Kritik an Optimierung

Von der Kunst, unvollkommen zu sein

Computergrafik zur Genforschung
Computergrafik zur Genforschung: "Der Mythos des vom Menschen hergestellten lebensfähigen Humanoiden ist alt." © imago/Sciepro/Science Photo Library
Von Katharina Doebler · 03.05.2015
In China sollen Wissenschaftler das Erbgut menschlicher Embryonen verändert haben. Und die Forschung wird weiter voranschreiten, sagt Katharina Doebler. Durch die "Optimierung" der Gene könne die menschliche Vielfalt aber verloren gehen. Eine grauenhafte Vorstellung.
Es scheint so. Der chinesische Forscher Junjiu Huang hat nun erstmals Experimente an menschlichen Embryonen unternommen. Gut, es waren keine lebensfähigen Embryonen, sondern so etwas wie Zuchtabfall, kollateralgeschädigte und verworfene Produkte der Reagenzglaszeugung. Gut funktioniert haben die Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht. Nur bei vier von 86 Embryonen klappte das "Ausschneiden" eines bestimmtes Krankheitsgens aus der DNA und das Einschleusen eines intakten Gens an dessen Stelle; vielfach kam es zu völlig unerwünschten Mutationen.
Dieses partielle Scheitern ist nicht beruhigend, denn der Fortschritt auf dem Gebiet der Gentechnologie ist rasant. Und die strengen Gesetze in Deutschland und fast allen europäischen Ländern werden ihn nicht aufhalten. Man sollte sich da keine Illusionen machen: Was Forscher tun können, das tun sie auch. Es liegt im Wesen des Forschens, dass es Grenzen nicht akzeptiert, jedenfalls nicht langfristig und global. Die Atombombe wurde entwickelt, danach die Wasserstoffbombe, danach die Neutronenbombe.
Auf die Frage: Wollen wir Menschen züchten? Würden die meisten Menschen mit nein antworten. Aber die Optimierung des eigenen Nachwuchses ist trotzdem erwünscht.
Züchtung des Menschen
Vor fast zwanzig Jahren setzte sich Peter Sloterdijk in seinem Vortrag "Regeln für den Menschenpark" mit diesem Thema auseinander. Er bemühte dafür – neben Platon und Heidegger – vor allem Nietzsches im "Zarathustra" eher spöttisch entwickelte Vorstellung von der Züchtung des Menschen durch den Menschen. Diese sei, so Nietzsche, eine Form der Zähmung; der Mensch unterliege, ähnlich wie das Haustier, durch den Prozess der Zivilisation einer Verkleinerung. Diese "Zucht" bringe also keineswegs den Übermenschen hervor, sondern vielmehr den konformen Massenmenschen.
Wenn man nun die Gentechnologie mit Nietzsche weiterdenkt, kommt man zu der naheliegenden Befürchtung, dass durch die "Optimierung" der Gene entsprechend den Wünschen der heutigen Menschen, die Vielfalt menschlichen Seins für die späteren Generationen verloren gehen könnte. Eine grauenhafte Vorstellung.
Wenn nun aber der Mensch seit Humanismus und Aufklärung das Maß aller Dinge ist, wo liegt die Grenze? Kann er sich etwa selbst erschaffen?
Mythos des lebensfähigen Humanoiden
Der Mythos des vom Menschen hergestellten lebensfähigen Humanoiden ist alt. Viel älter als die frühaufklärerisch materialistische Vorstellung vom Menschen als "Maschine", wie sie der Vordenker der modernen medizinischen Empirie, Lamettrie, formuliert hat. Der Homunkulus, der Golem, Frankensteins Monster, der anthropomorphe Roboter hat alles außer dem einen – dem göttlichen Atem, der Seele. Deshalb führt in den alten Erzählungen seine Existenz stets zu Katastrophen.
Erschaffen kann sich der Mensch also nicht selbst. Aber einstweilen doch massiv verbessern.
Das ist die große Hoffnung des Humanismus. Der aufgeklärte, selbstermächtigte Mensch versucht, Krankheit, Leid und Tod abzuschaffen. Ja, wir leben heute länger und vielleicht wird die Gentechnologie nun auch mit unseren Erbkrankheiten fertig. Aber der Versuch, alles zu optimieren: den Körper, die Produktivität, das Volk, die Rasse hat historisch zu Katastrophen geführt – und tut es noch.
Philosophieren, hat Cicero behauptet, heiße sterben lernen. Man könnte auch mit den Epikureern sagen: Mit der Unvollkommenheit leben lernen.
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