Kritik an Standard & Poor's

Thomas Morgenstern im Gespräch mit Ute Welty · 08.12.2011
Der Geschäftsführer der europäischen Ratingagentur PSR, Thomas Morgenstern, hat die aktuelle Kommunikation der US-Agentur Standard & Poor’s (S&P) kritisiert. Wenn S&P der Europäischen Union und den Banken drohe, rufe das zurecht ein Kopfschütteln hervor.
Ute Welty: Sagen wir mal so: Das Verhältnis der Euroländer zur amerikanischen Ratingagentur Standard & Poor’s gilt als nicht mehr so ganz unbelastet. Und auch, wenn man nach außen hin Gelassenheit demonstriert, man kann sich schon vorstellen, dass auf dem EU-Gipfel heute kräftig mit dem Kopf geschüttelt wird. Die drohende Abwertung aller Länder der Eurozone außer Griechenland, weil ohnehin auf Ramschniveau, macht das Leben der Staats- und Regierungschefs wahrlich nicht leichter. Und damit nicht genug: Jetzt nimmt Standard & Poor’s die europäischen Banken zusätzlich ins Visier. Wie gut also, dass Thomas Morgenstern als Geschäftsführer von PSR Rating in Tübingen Unternehmen bewertet und keine Länder oder Banken. Guten Morgen!

Thomas Morgenstern: Ja, guten Morgen, grüße Sie!

Welty: Würden Sie zurzeit ein Jobangebot der Buhmänner von Standard & Poor’s annehmen?

Morgenstern: Tja, ich glaube, ich fühle mich in der heutigen Funktion sehr, sehr wohl, das darf ich sagen. Allerdings, auch das muss man vielleicht ein bisschen politisch betrachten, die Arbeit, die unsere großen internationalen Kollegen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch abliefern, ist ja nicht grundsätzlich schlecht, das muss man schon sehen. Man kann sich nur, wie Sie gerade schon gesagt haben, an anderer Stelle überlegen, mit einem Kopfschütteln, ob denn die Art und Weise, wie denn bestimmte Dinge kommuniziert werden, ein wenig in Frage gestellt werden müssten.

Welty: Auch wenn es eben zwischen Ihrer Agentur und einer solchen wie S&P große Unterschiede gibt, können Sie uns vielleicht ein bisschen näher bringen, warum die so handeln, wie sie handeln, warum sie jetzt so enorm viel Druck machen?

Morgenstern: Der Schluss liegt nahe, dass natürlich hier auch durchaus politische Hintergründe ein wenig mit einhergehen, auch gerade, wenn man es im Kontext sieht mit verschiedenen politischen Gesprächen, die ja gerade beispielsweise zwischen Europa und den USA in den letzten Wochen immer wieder gelaufen sind. Trotz alldem – und auch da muss man vielleicht aus einer sehr objektiven Perspektive den Sachverhalt schon aufgreifen dürfen. Europa hat momentan ein Problem. Wir haben mit der Haushaltskrise – denn so hat die Krise begonnen – eben zunächst einmal kleinere Brände gehabt in verschiedenen einzelnen Ländern in Europa, die haben sich natürlich – und deswegen haben wir einen EU-Gipfel nach dem anderen – eben offensichtlich schon auf die gesamte Zone des Europaraums dann auch ausgestreckt.

Und wenn Sie es vergleichen wollen zu der Arbeit, die wir als PSR Rating haben bei der Bewertung von Unternehmen, können Sie da auch sehr schnell Parallelen ziehen. Wir haben eine Unternehmensgruppe, also ein Konstrukt, das aus mehreren Unternehmen besteht, und dort wäre es sicherlich falsch, eben nur sich den einen oder anderen Kandidaten als Tochtergesellschaft in einer solchen Unternehmensgruppe herauszunehmen, so, und dort gibt es Interaktionen zwischen den Unternehmungen, die in dieser Unternehmensgruppe bestehen, und die haben eben dann auch Auswirkungen auf die Gesamtbonität.

Welty: Standard & Poor’s will sich sehr genau anschauen, was jetzt heute und morgen auf dem EU-Gipfel herauskommt. Heißt das im Umkehrschluss, dass nicht nur die Eurozone unter verschärfter Beobachtung steht, sondern auch die europäischen Politiker?

Morgenstern: Das liegt sehr nahe. Ich meine, im Nachhinein ist das, was eine Länderbewertung ja ausmacht, ja durchaus sehr stark von der politischen Lage eines Landes auch abhängig. Also, dass wir dafür sorgen müssen, dass bestimmte Defizite, die in Ländern in der Eurozone entstehen, eben auf die Art und Weise nicht mehr sich entwickeln dürfen – und es ist ja nicht einfach nur geschehen von heute auf morgen, sondern es ist eine Entwicklung gewesen, die man hätte sehr wohl rechtzeitig erkennen können –, wenn wir dafür den Fokus gehabt hätten, den gab es in der Vergangenheit - nicht politisch gewollt unter dem …

Welty: Aber die Ratingagenturen sind doch extra dafür eingerichtet worden, den Fokus genau dahin zu legen. Jetzt inzwischen hat man allerdings den Eindruck, dass vor allem Merkel und Sarkozy vorgeführt werden sollen. Die treffen sich, die verkünden Vorschläge, die werden aktiv, und all das wird mit einer einzigen Mitteilung aus New York vom Tisch gefegt.

Morgenstern: Absolut richtig. Und genau das ist das, was ich eingehend so ein bisschen auch angedeutet habe: Die Art und Weise, die Kommunikationspolitik, die halte ich auch für durchaus fragwürdig, da hören wir auch aus den Worten, die da gewählt wurden, S&P droht Europa, droht den Banken. Das ist ein Vokabular, was man schon gleich wieder in einem bestimmten Kontext sehen darf, und vor dem Hintergrund sehe ich da so durchaus absolut berechtigte Kritik in der Art und Weise, wie das momentan kommuniziert wird.

Welty: Müsste man dieser Kritik nicht jetzt zum Beispiel auf diesem EU-Gipfel auch Rechnung tragen? Für Ihre Branche beispielsweise wird ein Rotationsprinzip angedacht, damit nicht immer die selben Ratingagenturen die selben Unternehmen bewerten. Bräuchte man nicht ähnliche Kontrollmechanismen für die Bewertung von Ländern?

Morgenstern: Das ist eine gute Überlegung, dass man sagt, nur, auch das ist festzustellen: So vielen Experten, die sich an Länderratings herantrauen, gibt es nun mal tatsächlich auch nicht. Also ein solches Rotationsprinzip ist gar nicht so einfach umzusetzen, weil es gar nicht so viele Player gibt, die das aus einer neutralen oder neutralisierten objektivierten Position auch bearbeiten können, zumal eben – und das ist durchaus etwas, was ich mir erlauben kann als eine Ratingagentur, die sich eben nicht auf Länder, sondern auf Unternehmensrating spezialisiert hat – die Komplexität von Staaten in der Zwischenzeit in so starken Abhängigkeiten zu den unterschiedlichsten Weltmärkten steht, dass natürlich die Einschätzung nur komplexer werden kann, nicht einfacher.

Welty: War die Politik ausreichend beraten, als sie Standard & Poor’s und den anderen Agenturen eine solche Macht eingeräumt hat? Das erinnert doch stark an die Ballade vom Zauberlehrling.

Morgenstern: Ja, Sie bringen es auf den Punkt. Und natürlich hat man auch mit dem nicht gerechnet, dass sich dann irgendwann solche starke Auswirkungen ergeben können. Aber auch da haben wir in der Zwischenzeit in der Eurozone, in der EU deutlich gegengesteuert. Wir haben ja seit 2009 eine EU-Verordnung, die das Arbeiten von Ratingagenturen reguliert, die auch dafür gesorgt hat, dass wir sukzessive in einem Kontext aus Europa-Sicht auch eine europäische Ratingcommunity entwickeln können.

Das ist in starkem Aufbau, deswegen ist das eine oder andere Rufen zu einer europäischen Lösung längst in der Umsetzung, sodass also diese Vorbehalte, die man jetzt hat, weil es eben momentan die großen – zum Teil eben stark US-amerikanisch getriebenen – Agenturen dann in der Art und Weise in dieser Machtstellung auch in Zukunft nicht mehr geben wird. Allerdings, das wird ein wenig mehr Zeit brauchen. Wir werden es nicht im Jahr 2011 umsetzen können, sondern da gibt es natürlich bei den großen Agenturen, die 100 Jahre am Markt unterwegs sind, ein wenig mehr Zeit, die wir als europäisch angesiedelte Ratingagenturen brauchen, um dort aufzuschließen.

Welty: Thomas Morgenstern, Geschäftsführer vom PSR Rating im Gespräch der "Ortszeit", und für dieses Gespräch gibt es von mir die Bestnote Triple A. Danke!

Morgenstern: Vielen Dank! Danke schön!


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