Kritik an Leipziger Autoritarismusstudie

Warum wird nur der Rechtsextremismus untersucht?

08:03 Minuten
Rot-weiße Flaggen werden bei einem NPD-Aufmarsch in Hannover geschwenkt.
Nicht nur Rechtsextreme sind eine Gefahr für die Demokratie, meint der Journalist Marc Felix Serrao. © imago / localpic
Marc Felix Serrao im Gespräch mit Anke Schaefer · 18.11.2020
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Die neue Autoritarismusstudie konstatiert eine zunehmende Radikalisierung und Enthemmung vor allem unter Rechten im Osten. Marc Felix Serrao, Leiter des Berliner Büros der NZZ, kritisiert, dass die Autoren der Studie nur nach rechts geschaut hätten.
Weniger Ausländerfeindlichkeit, aber eine Verfestigung von Einstellungen und eine zunehmende Enthemmung bei extremen Rechten: Das sind die zentralen Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
So sank der Anteil der als "manifest ausländerfeindlich" Eingestuften im Vergleich zu 2018 von 23,4 auf 16,5 Prozent. Allerdings beschränkt sich dieser Rückgang vor allem auf Westdeutschland, wo 13,7 Prozent der Befragten als manifest ausländerfeindlich einzuschätzen sind, gegenüber 21,5 Prozent 2018. In Ostdeutschland dagegen sank der Anteil nur von 30,7 auf 27,8 Prozent.
Manifest rechtsextreme Einstellungen nahmen im Osten sogar leicht zu und liegen jetzt bei 9,5 Prozent, befanden die Forscher. Im Westen seien drei Prozent manifest rechtsextrem eingestellt.
Oliver Decker, einer der Autoren der Studie, weist darauf hin, dass trotz des Rückgangs der Ausländerfeindlichkeit das Niveau von Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremen Einstellungen nach wie vor hoch sei – "und darauf, dass autoritäre und antidemokratische Einstellungen eine beständige Bedrohung für unsere offene, liberale Gesellschaft darstellen".
Eine Analyse der neuen Studienergebnisse des Zentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig von Christiane Habermalz hören Sie hier.

"Der Linksextremismus ist genauso gefährlich"

Dass die Studie sich in diesem Zusammenhang lediglich mit dem Rechtsextremismus befasst und andere demokratiegefährdende Extremismen nicht berücksichtigt, kritisiert Marc Felix Serrao, Leiter des Berliner Büros der "NZZ".
Natürlich sei der Rechtsextremismus eine Gefahr für die Demokratie, betont er. "Aber genauso gefährlich, würde ich sagen, sind auch der Linksextremismus – erinnern Sie sich an die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 – und natürlich der gewaltbereite Islamismus: Paris, Nizza, Dresden."

Eine seriöse Sozialforschung würde alle diese Extremismusformen in den Blick nehmen, meint Serrao. So wie eine Studie, die 2018 in der Schweiz durchgeführt wurde:
Porträt von Marc Felix Serrao.
NZZ-Journalist Marc Felix Serrao sieht auch im Islamismus eine Bedrohung für die Demokratie.© (flx.) | NZZ
"Die hat sich 17-, 18-jährige Jugendliche angeschaut und hat festgestellt, 7 Prozent sind linksextremistisch veranlagt, 6 Prozent rechtsextremistisch und knapp 3 Prozent islamistisch. Und hat dann erstaunliche Parallelen festgestellt, zum Beispiel eine Ablehnung des Westens und eine Ablehnung liberaler Werte", so der Journalist. "Da, finde ich, ist doch die Aussagekraft sehr viel größer, als wenn ich mich nur auf eine Ausprägung von Extremismus fokussiere."
(uko)

Marc Felix Serrao, 1978 in Hannover geboren, ist Politikwissenschaftler und Journalist. Nach einem Volontariat bei der "Süddeutschen Zeitung" war er dort Medienredakteur und stellvertretender Ressortleiter Gesellschaft und Stil. 2016/17 Wirtschaftsredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", seit Juli 2017 leitet er das Berliner Büro der NZZ.

Die gesamte Sendung "Der Tag mit Marc Felix Serrao" hier zum Nachhören:
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