Kritik der Nutzholzgewinnung

Von Ludger Fittkau · 13.08.2012
Die Grimmschen Märchen in einer Speise-Performance, aus Holz gefertigte Waldfeen und andere Fabelwesen: In einem Wald in Darmstadt durften mehr als 100 Künstler ihrer Kreativität freien Lauf lassen, inzwischen schon zum sechsten Mal. So entsteht allmählich ein immer weiter wachsendes Gesamtkunstwerk.
"Die Könige der Nutzholzgewinnung" – das ist der Titel einer schönen deutschen Filmkomödie. Dabei geht es um arbeitslose Dorfbewohner im Ostharz, die einen Holzfällerwettbewerb organisieren, um die Agonie des Ortes zu überwinden und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der vermeintlichen sozialen Nutzlosigkeit zu ziehen.

Der Darmstädter Waldkunstpfad ist so etwas wie der ästhetische Gegenentwurf zu den Königen der Nutzholzverwertung. Der Koreaner Ko Seung Hyun besetzt den Raum zwischen drei jungen Buchen, um mit Holzlatten einen Teil eines Mammutbaumes von mehreren Metern Umfang nachzubauen. An einer Stelle ist der künstliche Baum durch ein Loch begehbar. Stuhllehnen und andere Möbelteile sind an die Innenseite des Mammutbaums genagelt.

Eine etwas platte Kritik der holzverarbeitenden Industrie. Denn längst wächst weltweit die Erkenntnis, dass Ökologie und nachhaltige Nutzung des Waldes kein Widerspruch sein müssen.

Spielerischer geht Hyun's koreanische Landsfrau Won Gil Jeon mit dem Wald um:
Sie platziert in einer Schneise einen gut 20 Meter langen "Flowertrail" – einen Trampelpfad aus bunt bemalten Holzblumen in der Größe von Autoreifen, die sie wie Pilze aus dem Waldboden wachsen lässt. Der sommergrüne und braune deutsche Wald bekommt damit einen ironischen asiatischen Farbkontrast verpasst.

"Passen sie auf, was sie heute essen, einige der Speisen sind verzaubert."

Das US-amerikanische Künstlerduo "Spatula & Barcode” warnt davor, bedenkenlos ein rohes Rehherz oder die etwas angegammelte Räucherforelle zu verspeisen, die gemeinsam mit ausgestopften Füchsen, Kaninchen und allerlei Trink- und Essgefäßen eine Speisetafel mitten im Wald füllen. Thema ist, in welch vielfältiger Form Essen und Trinken in den Märchen der Gebrüder Grimm vorkommen:

"There are more than 250 Stories so we can´t do all of the foods on the trail."

Die Grimmschen Märchen in einer Speise-Performance, aus Holz gefertigte Waldfeen und andere Fabelwesen – das diesjährige Waldkunstpfadthema "Realität und Romantik” wird an vielen Stellen doch etwas zu harmlos und spannungsarm umgesetzt.

Darmstadts grüner Oberbürgermeister Jochen Partsch spricht zwar in seiner Eröffnungsrede die Instrumentalisierung des deutschen Waldes durch die Nazis an. Die zornigen Dichter und Philosophen der Epoche der Romantik kommen gar nicht vor – dabei hätte Darmstadt etwa mit Georg Büchner jemanden zu bieten, dessen Seele wohl, um einen Begriff von Paul Landau aufzugreifen, dieselbe "maßlose Temperatur" hatte wie diejenige der Schlegels oder eines Heinrich von Kleist. Dazu nichts auf dem Waldkunstpfad – verschenkt.

Dennoch gibt es genug zu sehen im Darmstädter Wald, um die etwa anderthalb Stunden zu Fuß in hügeligem Terrain auf sich zu nehmen, die man für die Ausstellung braucht.

Kaum größer als Vogelhäuschen sind die zu allen Seiten offenen Waldhäuser, die die Amerikanerin Laurie Beth Clark zum Andenken an jüdische Kinder aufgestellt hat, die sich während der Nazi-Zeit in hiesigen Wäldern versteckten. Spalten oder Risse in Bäumen und Baumstümpfen werden immer wieder auf verblüffende Weise von heilenden Künstler-Händen mit verschiedenen Materialien verschlossen, der Rumäne Attila Pokorny benutzt dazu Weidengeflechte.

Manche der aktuellen Land-Art-Objekte sind in unmittelbarer Nähe des russischen U-Boots fast in Originalgröße platziert, das schon bei einem früheren Waldkunstpfad in der Nähe alter US-Kasernen aus dem Waldboden auftauchte. Das ist toll im Darmstädter Kunstwald: Mit jeder neuen Biennale entstehen Objekte, die erhalten bleiben.

Auch wenn die aktuelle Ausstellung unter dem Strich inhaltlich nicht überzeugt:
Als weiter wachsendes "Gesamtkunstwerk" ist der Darmstädter Waldkunstpfad einen Besuch wert. Die Kultur trotzt hier den Königen der Nutzholzgewinnung immer mehr Terrain ab.