretationen unterliegen nicht tagesaktuellem Verfall. Als er sein Manuskript abschloss, amtierte noch Ariel Scharon als Ministerpräsident mit guten Aussichten auf einen Erfolg in den Parlamentswahlen. Doch Anfang dieses Jahres fiel er nach einem schweren Schlaganfall ins Koma.
Diese für die israelische Politik einschneidende Zäsur berührt die Erläuterungen zum israelisch-palästinensischen Verhältnis, zu den Bemühungen um einen politischen Ausgleich allenfalls marginal; denn Perthes beschäftigt sich mit den längerfristigen Auswirkungen der gewalttätigen Konflikte in den vergangenen Jahren sowohl auf die israelische Gesellschaft und ihren Zusammenhalt als auch auf die Konsequenzen in den Palästinensergebieten. In der israelischen Debatte sei die demografische Entwicklung zum wichtigsten Argument für einen eigenen Staat der Palästinenser geworden:
„Nur durch die Trennung von den besetzten Gebieten und eine Zweistaatlichkeit lässt sich der zionistische Traum eines jüdischen Staates, der demokratisch ist, aufrechterhalten.“
Viel stärker als Israel habe der vierjährige Krieg seit September 2000 die palästinensischen Gebiete betroffen, in den menschlichen wie in den materiellen Verlusten. Der Aufbau eines unabhängigen, souveränen palästinensischen Gemeinwesens sei unterbrochen worden, die Palästinenser hätten „eine Art Staatszerfall ohne Staat“ erlebt:
„Die fünfzehn Jahre von Friedensprozess und Krieg haben die palästinensische Gesellschaft verändert. Sie ist politisch desillusioniert, die Gewaltbereitschaft hat zugenommen, die islamischen Tendenzen haben sich verstärkt, und es hat sich eine erstaunliche Bereitschaft herausgebildet, abzuwarten und durchzuhalten.“
Volker Perthes hat, trotz einiger Längen in der Wiedergabe von Gesprächen, ein leserfreundliches Buch vorgelegt, klar und verständlich geschrieben. Sein Ton ist wohltuend gelassen. Er wertet behutsam, ist ein ebenso aufgeschlossener wie kritischer Beobachter. Ein informatives Lesebuch über eine Region, aus der uns vor allem beunruhigende Nachrichten erreichen.
Volker Perthes: Orientalische Promenaden – Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch
Siedler Verlag, München 2006