Kritik und Ironie

Von Kathrin Hondl |
Der Berliner Harun Farocki und der Kanadier Rodney Graham sind international renommierte Künstler und beide um die 60. Sie arbeiten viel mit Film, Fotografie und Video. Die Doppelretrospektive ihrer Werke im Pariser Jeu de Paume ist eine kuratorische Glanzleistung.
Filmprojektoren beschallen das Jeu de Paume. Ihr Rattern und Knattern ist der Soundtrack vieler Filminstallationen von Rodney Graham. "Rheinmetall/Victoria 8" zum Beispiel: Ein Schwarz-Weiß-Film zeigt eine mechanische Schreibmaschine der Marke Rheinmetall aus den 30er Jahren - ein Stummfilm, der von einem lautstarken Projektor aus den frühen 60er-Jahren an die Wand projiziert wird.

Rodney Graham: "Es hat formale Gründe, dass ich Projektoren so gerne in meine Arbeiten integriere. Diese großen 35mm-Projektoren sind so schön anzusehen, das sind faszinierende Maschinen, die ich nicht verstecken möchte."

Solche formalen Überlegungen sind Harun Farocki eher fremd. Es war für beide Künstler zunächst einmal überraschend, dass sie im Jeu de Paume nun gemeinsam gezeigt werden. So sagt Harun Farocki über Rodney Graham:
"Er arbeitet ja mit ganz anderen sozusagen konzeptiv-künstlerischen Mitteln. Er versucht einen ganz anderen Zugang zu der Essenz eines Phänomens als ich das mache. Ich bin ja wie so'n klassischer Dokumentarist in vielen Fällen, und er hat so einen konzeptuellen Zugang zu den Dingen. Während ich ja nichts weiter als bewegte Bilder mache, nur bewegte Bilder."

In ihrer Unterschiedlichkeit erinnern Rodney Graham und Harun Farocki an die Pioniere der Filmgeschichte: Georges Méliès und die Brüder Lumière. Rodney Graham wäre dann ein Nachfahre von Méliès, dem Illusionisten und Erfinder des "narrativen Films". Harun Farocki stünde eher in der Lumière-Tradition dokumentarischer Filme. Auf die bezieht sich Farocki auch explizit in seiner Installation mit dem Titel "Arbeiter verlassen die Fabrik in 11 Jahrzehnten": Auf zwölf Monitoren zeigt er Filmszenen der Kinogeschichte, in denen Arbeiter Fabrikgebäude verlassen. Wie im ersten Film der Brüder Lumière, dem ersten Film überhaupt:

"Das gefällt mir, dass der erste Film "Arbeiter verlassen die Fabrik" heißt. Das ist ja fast wie so ein surrealistischer Titel. Es klingt so, als ob das ganz besonders wäre oder ganz selbstverständlich. Und es ist ja eigentlich ein abwegiges Sujet. Warum ist der Moment, in dem sie aus der Fabrik treten so wichtig?"

Farockis Installation aus dem Jahr 2006 handelt von der Kinogeschichte und zeigt zugleich die Geschichte der Arbeit, die Körpersprache der Arbeiter, die Inszenierung von Industrie oder Beziehungsgeschichten vor Fabriktoren. Der Rückgriff auf Archive, auf das Gedächtnis der Moderne, auf Werke der Film- oder Literaturgeschichte findet sich auch bei Rodney Graham. In dem Filmloop Vexation Island inszeniert er sich im historischen Kostüm auf einer Südseeinsel als Robinson, der von einer Kokosnuss getroffen bewusstlos am Strand zu Boden geht - ein ziemlich witziger Beitrag zur alten Auseinandersetzung über das Verhältnis von Zivilisation und Natur. Chantal Pontbriand, die Kuratorin der Doppel-Retrospektive:

"Beide Künstler schöpfen aus dem immensen Archiv der Gegenwart. Und sie entwickeln dabei Mittel und Wege, die Dinge neu zu denken, neu zu bewerten. Und vielleicht einen neuen Sinn zu finden, neue Möglichkeiten des Handelns. Das ist fast schon politisch."

Die politische Relevanz ist besonders bei Farocki offensichtlich. Mediale Inszenierungen, Überwachungskameras und das Thema Krieg spielen in seinen Filmen eine zentrale Rolle. In "Nicht löschbares Feuer", einem Film aus dem Jahr 1969, drückt er sich eine brennende Zigarette auf dem Handrücken aus und verweist auf den Vietnamkrieg:

"Brecht sagte mal: 'Der Krieg findet immer einen Ausweg.' Also er wird sich in einer Weise ändern, dass er fortbesteht. Und das ist einfach eine erstaunlich vernachlässigte und verdrängte Sache, vielleicht ein bisschen wie die Sexualität im 19. Jahrhundert. Diese ganze Frage der Gewalt ist sehr verdrängt. Und darum interessiert die mich."

Farockis jüngste Arbeit dokumentiert eine Veranstaltung der US-Armee, wo Therapeuten eine neue Behandlungsmethode für im Irak oder Afghanistan traumatisierte Soldaten vorführen, die ihre Erlebnisse mittels virtueller Kriegsbilder verarbeiten sollen. Mit videospiel-ähnlichen Bildern also, wie sie auch zur Vorbereitung auf den Krieg eingesetzt werden.

Auf die Ikonographie des Irakkriegs spielt auch Rodney Graham an: "Dance!" heißt eine Arbeit aus dem Jahr 2008, die wie ein Echo auf die Folterbilder aus Abu Ghraib wirkt: In großformatigen Fotoleuchtkästen sehen wir Graham als Gentleman mit Zylinder in einer Bar des Wilden Westens. Er tanzt, während ein Cowboy auf seine Füße schießt.
" "Harun Farockis Ansatz ist kritischer, meiner ironischer", " sagt Rodney Graham.

Die gewagte Vernetzung der beiden in der Doppelretrospektive im Jeu de Paume ist eine kuratorische Glanzleistung. Denn was hilft weiter, wenn nicht Kritik UND Ironie?