Kritik an der serbischen Kulturpolitik

"Weggeworfen, vergessen oder verleugnet"

Vladimir Miladinovic
Vladimir Miladinovic kritisiert Serbiens Kulturpolitik © Marija Djokovic
Von Sabine Adler · 10.07.2018
15 Jahre war Serbiens Nationalmuseum geschlossen. Nun wurde es wieder eröffnet. Platz für unbequeme Künstler und für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes aber gibt es dort nicht, beklagen Kritiker.
Bei allem öffentlichen Jubel über die kürzliche Wiedereröffnung des serbischen Nationalmuseums in Belgrad überwiegt in der Kunstszene noch immer Bitternis. Die lange Schließung hatte Auswirkungen weit über das Museum hinaus, konstatiert Angelina Milosavlevic, Kunsthistorikerin an der Universität Belgrad: "Wenn das wichtigste Museum, das Nationalmuseum, geschlossen ist, strahlt das aus auf den gesamten Museumsbetrieb. Es breitet sich das Gefühl aus, als sei es legitim, fast keinerlei Aktivität zu entfalten. Dann machen auch die anderen fast nichts. Wenn die wichtigste Institution der Museumslandschaft nicht arbeitet, was sollst du dann tun?"

"Serbien erkennt nicht an, was es hat"

Auch für den Maler Vladimir Miladinovic besteht kein Anlass zu ungeteilter Freude, weil der fast alles entscheidende staatliche Kulturbetrieb mit dem Nationalmuseum an der Spitze nach wie vor unbequeme Künstler an den Rand drängt. Der Belgrader Maler konnte seine Werke zwar gerade präsentieren, aber nur dort, wo niemand eine Kunstausstellung vermutet: im Belgrader Donau-Hafen. "Serbien erkennt nicht an, was es hat. Unsere Regierung zerstört in Belgrad die ältesten Stadtteile, nur um neue Glaspaläste hinzustellen. Diese neue unabhängige Galerie für zeitgenössische Kunst hier ist ohne Zweifel eine der wichtigsten, aber sie befindet sich weit außerhalb der Stadt."

"Es gibt keine Kulturpolitik, keine Idee"

Die Jahrzehnte lange Schließung des Nationalmuseums hat eine Leerstelle hinterlassen, die mit der Wiedereröffnung so schnell nicht gefüllt sein wird. Nach der Unabhängigkeit und den Jugoslawienkriegen hat Serbien bis heute kein neues Selbstverständnis definiert. Eine Bringschuld auch der Politik, findet die Kunsthistorikerin Milosavlevic: "Es gibt keine Kulturpolitik, keine Idee, wohin wir als Nation gehen wollen, welche Art von Bürgern wir haben möchten in den kommenden fünf, zehn oder zwanzig Jahren, welches Fundament wir unserer Gesellschaft geben."
Vor allem auf den Umgang mit Geschichte hat das wiedereröffnete Nationalmuseum keine Antwort, beklagt der Belgrader Maler Vladimir Miladinovic: "Man kann natürlich unterschiedlich über Geschichte reden, aber die am meisten verbreitete Art heute ist, unsere Heldentaten in den Vordergrund zu stellen. Die sehr unschönen Kapitel werden am liebsten weggeworfen, vergessen oder verleugnet."

Die Ausstellung des Malers Vladimir Miladinovic im Belgrader Donau-Hafen
Die Ausstellung des Malers Vladimir Miladinovic im Belgrader Donau-Hafen© Eugster || Belgrade, Foto: Nemanja Knezevic
Er wehrt sich gegen das Verfälschen und Verschweigen der dunklen Kapitel und sucht sie an Stellen, an denen auf den ersten Blick nichts mehr an sie erinnert: Es sind die Schauplätze der Kämpfe und Massaker, heute von Grün überwuchert in lieblicher üppiger Natur. Miladinovic machte sich auf den Weg. Zuerst in die Archive des Kriegsverbrechertribunals nach Den Haag, wo er Fotos von Gerichtsmedizinern durchforstete. Mit diesen Aufnahmen begab er sich dann an die Orte der Verbrechen und verglich:
"Man sieht schöne Landschaften, auch auf den Fotos der Archive. Aber es gibt Kleinigkeiten, fast unsichtbare Hinweise, die stören. Diese Unstimmigkeiten in der Landschaft haben das Gericht so stutzig gemacht, dass die Forensiker losgeschickt wurden. Die suchten dann und wurden fündig. An Stellen zum Beispiel, an denen die Vegetation plötzlich viel üppiger wuchs. Mich hat dieser Widerspruch anfangs sehr stark aufgewühlt, die Diskrepanz zwischen dieser herrlichen Landschaft und der schrecklichen Wahrheit, die sich hinter oder unter ihr verbirgt."

"In diesen Graben hat man Leichen geworfen"

Diese Spannung zwischen Schönheit und Schrecken fesselt Vladimir Miladinovic. Seine fast fotorealistischen Gemälde wirken wie stark vergrößerte Filmaufnahmen von wilden unruhigen und – bei genauem Hinsehen – vernarbten Landschaften. Der serbische Maler drückt das Gras beiseite, das über die alten Wunden gewachsen ist: "Dieser Platz hier ist Cerska, eines der Massengräber, das nach dem Massaker von Srebrenica entstanden ist. Das Bild zeigt einen Pfad - eine kleine Straße durch den Wald -, der nach Cerska führt. In diesen Graben entlang der kleinen Straße hat man Leichen geworfen. Die Experten haben hier das Massengrab freigelegt."
Ergänzt werden die Schwarz-weiß-Gemälde durch akribische Tuschezeichnungen von Pflanzen, wie aus dem Bestimmungsbuch. Schaurig-schöne Gewächse, die er auf Massengräbern fand, für ihn Hoffnungszeichen.
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